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Vereine im Lockdown
Corona trifft den deutschen Breitensport hart

Seit Monaten geht kaum noch etwas im Breitensport - Sporthallen sind geschlossen, Wettkämpfe abgesagt. Viele der rund 90.000 Vereine in Deutschland bringt das in Bedrängnis. Der Deutsche Olympische Sportbund ist in die Kritik geraten: Er habe nicht genug Lobbyarbeit bei der Politik geleistet.

Von Maximilian Rieger |
Gross-Umstadt 10.November 2020 zum Thema: Bolzplatz v.l., Bolzplatz gesperrt, Fussballtor abgesperrt, zur Eindämmung des Coronavirus wurden Geschäftsschließungen, Einschränkungen und Kontaktsperren angeordnet und werden Ausgangssperren diskutiert, leeres Bolzplatz, keine Spiele, Fussballplatz, das Foto zeigt News, Coronavirus, Impressionen Gross-Umstadt / Hessen
Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie sind ein herber Rückschlag für den Breitensport (picture alliance / dpa / Joaquim Ferreira)
Der Ausnahmezustand für den Sport beginnt mit diesem Satz: "Für den Publikumsverkehr zu schließen sind: Der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern und Fitnessstudios."
Auf diese Maßnahme einigen sich Bund und Länder am 16. März 2020 in einer Bund-Länder-Vereinbarung. Seitdem befinden sich die rund 90.000 deutschen Sportvereine in einem Rhythmus zwischen Lockdown und Lockerung – mit dem Virus als Taktgeber. Für die Vereine bedeutet das: Bis auf ein paar Monate im vergangenen Sommer und ersten Lockerungen dieses Frühjahr steht der Breitensport still, bleiben Sporthallen geschlossen, werden Wettkämpfe abgesagt.
"Das, was den Sport ausmacht, nämlich auch Sport in Gruppen zu treiben, das ist seit November nicht möglich. Ob das im Kinder- und Jugendbereich ist, ob das der Mannschaftssport ist, der Wettkampfsport, aber vor allem auch der Freizeitsport, auch der Gesundheitssport – das ist alles nicht möglich und das ist für die Vereine natürlich nach einem halben Jahr dramatisch", berichtet Boris Schmidt, Vorstandsvorsitzender der TSG Bergedorf, einem Verein aus dem Hamburger Osten.
Sein Club bietet 26 Sportarten an, von Fußball bis Fitness. Er ist einer der größten Sportvereine Deutschlands, vor Corona hatte er rund 11.000 Mitglieder. "Jetzt werden wir am 1.7. erstmalig unter 8.000 Mitglieder rutschen. Das sind zwar noch immer viele Mitglieder, aber das ist eine gewaltige Zahl von Mitgliedern, die eben erst mal nicht mehr da sind. Und ob die tatsächlich alle wiederkommen und in welchem Zeitraum, also, wie lange es dauert – das wissen wir überhaupt nicht."

Zweifelhafte Hochrechnungen des DOSB

Fast 30 Prozent an Mitgliedern hat die TSG Bergedorf innerhalb kurzer Zeit verloren. Eine Millionen Euro weniger steht dem Verein alleine dadurch zur Verfügung. Noch hilft das Kurzarbeiter-Geld, um diese Verluste zu verkraften. Aber für viele Vereine geht es nicht ohne Unterstützung. Die finanziellen Einbußen waren im Frühjahr 2020 auch eine große Sorge des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB. Der Präsident des Dachverbandes, Alfons Hörmann, warnt damals im Sportausschuss des Bundestages vor einem möglichen Schaden für die Sportvereine von mehr als einer Milliarde Euro.
Doch wie DLF-Recherchen im Nachhinein zeigen, basierte diese hohe Summe auf einer gänzlich unwissenschaftlichen Hochrechnung, bei der Schadensprognosen von einigen wenigen Vereinen aus vier Bundesländern auf alle 90.000 Vereine hochgerechnet wurden – ohne Rücksicht darauf, dass diese Werte deutlich nach oben verzerrt waren. Darüber hinaus stellte Hörmann bei der Anhörung die Ergebnisse einer Abfrage der Unternehmensberatung Deloitte falsch dar. Deloitte hatte die Sportverbände in den ersten Wochen der Krise befragt, wie sehr sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlten. 18 Prozent gaben an, sich "stark" oder "sehr stark" bedroht zu fühlen. 55 Prozent gaben an, "eventuell gefährdet" zu sein.
Das Protokoll der Anhörung, das dem Deutschlandfunk vorliegt, zeigt aber: Hörmann gibt vor dem Sportausschuss an, dass drei Viertel aller Verbände sich "stark" oder "sehr stark" in ihrer Existenz bedroht fühlen – zeichnet damals also ein weit dramatischeres Bild. Viele Fragen dazu hat der DOSB nicht beantwortet. Stattdessen hat er über eine Anwaltskanzlei ausrichten lassen, dass die Zahlen nur eine Prognose gewesen seien und dies auch deutlich gemacht wurde.
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"Föderalismus ist gut, aber nicht immer gut"

