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Vereinfachte Steuererklärung
"Die Ehrlichen sind die Dummen"

Die Politik wolle nur Personal in den Finanzämtern abbauen, kritisierte der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft Thomas Eigenthaler im DLF. Die geforderte Selbstveranlagung sei aber nur möglich, wenn das deutsche Steuerrecht gravierend vereinfacht und entrümpelt werde.

Thomas Eigenthaler im Gespräch mit Dirk Müller | 10.01.2014
    Dirk Müller: Das Thema Steuervereinfachungen, Steuererklärung – unser Thema auch mit Thomas Eigenthaler, Chef der deutschen Steuergewerkschaft, selbst gelernter Steuerinspektor, fast 40 Jahre in der Steuerverwaltung tätig. Guten Morgen!
    Thomas Eigenthaler: Guten Morgen!
    Müller: Wenn wir jetzt alles selbst machen können – ist das eine freie Fahrt für Steuerbetrug?
    Eigenthaler: Nun, da wird natürlich gerade viel Wind gemacht. Es ist nicht so, dass das Steuerrecht einfacher wird. Die Große Koalition hat sich das Thema Steuervereinfachung ja gar nicht vorgenommen. Man will mehr Elektronik, aber da sind wir als Experten sehr, sehr skeptisch. Wir haben heute schon Elektronik, aber das hat uns auch viel Ärger bereitet. Etwa musste die elektronische Lohnsteuerkarte um zwei Jahre verschoben werden, weil ja die Daten, die wir zugeliefert bekommen, ja alle stimmen müssen, etwa von Kommunen, von Versicherungen – und da hapert es manchmal. Also erst mal gemach: Hier werden Hoffnungen geweckt, die möglicherweise nur sehr schwer zu erfüllen sind.
    Müller: Aber noch mal: Es gibt ja jetzt dieses Stichwort Selbstveranlagung. In Großbritannien beispielsweise ist das ja offenbar gang und gäbe. Wenn ich jetzt alles selbst machen kann, schicke das ans Finanzamt und werde als normaler Steuerzahler, in Anführungszeichen, nicht mehr weiter kontrolliert – kann ich dann betrügen?
    Eigenthaler: Ja, natürlich. Selbstveranlagung bedeutet, dass der Steuerzahler die Steuererklärung abgibt, sofort sein Steuerbescheid kommt, auch vielleicht eine Erstattung, und dass kein Finanzbeamter diese Steuererklärung mehr überprüft. Das kann ja nun nicht sein, das öffnet dem Steuerbetrug Tür und Tor. Und der Staat wird dann mit harten Sanktionen reagieren. Ich weiß nicht, ob das gewollt ist.
    Müller: Stichproben immerhin sind ja in der Diskussion.
    Eigenthaler: Gut, Stichproben sind schön und gut, aber wenn der Bürger zu häufig spürt, dass nicht geprüft wird, dann kann die Sache nicht gut gehen. Hinter all diesen Plänen steckt ja etwas ganz anderes: Die Politik möchte in vielen Ländern das Personal im Finanzamt abbauen. Das ist der eigentliche Grund.
    Müller: Das ist nicht berechtigt?
    Eigenthaler: Nein. Das Steuerrecht ist sehr schwierig. Wir haben ja auch jede Menge Steuerhinterziehung, auch Steuerflucht ins Ausland. Und deshalb hat das Bundesverfassungsgericht vor 20 Jahren schon gesagt: Eine Steuererklärung muss überprüft werden!
    Müller: Herr Eigenthaler, Sie kennen sich ja da aus, Sie haben ja auch schon Tausende von Steuerbescheiden gesehen und Sie haben vor allen Dingen auch gefahndet, nachgespürt. Aber wir gehen jetzt noch mal vom Normalbürger aus, inwieweit es den überhaupt gibt, den normalen Steuerzahler. Ist das, was von ihm verlangt wird, intellektuell, physisch, psychisch zumutbar?
    Eigenthaler: Das Steuerrecht in Deutschland ist außerordentlich kompliziert und viele brauchen ja auch einen Steuerberater dazu, sonst könnten sie diese Dinge überhaupt nicht leisten. Und deshalb sage ich: Eine Selbstveranlagung wie gefordert ist nur möglich, wenn das deutsche Steuerrecht gravierend vereinfacht und entrümpelt wird.
    Müller: Also das auf jeden Fall, gar keine Frage – es muss einfacher, klarer werden, es müssen weniger Regelungen her?
    Eigenthaler: Das ist genau der Punkt. Wir brauchen keine Einzelfallprüfungen mehr in diesen Punkten, sondern ich fordere, dass viel mehr mit Pauschalen gearbeitet wird, und dann kann auch der Steuerzahler die Sache selbst erledigen und eine Überprüfung durch das Finanzamt ist weit weniger erforderlich.
