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Verein für vertriebene Akademiker
Wissenschaftler - und nicht nur Flüchtling

Der Verein "Academic Experience Worldwide" unterstützt geflüchtete Akademiker dabei, Anschluss an die deutsche Wissenschaft zu finden. In Kooperation mit der Frankfurter Universität ist eine Vortragsreihe gestartet, in der Forscher aus Syrien, Eritrea und anderen Ländern referieren. Für viele ist das ein erster Schritt, um wieder als Wissenschaftler wahrgenommen zu werden.

Von Afanasia Zwick |
    Studentinnen und Studenten sitzen am 04.10.2016 in Bremen bei einer Einführungsveranstaltung der Universität in einem Hörsaal. Sie sind Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, vor allem aber aus Syrien. Alle haben einen akademischen Hintergrund und zuvor das Bewerbungsverfahren durchlaufen. Foto: Carmen Jaspersen/dpa |
    23 Prozent der Flüchtlinge, die vergangenes Jahr nach Deutschland gekommen sind, besuchten eine Hochschule, schätzt das Bundesamt für Migration. Vielen fällt es schwer, in Deutschland Anschluss zu finden. (dpa / Foto: Carmen Jaspersen)
    Der Saal ist voll; steht offen für alle interessierten Bürger. Jeder der 50 Plätze in der Zentralbibliothek der Frankfurter Stadtbücherei ist besetzt. Die Zuhörer lauschen dem Vortrag von Khaldoun Abaza gespannt. Seine Stimme ist etwas zittrig. Der Ingenieur referiert über wurmartige Roboter:
    "Das ist sehr wichtig für bestimmte Aufgaben, zum Beispiel beim Erdbeben: Roboter mit Beinen oder Rädern können Leute nicht suchen und finden."
    Zwei verschiedene Prototypen hat der 46-jährige Syrer entwickelt. Bis Mitte des vergangenen Jahres forschte und lehrte er an der Universität Damaskus:
    "Es war einfach zu gefährlich dort zu bleiben. Jedes Mal, wenn ich meine Wohnung verlasse, ich weiss nicht, ob ich zurückkommen kann oder nicht."
    Verein will Austausch fördern
    Seit Khaldoun Abaza nach Deutschland geflüchtet ist, versucht er, hier Kontakte zu knüpfen: er will wieder arbeiten; will nicht immer nur von seiner Fluchtroute berichten, sondern viel mehr von seiner Forschung.Bei der neuen Vortragsreihe "Opening Academia" kann er das.
    Die Idee dazu stammt von Merle Becker. Sie möchte Akademiker aus aller Welt zusammenbringen und besonders geflüchteten Wissenschaftlern ermöglichen, hier schnell Anschluss zu finden. Dafür hat sie vor einem Jahr den Verein "Academic Experience Worldwide" unterstützt geflüchtete Akademiker dabei, Anschluss an die deutsche Wissenschaft zu finden. In Kooperation mit der Frankfurter Universität ist eine Vortragsreihe gestartet, in der Forscher aus Syrien, Eritrea und anderen Ländern referieren. Für viele ist das ein erster Schritt, um wieder als Wissenschaftler wahrgenommen zu werden." gegründet:
    "Angefangen haben wir mit den Tandems. Da ging es darum, dass geflüchtete Wissenschaftler mit Studierenden des gleichen Fachs zusammengebracht werden, so dass die Flüchtlinge in Anführungszeichen in die Mentorenrolle kommen und den Studierenden helfen und andersrum auch jemanden haben, der Deutsch spricht, die Bürokratie kennt usw.
    Dann bieten wir ein Seminar an regelmäßig alle 2 Wochen. Wir haben aber auch ganz tolle Kontakte zur Wirtschaft mittlerweile. Das heißt, da versuchen wir, Kamingespräche zu schaffen, um Stereotype abzubauen."