Die Prognosen haben sich inzwischen relativiert. Mehr als 300 Millionen Euro hat der Bund für die Unterstützung von Profi-Sportvereinen außerhalb der 1. und 2. Fußball-Bundesliga bereitgestellt. Rund 100 Millionen Euro sind bis jetzt abgeflossen. Genauso viel, wie auch die Amateursportvereine aus den Sofort-Hilfe-Programmen der Länder erhalten haben, die sind zuständig für die Finanzierung des Breitensports.
"Ich sage mal so: Föderalismus ist gut, aber nicht immer gut", meint dazu Andreas Silbersack, Vize-Präsident für Breitensport beim Deutschen Olympischen Sportbund.
Denn während einige Bundesländer sehr schnell reagiert haben, hätten sich andere Länder mehr Zeit gelassen. Auffällig ist außerdem, wie unterschiedlich die Programme gestaltet wurden. Bayern hat die so genannte Vereinspauschale - eine Zahlung, die alle Vereine bekommen - einfach verdoppelt. In anderen Ländern müssen die Vereine nachweisen, dass sie in wirtschaftlicher Not sind. Während Baden-Württemberg großzügig ist und inzwischen fast 19 Millionen Euro ausgezahlt hat, hat das benachbarte Rheinland-Pfalz erst 650.000 Euro an Sofort-Hilfen ausgezahlt. Trotzdem sei kein Verein wegen der Pandemie insolvent gegangen, sagt der rheinland-pfälzische Innen- und Sportminister Roger Lewentz, der auch Vorsitzender der Sportministerkonferenz ist.
"Der Sport hat sich artikuliert. Wir haben auch die Hilfsmöglichkeiten mit dem Sport abgesprochen. Ich würde mich nicht wundern, wenn nicht alle im Sport mit jeder einzelnen Entscheidung – auch mit Entscheidungen, die wir in den jeweiligen Corona-Bekämpfungsverordnungen treffen mussten: Was ist erlaubt? Was ist nicht erlaubt? - zufrieden sind. Aber insgesamt kann ich für meinen Bereich – Sportministerkonferenz, Land Rheinland-Pfalz – jedenfalls werten und sagen, wir waren in einem sehr engen Austausch."
Und am Ende zieht auch Andreas Silbersack vom Deutschen Olympischen Sportbund ein positives Fazit: "Insgesamt sind, glaube ich, wirtschaftlich betrachtet die Amateurvereine ganz gut durch die Krise gekommen bisher. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich hier und da erhebliche Schwierigkeiten. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass dort, wo schon Probleme vorher da waren, die sich durch solche Situationen wie eine solche Pandemie dynamisieren."