    Müller: Weniger Regeln, Herr Eigenthaler, heißt das auch weniger Ausnahmen?
    Eigenthaler: Natürlich. Das deutsche Steuerrecht ist voll von Ausnahmen von irgendwelchen Abzugsmöglichkeiten, die außerordentlich kompliziert formuliert sind in den Gesetzen. Die Paragrafen werden immer länger. Das ist das eigentliche Problem. Und über viele Jahre wurde auch versucht, mit dem Steuerrecht irgendetwas zu steuern. Das geht natürlich dann nicht mehr.
    Müller: Und der Clevere gewinnt nach wie vor?
    Eigenthaler: Nun, wenn das Steuerrecht gravierend vereinfacht ist, die ganzen Ausnahmen weg sind, dann wird dieses Problem weniger. Aber heute ist es so: Der Clevere marschiert durch und der Ehrliche ist der Dumme.
    Müller: Geben Sie uns, Thomas Eigenthaler, aus Ihrer Erfahrung heraus mal eine Zahl. Wir haben verschiedene Zahlen gestern auch im Internet bei der Recherche gefunden. Wie viele Regeln treten tatsächlich in der Praxis auf, das heißt, jetzt im Durchschnitt, und wie viele müssen davon weg? Gibt es so was wie eine Orientierung?
    Eigenthaler: Das Steuerrecht ist unübersehbar, wenn man alles zusammennimmt, man zahlt ja nicht nur eine Steuer, sondern mehrere, also die Regeln gehen in die Tausende. Etwa Professor Kirchhof hat ja schon versucht, das Ganze einzudampfen und ist an der Politik gescheitert und vor allem auch an den Einzelinteressen vieler, vieler Steuerzahler, die alle ihre Ausnahmeregelung behalten wollen.
    Müller: Das heißt, es ist Lobbying?
    Eigenthaler: Natürlich. Das Steuerrecht ist ein Geflecht von Einzelinteressen, im Laufe der Jahrzehnte hat sich ein Ungetüm aufgebaut, und jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, durch die Große Koalition, die 80 Prozent der Mandate im Deutschen Bundestag hat, dort eine Schneise zu schlagen. Leider steht im Koalitionsvertrag, Deutschland habe ein wettbewerbsfähiges und zeitgemäßes Steuerrecht. Die Praktiker empfinden das als Hohn.
    Müller: Sagen Sie uns, Herr Eigenthaler, wo es besser ist.
    Eigenthaler: Nun, das Steuerrecht ist natürlich in allen Staaten kompliziert. Es ist nicht nur in Deutschland so, auch in anderen Staaten. Aber der Deutsche, die Deutschen haben wirklich in Jahrzehnten die Sehnsucht entwickelt, die Einzelfallprüfung auf die Spitze zu treiben. Und hier muss auch bei vielen Anspruchstellern ein Umdenken stattfinden. Wir können alle nur gemeinsam an der Vereinfachung arbeiten. Die Forderung nach Einzelinteressen muss zurückgedrängt werden.
    Müller: Aber Sie haben jetzt auch kein Modell im Kopf? Man hört ja häufig, USA, Großbritannien und Niederlande wird teilweise genannt, ist es einfacher, besser, leicht verständlicher, da braucht man keinen Steuerberater. Das ist nicht Ihre Erfahrung?
    Eigenthaler: Man kann es nicht mit einer Revolution machen. Da sind schon viele gescheitert. Man muss die Möglichkeiten einer großen Koalition nutzen, sich durch das Dickicht von Einzelinteressen durchzukämpfen, die Vorschriften müssen da radikal zusammengestrichen werden und es muss so sein, dass mit Pauschalen gearbeitet wird, und dann muss aber auch Schluss sein, das darüber hinausgehende Prüfen von Einzelfragen darf dann nicht mehr möglich sein. Das erfordert großen politischen Mut. Manchmal denke ich, die Politiker haben schon alle resigniert.
    Müller: Wollte ich Sie fragen. Kennen Sie einen Politiker, von dem Sie sagen, der meint es damit ernst?
    Eigenthaler: Nun, vor etwa zehn Jahren hatten wir geradezu eine Euphorie von Vereinfachungsvorschlägen mit Stufentarifen, das Modell Kirchhof stand im Raum. Sie hören heute im politischen Berlin im Grunde nichts mehr, und wenn Sie mit Politikern im vertraulichen Gespräch sind, dann stellen Sie in der Tat Resignation fest.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Danke für das Gespräch!
    Eigenthaler: Gerne! Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.