Etwas holprig und mit Humor legte Barack Obama am 20. Januar 2009 vor dem Kapitol in Washington seinen Amtseid ab, als 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Sowohl der Vereidigende, der Oberste Richter John Roberts, als auch der Vereidigte verhaspelten sich beim Sprechen des Verfassungstextes, und der Amtseid musste am nächsten Tag ohne Pomp im Weißen Haus wiederholt werden.
Doch die kleine Panne störte niemanden an diesem bitterkalten und eisklaren Januartag in der amerikanischen Hauptstadt. Ein Tag, der damals wie heute, in den USA und rund um den Globus mit dem gleichen Wort beschrieben wird: historisch. Ein Tag, der beladen, bisweilen überladen war mit Symbolik.
Obama bewies ein sicheres Gespür für die Bedeutung von Geschichte, als er zu seiner Amtseinführung gemeinsam mit seiner Familie in einem historischen Zug aus dem 19. Jahrhundert von Philadelphia kommend nach Washington anreiste. Er erinnerte damit an den großen US-Präsidenten und Sklaverei-Gegner Abraham Lincoln, dessen Geburtstag sich 2009 zum 200. Mal jährte.
1,8 Millionen Menschen verfolgen das Geschehen vor Ort
Musiker und Schauspieler aller Genres und Hautfarben – unter ihnen Bruce Springsteen, Aretha Franklin, Renee Fleming, Itzhak Perlman, U2, Tom Hanks und Denzel Washington – gestalteten die Zeremonie sowie das Rahmenprogramm. Weltweit verfolgten mehr Menschen Obamas Inauguration am Fernsehen als die Amtseinführungen früherer US-Präsidenten.
Und auf der National Mall, der Museumsmeile zwischen Kapitol und Lincoln Memorial, versammelten sich nach Behördenangaben 1,8 Millionen Menschen, um das Spektakel live mitzuerleben, mehr als bei jeder Amtseinführung zuvor und –alternative Fakten hin oder her – auch mehr als bei der Amtseinführung von Obamas Nachfolger Donald Trump.
Andra Gillespie ist Politikwissenschaftlerin an der Emory Universität in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. Sie war an diesem Tag vor zehn Jahren nach Washington gereist. Gillespie ist Afroamerikanerin. Der Stolz ihrer Community bei der Amtseinführung des ersten schwarzen Präsidenten sei spürbar gewesen, erzählt sie - die Symbolkraft dieses Moments. Obama war als Kandidat mit dem Ziel angetreten, die verschiedenen Gruppen der amerikanischen Gesellschaft zusammenzuführen und einzubinden.
"Und er begann damit ganz bewusst bei seiner Amtseinführung", sagt die Politikwissenschaftlerin. "Da sprachen zum Beispiel der weiße evangelikale Pastor Rick Warren ebenso wie der schwarze Geistliche Joseph Lowry, ein berühmter Prediger aus der Bürgerrechtsära."
Obama, betont Politikwissenschaftlerin Gillespie weiter, trat sein Amt mitten in der Großen Rezession an, zu einem Zeitpunkt, als tiefe Verunsicherung über dem Land lag. Obama habe auch davon profitiert, dass die Regierung seines Vorgängers George W. Bush extrem unpopulär gewesen sei:
"Der Militäreinsatz im Irak forderte immer mehr Opfer unter amerikanischen Soldaten", erinnert sich Andra Gillespie. "Dann implodierte die Wirtschaft in den letzten Monaten der Bush-Präsidentschaft. Die Bank Lehman Brothers kollabierte, die Börsen brachen ein. Die Zeit war reif für Veränderung."
Projektionsfläche für amerikanische Träume
Umso größer waren die Hoffnungen, bisweilen fast Heilserwartungen, die auf dem neuen und vergleichsweise noch jungen schwarzen Präsidenten ruhten. Und der war ja auch mit einer Botschaft von "Change", von Wandel und Optimismus in den Wahlkampf gezogen. Seinen berühmt gewordenen Slogan "Yes we can" wiederholte er am Wahlabend im Grant Park in Chicago.
Am Tag der Amtseinführung, am 20. Januar 2009, lag die politische Zukunft für einen Moment wie eine weiße Leinwand vor dem Land, Projektionsfläche für Millionen amerikanischer Träume und noch frei von den hässlichen Grautönen des politischen Alltags.