Krise trifft vor allem große Vereine

Besonders Großvereine mit mehr als 1.000 Mitgliedern wie die TSG Bergedorf sind von der Krise getroffen, gerade der zweite Lockdown hat ihnen zugesetzt. Denn die Wintermonate sind traditionell die Monate, in denen besonders viele Menschen in einen Sportverein eintreten.
Diese Großvereine sind vor allem wegen ihrer Struktur anfällig. Anders als der klassische, kleine Dorfverein bieten sie nicht nur eine oder zwei Mannschaftssportarten wie Fußball oder Handball an. Stattdessen haben die Großvereine ein deutlich breiteres Sportangebot, betreiben eigene Fitnessstudios und bieten Reha-Sport-Kurse an. Sie besitzen oft eigene Sportanlagen, beschäftigen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch das unterscheidet sie von kleineren Vereinen, wo Ehrenamtliche für Buchhaltung und Training zuständig sind. Diese Strukturen machen sie in normalen Zeiten für viele Zielgruppen attraktiv, vor allem in Städten, als Alternative zu kommerziellen Anbietern wie Fitnessstudios. Gerade deswegen ist aber auch die Identifikation mit einem Großverein geringer: Den Mitgliedern fällt es leichter, wieder zu kündigen.
"Dort, wo der Sport im Verein eben auch noch stärker der soziale Kitt in einer Gesellschaft ist, also das Verbindende in einem Ort neben Kirche und Feuerwehr, dort spürt man eben, dass da sich in vielen Teilen überhaupt nicht die Frage stellt, ob jemand geht – sondern er bleibt. Und das ist natürlich auch ein ermutigendes Zeichen. Und insofern bei den Großsportvereinen, die auch in Teilen dann Dienstleister-Charakter haben, da sind die Problemstellungen größer und da sind die Verlust bei den Großsportvereinen auch größer", erklärt DOSB-Vize Andreas Silbersack.

Entwöhnung vom Sportverein

Dass kleinere Vereine deutlich besser durch die Krise kommen, zeigt sich auch in den Mitgliederstatistiken der Landessportbünde, die in jedem Bundesland die Zahlen erheben. Die knapp 90.000 Sportvereine haben 2020 insgesamt drei Prozent ihrer Mitglieder verloren. Das ist deutlich weniger als einzelne Großvereine wie die TSG Bergedorf, und auch deutlich weniger als die zehn bis 15 Prozent Mitgliederschwund, die der DOSB zu Beginn der Krise befürchtet hatte.
"Overall, in allen Altersgruppen, denke ich, sind wir mit einem blauen Auge davongekommen", meint Elvira Menzer-Haasis, Sprecherin aller Landessportbünde.
Trotzdem: Drei Prozent Verlust bedeuten in absoluten Zahlen mehr als 600.000 Mitgliedschaften, die 2020 erloschen sind. Sowohl Sportwissenschaftler als auch Verantwortliche aus Sport und Politik betonen daher, dass der Breitensport in einer problematischen Lage sei – zumal die Vereine in den Monaten seit der Erhebung weiterhin keine nennenswerten Aktivitäten anbieten durften.
Professor Christoph Breuer, Sportökonom von der Deutschen Sporthochschule Köln, warnt zum Beispiel davor, dass sich manche Mitglieder, die bisher nicht ausgetreten sind, vom Sportverein entwöhnt haben könnten: "Es gibt jenseits des formalen Vollzugs des Vereinsaustritts so etwas wie eine innerliche Kündigung des Mitglieds, die nicht temporär ist, aber vielleicht auch längerfristig ist. Und das heißt, formal hat das Mitglied noch den Mitgliedsausweis, aber es erscheint nicht mehr zu den Veranstaltungen des Vereins."
Dadurch könnten schon bestehende Probleme verstärkt werden. Denn viele Vereine hatten schon vor der Pandemie Schwierigkeiten, neue Ehrenamtliche für den Vorstand, neue Trainerinnen oder neue Schiedsrichter zu finden. Gerade Vereine, die einseitig auf Tradition setzen, ohne ihre Strukturen zu erneuern, seien deutlich weniger anpassungsfähig, so Breuer.
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Online-Sportangebote weiter gefragt