    Viele Vorurteile gegenüber Flüchtlingen
    Auf Vorurteile stößt die Organisatorin Merle Becker oft. Am meisten bedauert sie, dass der Karriereweg vieler Flüchtlinge hier häufig als nichtig erscheint:
    "Das ist einfach das größte Vorurteil, dass gar nicht das Wissen darüber da ist, dass gar nicht Akademiker hier überhaupt ankommen. Also, dass diesen Menschen einfach nicht zugetraut wird, dass sie das alles gemacht haben. Sie bekommen, wenn sie hier ankommen den Stempel Flüchtling und verlieren in dem Moment alles, was sie sich vorher aufgebaut haben.
    Und wir haben jetzt den Fokus auf Akademiker, aber das ist ja das Gleiche mit allen anderen Menschen; die haben ja alle vorher ein Leben gehabt. Also es gibt nicht nur den Moment der Flucht, sondern das ist ja nur ein ganz kleiner Teil und die Menschen identifizieren sich in den seltensten Fällen über diesen Moment der Flucht, sondern über all das, was sie vorher gemacht und erlebt haben.
    Es wird auch immer wieder in den Medien das Bild gezeichnet von jungen Männern, die am besten nichts gelernt haben, nicht lesen und schreiben können. Und das widerspricht natürlich absolut den top-ausgebildeten Menschen, die hier ankommen mit Doktortiteln und die teilweise schon in Professuren gearbeitet haben oder einfach - einfach in Anführungszeichen- nur mit Bachelor oder Master- Abschluss. Aber das ist natürlich extrem viel Potenzial."
    Universität Frankfurt kooperiert mit "Academic Experience Wordlwide"
    Eine Statistik zur beruflichen Qualifikation gibt es nicht. Jedoch schätzt das Bundesamt für Migration: 23 Prozent der Flüchtlinge, die vergangenes Jahr nach Deutschland gekommen sind und hier wahrscheinlich bleiben dürfen, besuchten eine Hochschule. Für die Goethe-Universität Frankfurt ist es selbstverständlich, mit "Academic Experience Worldwide" zu kooperieren und bei der Projektorganisation zu unterstützen, sagt die Vizepräsidentin der Goethe-Uni Tanja Brühl:
    "Was das Besondere ist, dass wir als Goethe-Universität ja selbst eine Erfahrung haben von Flucht und Migration. Also im Nationalsozialismus musste ein Drittel unserer Lehrenden und Studierenden die Universität verlassen. Aus dem Wissen heraus, dass einige zumindest eine neue akademische und auch reale Heimat gefunden haben im Ausland, führt dazu, dass wir sagen: genau so eine Heimat möchten wir auch anderen Menschen geben."
    Vorträge helfen dem Selbstbewusstsein
    Khaldoun Abazas Stimme hat sich gefestigt. Der Vortrag ist für ihn der erste Schritt, wieder als Wissenschaftler wahrgenommen zu werden: "Habe ich viele Bewerbungen geschickt, aber bis jetzt kein einziges Vorstellungsgespräch gehabt", sagt Abaza. Das Publikum ist angetan von seinem Vortrag. Die meisten Zuhörer sind Studierende. Aber auch die Bürger aus Frankfurt sind begeistert:
    "Ich fand es schon sehr im Sinne des Titels, dass es Opening Academia war. Ich komme überhaupt nicht aus dem Fachbereich und hab überhaupt keine Ahnung von Robotik, hab wieder was gelernt- also super!"
    "Nur so kann man technisch überhaupt vorwärts kommen, dass jemand, der Bauingenieur studiert hat sich auch mit einem biologischen Vorgang, nämlich der Wurmfortbewegung auseinandersetzt."
    "Man hat an dem Beispiel gesehen, dass es sehr sehr helle Köpfe überall auf der Welt gibt, aber dass die Bedingungen auch essenziell dazu beitragen, aus dem hellen Kopf dann auch das herauszukitzeln, was seinem Potenzial entspricht und ich glaube, da geht’s und dann doch deutlich besser."
    Elf weitere Vorträge sind geplant. Den nächsten im Dezember wird ein geflüchteter Politikwissenschaftler aus Eritrea halten.