Obamas Rede zur Amtseinführung war eine der längeren in der amerikanischen Geschichte, fast doppelt so lang wie die Ansprachen von John F. Kennedy, Bill Clinton und Donald Trump.
Obama skizzierte den Entwurf für seine Präsidentschaft, er wiederholte seine Botschaft aus dem Wahlkampf: Hoffnung statt Furcht, Einheit statt Konflikt und Zwietracht. Und er unterstrich die Kraft von soft power, von Diplomatie und Multilateralismus, von Demut und Mäßigung statt purer Machtdemonstration. Der Kontrast zur Amtseinführung von Donald Trump, Obamas Nachfolger im Präsidentenamt, acht Jahre später könnte kaum größer sein, sagt Gillespie:
"Die Optik war eine andere. Eine weiße Familie, umgeben von überwiegend weißen Ehrengästen." Dafür habe Präsident Trump natürlich nichts gekonnt. Aber: "Trump hatte auch nicht die Unterstützung von Künstlern, wie sie Obama oder sogar George W. Bush hatten." Aber der größte Unterschied sei nicht die Optik gewesen, sondern der Ton: "Dieser sehr düstere Ton in Trumps Rede", sagt die Politikwissenschaftlerin.
"Dieses Massaker Amerikas endet hier und endet jetzt", donnerte Trump bei seiner Amtseinführung. Und machte damit deutlich: Seine Präsidentschaft war nicht die Erfüllung des Wahlkampfs, sondern dessen Fortsetzung mit denselben Mitteln, auch im Stil: Kampfansage statt Kuschelrhetorik, Drohung statt Dialog.
So schloss Trump seine Inaugurationsrede denn auch konsequent mit dem Schlachtruf seiner Wahlkampagne: "We will make America great again!"
Grenzen der präsidialen Macht
Der Blick auf Trumps Amtseinführung und die ersten zwei Jahre seiner Präsidentschaft verändere auch die Wahrnehmung von Obamas Amtszeit, sagt Gillespie. War die Symbolik der Inaugurationsfeier zu üppig, waren die Worte zu groß, die Erwartungen übertrieben? Waren Enttäuschung, Scheitern und Rückschlag bereits am ersten Tag der Präsidentschaft von Barack Obama angelegt?
Vielleicht, meint die Politikwissenschaftlerin. Aber sie gibt auch zu bedenken: "Viele Menschen haben in Obama gesehen, was sie wollten und wünschten. Obama diente ihnen als eine Art Chiffre, als Gefäß. Und als sich diese Erwartungen nicht erfüllten, hagelte es Kritik." Doch der Präsident sei eben nicht omnipotent, seine Macht ist begrenzt: "Gerade jetzt diskutieren wir doch darüber, ob Präsident Trump die Grenzen der präsidialen Macht wirklich versteht", sagt Gillespie.
Zehn Jahre nach dem Amtsantritt von Barack Obama sind sich die meisten Geschichts- und Politikwissenschaftler einig: Obama war ein historischer Präsident. Doch seine Präsidentschaft war weniger historisch. Und sein politisches Erbe: gemischt.
Als eine der ersten Aufgaben musste Obama das Feuer der Rezession löschen. Und es gelang ihm. Als er antrat, lag die Arbeitslosigkeit bei 7,6 Prozent. Als er ging, bei 4,8 Prozent. Heute ist die Arbeitslosigkeit in den USA mit 3,9 Prozent so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Mit einem Konjunkturpaket von rund 800 Milliarden Dollar stabilisierte Obama die Wirtschaft, rettete mit Notkrediten die Autoindustrie und führte eine Bankenregulierung ein.
Kenneth Rogoff, Wirtschaftsprofessor an der Harvard Universität, sagt: "Obama zog Amerika aus einem tiefen Abgrund." Er habe so eine zweite Große Depression verhindert. Aus wirtschaftspolitischer Sicht sei Obama ein erfolgreicher Präsident gewesen, auf einer Stufe mit Bill Clinton und Ronald Reagan.
Unordnung in der Außenpolitik
Weniger positiv fällt die Bilanz bei Obamas Außenpolitik aus. In Syrien zog Obama mehrfach vermeintliche roten Linien, drohte Staatschef Assad mit Militärangriffen. Doch die Drohungen blieben leer. Russland baute seinen Einfluss aus, der Bürgerkrieg eskalierte – und die Terrormiliz Islamischer Staat erstarkte.