Eine weitere Beobachtung: Auch die digitale Kompetenz von Vereinen bestimmt, wie gut sie durch die Krise kommen. Die TSG Bergedorf hatte die Digitalisierung schon vor der Pandemie angestoßen. Deswegen habe der Verein schnell reagieren und digitale Angebote starten können, erzählt Boris Schmidt. "Yoga Flow mit Angela", "Morning Moves mit Ingrid" oder "Fit Dance mit Marcelo" heißen die Online-Kurse des Vereins. Den Menschen sei wichtig, dass sie ein bekanntes Gesicht sehen.
Nachfrage gebe es: "Wir haben danach eine Umfrage gemacht und festgestellt, dass die Mitglieder gerne sich gewünscht haben, dass wir – vielleicht nicht in dem Umfang wie während des Lockdowns – aber weiterhin online Sportangebote vorhalten."
Auch manche Mannschaften halten ihre Team-Sitzungen inzwischen digital ab und prosten sich mit ihrem Bier über den Bildschirm zu. Ebenfalls ein Grund, warum die Austritte bei vielen Vereinen womöglich ausgeblieben sind: Ein Team, in dem man viele Jahre gespielt hat, verlässt man nicht einfach so. Das zeigt eine Online-Umfrage des DFB , an der 100.000 Menschen aus dem Amateurfußball teilgenommen haben. 71 Prozent von ihnen vermissen die Gemeinschaft, und 83 Prozent wollen auf jeden Fall zurückkehren.
Die Verbundenheit mit dem Verein, in dem man spielt, hat aber während der Pandemie deutlich abgenommen. Sollte das langfristig dafür sorgen, dass die Sportvereine an Mitglieder verlieren, könnte das auch Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben, meint Christoph Breuer. Denn Sportvereine seien - wie Chöre oder die Freiwillige Feuerwehr - Orte, wo Menschen aus unterschiedlichen Bezügen zusammenkommen könnten.
"Dadurch entsteht soziale Nähe, und über soziale Nähe entsteht so etwas wie soziales Vertrauen zueinander. Und das produziert diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der notwendig ist. Wenn nun diese Vergemeinschaftungen nicht mehr stattfinden können, gibt es natürlich über kurz oder lang eine Delle im gesellschaftlichen Zusammenhang."
Frau macht Yogaübungen vor Smartphone auf Stativ mit Ringlicht
Viele haben in der Pandemie Online-Sportkurse für sich entdeckt (picture alliance / Zoonar / Kyrylo Shevtsov)

Bewegungsmangel bei jungen Menschen

Aber nicht nur der Mitgliederschwund, sondern noch eine weitere Folge der Pandemie macht den Verantwortlichen und Wissenschaftlern Sorge: der Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen. 60 Minuten Bewegung pro Tag empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation für Kinder und Jugendliche, wobei darunter nicht nur Sport fällt, sondern auch spielen und toben. Drei Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben dieses Ziel vor der Pandemie nicht erreicht. Das geht aus den Daten der MoMo-Studie hervor, die seit 2003 die körperliche Aktivität von Kindern untersucht.
Überraschenderweise haben sich Kinder und Jugendliche während des ersten Lockdowns sogar mehr bewegt – sie haben zwar keinen Sport in der Schule oder im Verein gemacht, haben dafür aber zum Beispiel mehr gespielt und sind mehr Rad gefahren. Geholfen hat dabei, dass das Wetter gut war und es noch wenig digitalen Unterricht gegeben hat – die Kinder hatten so mehr Freizeit. Im zweiten Lockdown ist beides nicht mehr der Fall gewesen. Und prompt ist die Gesamtbewegung eingebrochen. Nur noch 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen erreichen jetzt die Mindestempfehlung von 60 Minuten Bewegung pro Tag, berichtet der Studienleiter der MoMo-Studie, Alexander Woll, im SWR. Mit vielen Folgen:
"Es fehlen natürlich viele Impulse nicht nur für die körperliche Entwicklung, die gesundheitliche Entwicklung, auch für die kognitive Entwicklung und die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Also, da fehlen doch sehr, sehr viele Bereiche, weil Bewegung, Spiel und Sport ist trotz des Medienkonsums immer noch eine ganz zentrale Aktivität, die für das gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen von großer Relevanz ist."
Auch die Verantwortlichen im Sport haben das Problem erkannt und fordern, den Sport zumindest für Kinder und Jugendliche zu erlauben. Einzelne Bundesländer wie Berlin oder Nordrhein-Westfalen haben es in ihren Corona-Schutzverordnungen ermöglicht, dass Kinder draußen in Gruppen von bis zu 20 Personen wieder gemeinsam Sport treiben dürfen. Die Bundesnotbremse erlaubt bei einer Inzidenz von über 100 nur kontaktlosen Sport für fünf Kinder. Der Deutsche Olympische Sportbund wiederholt mantraartig, der Sport sei kein Treiber der Pandemie.
Zwei Sportler von Alba Berlin stehen in der Umkleide und schauen in die Kamera
Alba Berlin erweitert digitales Sportprogramm
Als die Schulen in der Corona-Pandemie auf Distanzunterricht umstellen mussten, fiel der Sportunterricht häufig aus. Alba Berlin brachte daraufhin mit der digitalen "täglichen Sportstunde" Bewegung in die Kinderzimmer.

