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Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben

Stufenweise erhöhten die Nationalsozialisten seit 1933 den Druck auf die Juden, auch um sie zur Auswanderung zu zwingen. Dem sozialen Tod durch Aberkennung bürgerlicher Rechte folgte die Deportation in die Todeslager. Zur Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben trat am 26. April 1938 die "Verordnung über die Anmeldung der Vermögen von Juden" in Kraft.

Von Wolfgang Stehnke |
    "Jeder Jude – und auch der nichtjüdische Ehegatte eines Juden – hat sein gesamtes inländisches Vermögen anzumelden und zu bewerten; ausgenommen sind Gegenstände zum persönlichen Gebrauch des Anmeldepflichtigen und Hausrat, der kein Luxusgegenstand ist. (...) Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis und Geldstrafe, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft."

    So stand es am 26. April 1938 im Reichsgesetzblatt. Die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" gehörte zu den mehr als 2000 Gesetzen und Erlassen, mit denen das nationalsozialistische Regime die in Deutschland lebenden Juden ab 1933 schrittweise rechtlos machte. Ihre Geschäfte wurden boykottiert, jüdische Beamte entlassen, man drängte sie aus den freien Berufen, konfiszierte ihre Besitztümer. Die "Nürnberger Gesetze" hatten schon 1935 sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden unter Strafe gestellt. Der soziale Tod - die Aberkennung bürgerlicher Rechte und das Ende bürgerlichen Lebens - ging der Deportation in die Todeslager voraus.

    Die Dresdenerin Henny Brenner, aufgewachsen in einer Familie, die nach den Kriterien der Nationalsozialisten als "gemischt-rassisch privilegiert" galt, erinnert sich an das Jahr 1941, als sie den Judenstern tragen musste:

    "Und dann war der Stern da. Dann durfte man noch Straßenbahn fahren, aber auf dem Perron. Also, man durfte nicht ins Abteil gehen, man stand da draußen mit dem Stern. Und die Leute guckten einen an, spuckten einen an, oder auch nicht, guckten weg. (...) Dann kam das Gesetz heraus, wir dürfen nicht mehr Straßenbahn fahren. Und dann haben wir die Fahrräder genommen."

    Der wirtschaftliche Ausgrenzungsprozess begann schon 1933 mit angeblich spontanen Boykottaktionen gegen jüdische Einzelhändler: "Kauft nicht beim Juden!" schmierten SA-Leute auf die Schaufenster von Geschäften und bedrohten Kunden, die sich dieser Parole widersetzten. Damit wurde Druck aufgebaut, um jüdische Kaufleute und Fabrikanten zum Verkauf ihrer Unternehmen zu zwingen.

    Wer seinen Besitz - in der Regel unter Wert - veräußerte und emigrierte, musste ab 1934 eine konfiskatorische "Reichsfluchtsteuer" zahlen. Von der sogenannten "Arisierung" jüdischen Eigentums profitierte nicht nur die unmittelbare Konkurrenz. Auch renommierte deutsche Banken beteiligten und bereicherten sich – zum Beispiel die Dresdner Bank. Der Wirtschaftshistoriker Harald Wixforth:

    "Sie hat also ihre sogenannten arischen Kunden angeschrieben, gesagt: 'Wir haben die Möglichkeit, Ihnen sehr, sehr günstig jüdische Betriebe zu vermitteln.’ (...) Und die Dresdner Bank hat dann versucht, die Verhandlungen zwischen dem jüdischen Verkäufer, der natürlich unter Druck verkaufen musste, und dem 'arischen’ Erwerber herzustellen und zu lancieren und dafür eine Vermittlungsprovision kassiert.

    Es war (...) vor allem dieses Vermittlungsgeschäft - die Provisionen auf der einen Seite und dann aber vor allen Dingen eine intensive Kundennähe zu ihren 'arischen’ Kunden -, die das Motiv bildete, dass sich die Dresdner Bank sehr schnell in den Prozess der Arisierung eingeschaltet hat."

    1938 war das Jahr, in dem die Nationalsozialisten den Druck noch einmal erhöhten. Schon vor den Pogromen der Reichskristallnacht verhängten sie im Zuge der eingangs zitierten "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" eine Registrierungs- und Kennzeichnungspflicht für "jüdische Gewerbetreibende". Verkauf oder Verpachtung ihrer Unternehmen bedurften nun einer behördlichen Genehmigung. Von den 50.000 Einzelhandelsgeschäften, die 1932 jüdische Besitzer hatten, existierten im Juni 1938 nur noch 9000.

    Die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben gipfelte nach den Novemberpogromen in einem Wettlauf der Arisierungen. Nicht alle Deutschen, die sich daran beteiligten, waren rabiate Antisemiten. Komplizen und Profiteure des Vernichtungsprozesses blieben sie gleichwohl. Der israelische Historiker Avram Barkai:

    "Denn ganz sicher, dass sie das, was sie in diesem Prozess erbeutet haben, auch
    behalten konnten - ganz sicher konnten sie nur sein, wenn die Besitzer oder deren Erben nachher nicht mehr da waren."