Archiv

Verdun
Staatsbürgerkunde und Gedenken an Ersten Weltkrieg

Für französische Jugendliche ist das Schlachtfeld in Verdun Geschichte. Trotzdem sind die Besichtigungen der Schützengräben des Ersten Weltkriegs für Schüler ab 16 Jahren obligatorisch. Seit Abschaffung der Wehrpflicht sind sie Teil des Staatsbürgerkundeunterrichts in Frankreich.

Von Ursula Welter |
    Französische Infanterie auf dem Schlachtfeld von Verdun im 1. Weltkrieg (1914-1918).
    Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg (picture alliance / AFP)
    Die Kathedrale von Verdun ist menschenleer. Die Hochsaison des Schlachtfeldtourismus hat noch nicht begonnen. Normalerweise tummeln sich hier fünf- bis sechshundert Besucher täglich. Obwohl die Kirche in der grauen Oberstadt liegt.
    Kurz vor Toresschluss zieht der Küster seine Runde, klein gewachsen, Pudelmütze. Hat sich Verdun verändert?
    "Sehr wenig, sehr wenig. Ich bin ein überzeugter Einwohner von Verdun und es stört mich enorm, dass da einige mit Souvenirs, mit Rundreisen Profit machen auf dem Rücken der Menschen, die hier so viel Elend erlebt haben."
    Neben der Kathedrale der ehemalige Bischoffsitz. Heute "Friedenszentrum für Freiheit und Menschenrechte". Zwei Schulklassen sind an diesem Tag auf dem Gelände. Eine aus Lothringen, die andere aus der Region Burgund. Mädchen und Jungen, modisch gekleidet, manche von Pubertät gezeichnet. Diszipliniert geht es in den Staatsbürgerkundeunterricht. Pflichtprogramm für die Jugendlichen ab 16 Jahren, seit die Wehrpflicht in Frankreich abgeschafft wurde. Tags zuvor hatten die Schulklassen die Schützengräben des Ersten Weltkrieges besichtigt:
    "Ja, es ist sinnvoll, hier über Verteidigung zu reden",
    erklärt Jean-Francois Thomas für den lothringischen Regionalrat.
    "An einem Ort, an dem es so viele Qualen gab und an dem es nun um Versöhnung und die Konstruktion des europäischen Friedens geht."
    Die Jugendlichen werden auf Hörsäle verteilt, in Saal 1 haben ein Gendarm und ein Heeresoffizier das Wort. Über die Symbole einer Nation wird gesprochen, über Hymne, die Farben der Trikolore, Werte der Republik. Filme werden gezeigt: "Was bringt sozialer Dienst?", "Wozu ist Verteidigung wichtig?", "Welche Bedrohungen gibt es heutzutage?".
    Den jungen Leuten fallen dazu Stichworte wie Terrorismus, Computerhacker, Luftverschmutzung ein. Das Schlachtfeld von Verdun ist für sie Geschichte. Und doch geht es darum in der Pause:
    "Wir waren gestern in den Schützengräben, das war so eng, schwer vorzustellen, wie das damals war."
    "Das ist schon war, das ist traurig. Menschen zu sehen, wie sie sich bekämpfen, das ist traurig."
    Ein junger Mann, Hornbrille, steht etwas abseits. Nachdenklich.
    "Man fragt sich, wie sie darin leben konnten. Wie sie gekämpft haben. Was sie erlitten haben."
    Frankreich gedenkt in diesem Jahr auf allen Ebenen des "Großen Krieges"
    Lässig an eine Säule gelehnt, ein anderer Schüler. Cognacfarbene Lederjacke. Er stammt aus Verdun.
    "Es ist nicht lustig, immer geht es um den Krieg. Das Verdun der Jugend? Hier kann man nicht viel machen, das ist zwar eine größere Stadt, aber es ist immer dasselbe. Ich werde Verdun verlassen!"
    "Ich auch", pflicht ihm eine junge Frau bei. Die Schüler sind hier, weil sie am Ende des Tages eine Teilnahmebescheinigung bekommen. Ohne dieses Papier sind Anmeldungen zu staatlichen Prüfungen in Frankreich nicht möglich: Vom Führerschein bis zum Abitur.
    Diesmal allerdings steht der Tag der staatsbürgerlichen Unterrichtung unter einer besonderen Überschrift. Frankreich gedenkt in diesem Jahr auf allen Ebenen des "Großen Krieges". So gibt es diesmal nicht nur den obligatorischen Erste-Hilfe-Kurs und einen Sprachtest. Eine Karikaturen Ausstellung zum deutsch-französischen Verhältnis und ein Film über die "Schlacht von Verdun" stehen ebenfalls auf dem Programm.
    Im Abspann wird auf aktuellere Einsätze der französischen Armee hingewiesen. Das Motto lautet "Sensibilisierung für die Verteidigung".
    "Wenn das Mutterland im Frieden lebt, ist es schwierig, über Verteidigung zu sprechen, vor allem, nachdem die Wehrpflicht abgeschafft wurde", erklärt einer der Soldaten, der für die Diskussionen mit den Jugendlichen an diesem Tag der "Staatsbürgerkunde" in Verdun eingeteilt ist.
    Die Schüler aber haben offenbar verstanden, was das Ministerium vermitteln wollte:
    "Das Land zu verteidigen, ja das ist wichtig!"