Auch das Verhältnis zum Verbündeten Israel wurde zunehmend frostig. Obama und der israelische Premier Benjamin Netanjahu hegten eine tiefe gegenseitige Abneigung. Das Atomabkommen mit dem Iran, von einigen Nahostexperten zunächst als diplomatischer Erfolg gefeiert, setzte Obama gegen die Warnungen und gegen die Sicherheitsinteressen Israels durch.
Obama beendete die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan und hielt damit ein Wahlkampfversprechen. Er verlegte den Anti-Terrorkampf auf einen weniger sichtbaren Drohnenkrieg, der allerdings hohe Verluste in der Zivilbevölkerung forderte. Obamas spektakulärster Schlag im Anti-Terrorkampf gelang im Mai 2011, als US-Spezialeinheiten Al-Qaida-Chef Osama Bin-Laden aufspürten und töteten.
Insgesamt habe Obama ein unordentliches außenpolitisches Erbe hinterlassen, urteilt die Financial Times: "Das war der Präsident, der Osama bin Laden hinrichtete und sich vom IS überrumpeln ließ. Der den asiatischen Raum zu seiner Priorität erklärte, aber kein robustes Handelsabkommen mit der Region durchsetzen konnte. Der zu alten Feinden wie Kuba und dem Iran Brücken baute und Verbündete wie Israel und Saudi Arabien abkanzelte."
Der schwarze Präsident und die Rassenfrage
Enttäuschte Erwartungen gab es auch beim Thema Einwanderung. Obama konnte sein Versprechen einer umfassenden Einwanderungsreform nicht umsetzen.
"Obama hat mehr illegale Einwanderer ausgewiesen als jeder andere US-Präsident bislang", sagt Politikwissenschaftlerin Andra Gillespie. "Dafür hat er viel Kritik von Gruppen geerntet, die sich für Immigranten stark machen. Und wenn man bedenkt, dass viele Demokraten sich gerne als die Verfechter offenerer Grenzen verkaufen, ist das schon ein ziemlich scharfer Kontrast."
Ein weiteres Schlüsselthema: Obama und die Rassenfrage. Der erste schwarze US-Präsident war mit dem Ziel angetreten, die Gesellschaft zu versöhnen, die soziale Kluft zwischen Armen und Reichen, Schwarzen und Weißen ein Stück weit zu schließen.
Es gab Projekte mit begrenzter Wirkung und viele symbolische Aktionen. So startete Obama eine Initiative zur Förderung farbiger Jugendlicher. Auch war er der erste US-Präsident, der ein Bundesgefängnis besuchte. In amerikanischen Gefängnissen sitzen überproportional viele Schwarze ein, häufig wegen Drogendelikten. In Obamas zweiter Amtszeit verschärften sich die Rassenkonflikte. Die Black-Lives-Matter-Bewegung trommelte immer lauter gegen den systemischen Rassismus in den USA. Brutale Polizei-Einsätze gegen Schwarze lösten Proteste und Krawalle aus, die in Städten wie Ferguson, Baltimore und Charlotte eskalierten.
Ist es ein Paradox, dass unter dem ersten schwarzen Präsidenten der USA die Wunde des Rassismus nicht etwa heilte, sondern mit Wucht weiter aufbrach? Dass während Obamas Präsidentschaft rassistische Gruppen stärker wurden statt schwächer? Zumindest war es nicht völlig überraschend, sagt Andra Gillespie:
"Solche Gegenreaktionen gab es öfter in der amerikanischen Geschichte. Nach dem Ende der Sklaverei und der Ära der Reconstruction im 19. Jahrhundert gab es Rassentrennung und Lynchjustiz." Nach dem Bürgerrechtskampf habe sich in den späten 1960er und 70er Jahren die soziale Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen verschärft. "Obamas Präsidentschaft zeigt, dass ein afroamerikanischer Präsident kein Allheilmittel gegen Rassismus ist, sondern vielmehr die Risse in der Gesellschaft offenlegt."
Republikaner wollen Obamacare aushöhlen
Aus dem gemischten politischen Erbe von Barack Obama ragt ein Projekt heraus: die Gesundheitsreform. Sie gilt als sein größter innen- und sozialpolitischer Erfolg. Zugleich gehört sie zu den umstrittensten Projekten seiner Amtszeit. Offiziell heißt das Gesetzespaket Patient Protection and Affordable Care Act, kurz: ACA. Doch Freund und Feind sprechen nur von Obamacare.
