Es war ein längst überfälliger Einschnitt in der Geschichte der deutschen Justiz: Am 18. November 1994 wurde Jutta Limbach als erste Frau ins Amt der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts eingeführt. Zwölf Richtern standen damals nur vier Richterinnen gegenüber. Aber war das Gericht auch männlich dominiert?
Uta Fölster, heute Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, war lange Jahre Jutta Limbachs Pressesprecherin und sieht das nichts so: "Ich würde nicht sagen, dass die männlichen Richter in den beiden Senaten die beiden Frauen dominiert und unterdrückt haben gar. Die Zeit, wo man von dem ein oder anderen Schneewittchen-Senat sprach, das heißt eine Frau, das war Schneewittchen in einem Senat und dazu die sieben Zwerge, die war jedenfalls zu dem Zeitpunkt erst einmal vorbei."
Über die Aufnahme Jutta Limbachs durch ihre vorwiegend männlichen Kollegen sagt Uta Fölster: "Man hat sie mit dem gebührenden Respekt behandelt. Sie hatte abgesehen von ihrer überragenden juristischen Qualifikation eine unglaublich liebenswürdige, völlig unverstellte, freundliche, empathische Art und zudem war sie auch ungemein höflich."
Schrittmacherin der Gleichberechtigung
Für die 1934 geborene Jutta Limbach war die Rolle als Schrittmacherin der Gleichberechtigung nicht neu. Ihre Urgroßmutter hatte im späten 19. Jahrhundert den "Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein" gegründet, ihre Großmutter war in der Weimarer Republik Reichstagsabgeordnete für die SPD. Jutta Limbach studierte Jura, promovierte, heiratete und bekam drei Kinder. In den bewegten 68er-Zeiten hatte sie Mühe, das alles unter einen Hut zu bekommen, wie sie erzählte: "Wir liefen bei einer großen Demonstration der 68er mit unserer Tochter im Kinderwagen entlang (…) jedenfalls kam ein junger Mann aus der Reihe der Demonstranten zu uns und sagte: ‚Sie sollten mit Ihrem Kind doch besser in eine der Seitenstraßen abzwitschern.‘"
In "Seitenstraßen abzuzwitschern" war nicht Jutta Limbachs Sache. Im Gegenteil, mit Courage und Lernbereitschaft wurde sie 1972 die erste Juraprofessorin an der Freien Universität und 1989 die erste Justizsenatorin von Berlin. Die Wahl zur Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts 1994 ging allerdings nicht ohne Gezänk in ihrer eigenen Partei, der SPD, über die Bühne. Dass sie eine Frau war, fand man gut, aber dass sie die Meinungen von Parteikollegen gelegentlich als "Funktionärsgeschwätz" bezeichnete, trug ihr Kritik ein. Was Jutta Limbach allerdings nicht hinderte, eine unerschrockene erste Richterin des Staates zu werden.
Als das Bundesverfassungsgericht 1995 die Kreuze aus bayrischen Klassenzimmern verbannte und den Spielraum für pazifistische Kritik an der Bundeswehr erweiterte, hatte das Gericht mit einem Ansehensverlust in der Öffentlichkeit zu kämpfen, wie Limbach erzählt: "Ich denke, was uns damals misslungen ist, war, diese Beschlüsse in ihrer Differenziertheit dem Publikum zu erläutern."
Mehr Zugang für die Öffentlichkeit
Eigene Fehler auch nur für möglich zu halten, ist eine in hohen Ämtern nicht übermäßig verbreitete Tugend. Sie sogar zu korrigieren und als Ansporn für neue Wege zu nutzen, war eine von Jutta Limbachs Stärken.
"Sie hatte daraus ein ganz starkes Bedürfnis entwickelt, dieses Gericht zu dem zu machen, was es eigentlich auf dem Papier auch ist, nämlich zu einem Bürgergericht. Sie hat nicht nur eine Pressestelle geschaffen, sondern sie hat auch Tage der offenen Tür eingeführt, sie hat dafür gesorgt, dass viel mehr mündlich verhandelt wurde, auch sogenannte kleinere Verfahren", sagt Uta Fölster.
Als Jutta Limbach 2002 in den Ruhestand trat, war ihr Ansehen so hoch, dass sie sich vor Ehrenämtern kaum zu retten wusste. Als Präsidentin des Goethe-Instituts war sie überall auf der Welt eine leidenschaftliche Botschafterin der deutschen Literatur und Sprache – und verriet bei ihren Reden manchmal auch ihr Erfolgsgeheimnis: "Leben ist im Grunde genommen ein Lernprojekt bis zum letzten Atemzug." 2016 ist Limbach im Alter von 82 Jahren gestorben.