DOSB-Kampagne für mehr Bewegung

Allerdings sind enge Kabinen, gemeinsame Fahrten zu Auswärtsspielen oder das gesellige Beisammensein nach dem Training ideale Bedingungen für das Coronavirus. Im vergangenen Oktober verzeichnete das Gesundheitsministerium Sachsen-Anhalt zum Beispiel 35 Ausbrüche in Sportvereinen. Die Vereine spielten bei der Verbreitung durchaus eine Rolle, wenn auch nicht in dem Maße wie Familienfeiern oder Busreisen, so das Ministerium. Gleichzeitig ist auch wahr, dass Sport das Immunsystem stärkt. Eine US-amerikanische Studie zeigt zum Beispiel, dass Menschen, die sich bewegen, eine höhere Chance haben, eine Corona-Infektion zu überleben. Dass Sport gesund ist, will der Deutsche Olympische Sportbund auch in einer großangelegten Kampagne in den Mittelpunkt rücken, die gerade geplant wird. Eine Art Trimm Dich 2.0, in Anlehnung an die Fitnessbewegung in den 70er- und 80er-Jahren.
"Wir wollen Stimuli setzen, damit tatsächlich wieder dieses 'Bewegen' wieder als Anreiz verstanden wird. Und das muss man erst mal schaffen, wenn ich einen Zehnjährigen habe, der die letzten anderthalb Jahre vorher vielleicht Fußball oder Handball gespielt hat, der jetzt ein Jahr und zwei Monate möglicherweise nur vor dem Computer saß", sagt DOSB-Vizepräsident Andreas Silbersack.
Geplant sind neben Werbeaktionen auch Kooperationen mit Krankenkassen. Silbersack schlägt zum Beispiel vor, dass die Kassen den Mitgliedsbeitrag für Kinder und Jugendliche zahlen, die es sich sonst nicht leisten können – als Investition in die Zukunft, um höheren Kosten durch Bewegungslosigkeit vorzubeugen. Eine Idee, der auch Sportökonom Christoph Breuer etwas abgewinnen kann.
"Wenn es sich so darstellt in dem jeweiligen Verein, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial prekären Lagen verloren wurden, dann bedarf es entsprechender Programme für diese. Es liegen gerade aus Australien doch interessante Studien vor, dass dort mit kostenlosen Mitgliedschaften viele Kinder und Jugendliche aus entsprechenden Bereichen gewonnen werden konnten."

"Enormes Bedürfnis, an der frischen Luft Sport zu treiben"