Obama unterzeichnete das Gesetz im März 2010, nachdem es ohne eine einzige Stimme der Republikaner durch den Kongress gegangen war. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Demokraten bei den Halbzeit-Wahlen wenige Monate später ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren. Viele sagen: Das war der politische Preis für Obamacare.
Die wichtigsten Errungenschaften der Gesundheitsreform: eine allgemeine Krankenversicherungspflicht und staatlich subventionierte Policen für geringer Verdienende, die nicht, wie die meisten Amerikaner, über ihren Arbeitgeber versichert sind. Auch dürfen Krankenkassen nun nicht mehr, wie noch zuvor, Menschen mit Vorerkrankungen abweisen. Kinder können bis zum 26. Lebensjahr über die Police ihrer Eltern versichert bleiben. Und es gibt keine Obergrenze mehr für die Erstattung von medizinischen Leistungen.
Politikwissenschaftlerin Gillespie ist überzeugt: "Obamacare wird als politisches Erbe Bestand haben. Wie auch immer es mit diesem Gesetz weitergeht – es wird ein Meilenstein in der künftigen Debatte um die Gesundheitsversorgung bleiben. Ganz einfach, weil es so viele Elemente darin gibt, die enorm populär sind, selbst bei Republikanern."
Dank Obamacare haben heute 20 Millionen Amerikaner, die zuvor nicht versichert waren, einen Krankenversicherungsschutz. Die Zahl der Nicht-Versicherten sank von 16,3 Prozent im Jahr 2010 auf 8,8 Prozent im Jahr 2017. Zugleich – und vielleicht gerade wegen dieses Erfolges – hat sich Donald Trump auf Obamacare eingeschossen. Er werde die Katastrophe namens Obamacare kippen und ersetzen, hatte Trump im Wahlkampf immer wieder angekündigt.
Das hat bislang nicht geklappt. Mehrfach setzten die Republikaner im Kongress an, das Gesetz abzuschaffen und ein neues Gesundheitspaket zu beschließen. Doch sie scheiterten – auch am Widerstand aus den eigenen Reihen.
Zwar versucht die Regierung Trump weiterhin, Obamacare zu unterminieren und auszuhöhlen. Zum Beispiel, indem die Strafsteuer für Menschen, die sich der Krankenversicherungspflicht entziehen, abgeschafft wurde. Ob Obamacare ohne die Strafsteuer überhaupt noch verfassungskonform ist, darüber wird in den nächsten Jahren der Oberste Gerichtshof entscheiden.
Substanz und Symbolpolitik
Doch Andra Gillespie ist zuversichtlich, dass die Gesundheitsreform als wichtigstes Erbe der Obama-Präsidentschaft überlebt, auf die eine oder andere Weise: "Es wäre politisch riskant für die Abgeordneten, Obamacare noch mehr zu zerlegen als es schon passiert ist, vor allem die populären Aspekte des Pakets. Und dabei ist es egal, ob Obamacare vor Gericht überlebt, oder ob das Gesetz teilweise umgeschrieben werden muss. Im Übrigen zeigt die Erfahrung, dass es kaum möglich ist, soziale Leistungen, die einmal genehmigt wurden, wieder wegzunehmen."
Eine Gesundheitsreform, ein Konjunkturpaket, große Hoffnungen und sehr viel Symbolpolitik: Das stehe nach ihrer vorläufigen Bewertung auf der Haben-Seite der Präsidentschaft von Barack Obama, sagt Andra Gillespie.
"Viele meiner Kollegen sagen, dass Obamas Präsidentschaft zwar symbolisch wichtig war, aber in der politischen Substanz eher schwach. Aber ich gebe zu bedenken, dass Amerika am Ende von Obamas Amtszeit zumindest wirtschaftlich sehr viel besser dasteht als zu Beginn. Und dass einige der Erfolge unter Präsident Trump – die geringere Arbeitslosigkeit auch unter Afroamerikanern und Hispanics zum Beispiel – ein Trend war, der unter der Obama-Administration begann. Und schließlich, sagt sie, dürfe man nicht unterschätzen, wie wichtig Symbolik für jede Präsidentschaft sei.