Mitgliedergewinnung im Sportverein Wie sinnvoll sind Sportgutscheine?
In Bayern, in Hamburg, in Sachsen-Anhalt – Sportgutscheine zu verteilen, ist im organisierten Sport keine Seltenheit. Die Ziele sind vor allem, Bewegung zu fördern, aber auch mehr Mitglieder in die Vereine zu locken. So einfach ist das aber nicht.
Es war eine besondere Ergänzung zur Schultüte: In Sachsen-Anhalt haben alle Erstklässler zum Schulstart einen Sportgutschein bekommen. Der Wert: 50 Euro. Das Geld ist dafür gedacht, den Mitgliedsbeitrag im Sportverein zu zahlen.
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20.000 Gutscheine hat das Land ausgegeben, davon sind bis Ende September 800 Gutscheine eingelöst worden – viele von Kindern, die bereits in einem Sportverein sind. Der Landessportbund Sachsen-Anhalt hofft, dass bis Ende Oktober – solange ist der Gutschein gültig – auch noch mehr neue Mitglieder dazukommen, so Projektleiterin Johanna Deutsch. Die Zielgruppe dafür sei bewusst gewählt:
Die Lehrmethoden heute sind natürlich wunderbar bewegungsorientiert, aber das ersetzt nicht ein stundenlanges Spielen in einem Garten der Kita. Dass eigentlich dieser Ansatz doch ganz gut ist, für die Erstklässler zu sagen: Kommt, ihr seid jetzt in der Schule, da reduziert sich eure Bewegungszeit ja automatisch. Deswegen achtet mal auf eure Freizeitgestaltung, nutzt da ein sportliches Angebot.
Wie einfach sollen die Sportgutscheine sein?
In der Umsetzung ist das aber manchmal gar nicht so einfach, erzählt Heike Hempe. Sie ist Schulleiterin der Förderschule „Lebensweg“ in Bernburg an der Saale:
„Nun sind es Schulanfänger und da muss man wirklich sagen, dass nach der Hort-Betreuung für die Kinder nicht mehr die Möglichkeit besteht, am Vereinssport teilzunehmen, weil sie das einfach auch nachher nicht mehr leisten können.“
Denn in der Schule „Lebensweg“ findet eine Ganztagsbetreuung bis 16-17 Uhr statt. Die Idee der Gutscheine an sich findet Schulleiterin Hempe trotzdem gut – es müsste nur etwas flexibler sein:
„Also, dass wir als Schule die Entscheidungsbefugnis haben, diese Gutscheine dann gezielt an ältere Schüler auszugeben, die vom Grad der Selbstständigkeit in der Lage sind, nach Unterrichtsschluss auch in den Vereinssport zu gehen.“
„Naja, das ist ja genau die Abwägung: Wie einfach soll es sein?“, erwidert Sportwissenschaftler Lutz Thieme, der sich mit der Mitgliedergewinnung im Sport beschäftigt. Er betont:
„Und umso einfacher es ist, umso stärker Gießkanne ist es dann eben auch. Und umso stärker Gießkanne es ist, umso mehr Mitnahmeeffekte habe ich, und umso weniger kann ich besondere Ansprüche von Gruppen eben auch berücksichtigen. Und wenn ich das wiederum mache, dann steigt der Aufwand.“
Sportgutscheine ohne langfristigen Effekt auf Sportlichkeit
Das Modell der Sportgutscheine ist nicht neu: Sachsen hat schon in den Jahren 2009 bis 2012 an Dritt- und Viertklässler Sportgutscheine vergeben. Einen positiven Effekt habe es aber nicht gegeben, sagt Jan Marcus, Professor für Angewandte Statistik in Berlin. Er hat die Wirksamkeit der Gutscheine untersucht:
„Unsere Ergebnisse haben dann eben gezeigt, dass diese Sportgutscheine nicht dazu geführt haben, dass mehr Kinder langfristig im Sportverein sind. Und dementsprechend haben wir auch nicht befunden, dass mehr Kinder jetzt mehr Sport machen oder insgesamt gesünder sind.“
Marcus glaubt, dass zusätzliche Ausgaben für teures Sportequipment und auch der logistische Aufwand eine langfristige Mitgliedschaft verhindern.
Was wir auch schon gesehen haben: Dass die dritte Klasse möglicherweise sehr spät ist, weil viele Kinder da bereits Mitglieder im Sportverein sind. Und wenn man früher ansetzt, dass dann so ein Programm vielleicht mehr Chancen hat.
Je früher im Verein, desto besser?
Das denkt auch Johanna Deutsch vom Landessportbund Sachsen-Anhalt. „Je früher Menschen dem organisierten Sport beitreten oder je früher da eine sportliche Aktivität begonnen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass das auch langfristig so bleibt oder dass es quasi Wiederkehrer in den Sport werden. Also deswegen: Je früher, desto besser.“
„Die frühe Mitgliedschaft in einem Verein ist eben noch nicht ein Garant für eine lebenslange Mitgliedschaft im Verein. Ich kenne, ehrlich gesagt, keine Studien, die eine frühe Vereinsmitgliedschaft jetzt nur mal korrelieren mit Bewegungszeit im Alter.“
Das weiß hingegen Lutz Thieme aus Statistiken zur Vereinsentwicklung. Im Alter zwischen neun und elf Jahren sind die meisten Kinder im Sportverein, danach gibt es einen deutlichen Rückgang.
Thieme glaubt nicht, dass Sportgutscheine daran etwas ändern können: „Also ich bin bei der Bindungswirkung, ehrlich gesagt, relativ skeptisch. Also möglicherweise gibt es so eine Push-Wirkung, dass mehr Kinder dann in der ersten Klasse in den Sportverein hineinkommen.“
Vereine müssen Kapazitäten für Sportgutschein-Einlösung haben
Man kann die Gutscheine aber auch spezifizieren – so wie der Bayerische Landessportverband: 50-Euro-Gutscheine für Erstklässler und Vorschulkinder, damit sie das „Seepferdchen“ machen.
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Kinder, die in Sachsen-Anhalt ihren Gutschein beim Schwimmverein einlösen wollen, werden teils mit der Warteliste vertröstet. In manchen Vereinen fehlen die Kapazitäten für neue Mitglieder. In solchen Fällen versuche der Landessportbund, den Vereinen und Eltern zu helfen.
LSB Sachsen-Anhalt investiert in Beratung der Eltern
Das hat den Arbeitsaufwand für den LSB erhöht. Für Johanna Deutsch sind das aber lohnende Überstunden: „Wir sehen das so quasi als Anfüttern.“
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In einem zweiten Schritt wolle man dann informieren, welche Unterstützungsmöglichkeiten es nach Einlösen des Gutscheins auch für finanziell schwächere Familien gibt:
„Gerade diese Familien finden den Weg immer erst sehr schwer in den Sportverein. Und wenn wir sie aber erst mal da haben, glaube ich, ist es leichter, sie zu binden, als sie überhaupt erst zu gewinnen.“
Johanna Deutsch ist gespannt, wie gut die Gutscheine in Sachsen-Anhalt ankommen: Der Bayerische Landessportverband hat derweil noch eine neue Gutschein-Zielgruppe gefunden: Bis zum Jahresende sollen dort Menschen, die älter als 50 Jahre sind, durch Gutscheine in den Vereinssport gelockt werden.