Auf der Agenda des DOSB steht außerdem, die Sportstätten attraktiver zu machen. Dabei geht es nicht nur darum, den Sanierungsstau bei Sporthallen abzubauen. Sondern die Sportstätten so zu gestalten, dass sie den veränderten Bedürfnissen entsprechen. Boris Schmidt hat bei der TSG Bergedorf zum Beispiel gute Erfahrungen damit gemacht, Yoga- oder Zumba-Kurse auf einer überdachten Outdoor-Fläche anzubieten.
"Vor allem natürlich auch bei gutem Wetter. Aber auch wenn es kälter wurde, sagt jeder: 'Ich kann mir auch einen Trainingsanzug anziehen. Aber ich mache lieber draußen Sport als im engen, stickigen Gymnastiksaal.' Natürlich immer mit dem Virus und mit der Pandemie im Hintergrund. Aber das wird nicht komplett weggehen, sondern das Bedürfnis, an der frischen Luft – und bei gutem Wetter allemal – Sport zu treiben, das ist enorm."
Entsprechend plant der Verein, zwei Hallen zu bauen, die an den Seiten offen sind. Sportstättenbau ist allerdings teuer und für die Vereine kaum selbst finanzierbar. Auch hier braucht es also die Unterstützung durch die Politik. Die Krise habe aber gezeigt, dass der Deutsche Olympische Sportbund es nicht geschafft habe, neben Sportpolitikerinnen und -politikern weitere Verbündete zu gewinnen, analysiert Christoph Breuer.
"Insgesamt hat die Krise auch in ernüchternder Weise gezeigt, dass der Sport nicht so politikfähig war, wie er das lange Zeit geglaubt hat. Die Mechanismen, die bei politischen Schönwetter funktioniert haben für die Einflussnahme für den Sport, haben eben bei politischem Schlechtwetter nicht mehr funktioniert. Von daher, denke ich, muss auch der organisierte Sport seine Politikfähigkeit insgesamt überdenken."
Bälle verschiedener Sportarten in einem Schrank.
"Der Sport muss selbstbewusster auftreten"
Der organisierte Sport hat sich in der Corona-Pandemie gut geschlagen, sagt Sportwissenschaftler Lutz Thieme. Dennoch gebe es bei der Lobby-Arbeit des Sports Verbesserungsbedarf.

Hat der DOSB zu wenig Lobbyarbeit geleistet?

Auch aus dem Sport selbst kommt Kritik. Christoph Nießen, Geschäftsführer des Landessportbundes NRW, wirft dem DOSB mangelnde Lobbyarbeit bei der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes vor wenigen Wochen vor.
"Das wurde spätestens seit Anfang April diskutiert. Und wenn ich dann am 16. April erst an die Fraktionsvorsitzenden herantrete und am 14. April war das Gesetz aber schon in erster Lesung im Bundestag, dann muss ich feststellen, ich bin einfach zu spät", kritisierte Nießen im Deutschlandfunk.
In der Tat fällt auf, dass der Gesundheitsausschuss den DOSB bereits zweimal zu seinen Anhörungen zum Infektionsschutzgesetz nicht eingeladen hat, während zum Beispiel der Kulturrat seine Positionen vortragen durfte. Auch Elvira-Menzer Haasis sieht daher Verbesserungsbedarf.
"Also, ich glaube schon, dass wir einiges an Potenzial haben. Aber wie gesagt, manchmal vielleicht auch etwas zu leise sind. Wobei man dann schon auch aufpassen muss, dass man den Bogen nicht generell überspannt. Also nur mit Forderungen zu kommen, ohne sie mit tatsächlichen Fakten zu hinterlegen, hilft auch nicht. Also von daher möchte ich mal sagen: Problem erkannt. Und wir arbeiten daran."

Finanziell schwierigste Zeit steht noch bevor

Der DOSB werde die Pandemie auch zum Anlass nehmen, um das Thema politische Einflussnahme weiter voranzutreiben, verspricht auch Vize-Präsident Silbersack: "Ganz klar, Luft nach oben ist da definitiv. Wir sind da dran. Und ich bin aber auch guten Mutes, dass wir jetzt noch verstärkt diese Fragen der politischen Wahrnehmung und der Einbeziehung in politische Prozesse in der Zukunft auch noch stärker hinbekommen."
Darauf setzt auch Boris Schmidt. Der nächste Test für die Politikfähigkeit könnte nämlich bald kommen. Die finanziell schwierigste Zeit drohe erst noch – dann nämlich, wenn er die Anlagen wieder hochfahren darf, die Kurzarbeit endet, aber die Kurse noch nicht voll sein werden. Die Coronakrise wird die TSG Bergedorf und die anderen Vereine also lange nach dem Lockdown beschäftigen.