"Der Volksbund hat sich ja vor allem an die Angehörigen gewendet. Wir haben in beiden Weltkriegen zusammen mehr als sieben Millionen tote deutsche Soldaten, die Angehörigen sind so zahlreich gewesen, dass man eigentlich nicht mehr - in Anführungsstrichen – ‚machen musste‘, als einen Friedhof anzulegen und diesen Friedhof zu pflegen."
Der renommierte Militärhistoriker Sönke Neitzel hat Recht: Mehr als das hätte es nicht gebraucht. Und doch hat der Volksbund seit seiner Gründung am 16. Dezember 1919 immer mehr gemacht als das – bis heute. Die Verantwortlichen des eingetragenen Vereins – gegründet von ehemaligen Gräberverwaltungsoffizieren des Ersten Weltkriegs – waren sich in einem stets einig: nämlich in dem, was die Toten angeblich als "Vermächtnis" bewahrt sehen wollten.
Dabei gab es durchaus eine frühe Öffnung des Vereins gegenüber liberalen, gar sozialdemokratischen Kreisen. Das zeigte sich zunächst auch beim zentralen Projekt des Volksbundes: der Etablierung eines "Volkstrauertages". Aber spätestens ab 1923 geriet der Verein mehr und mehr in ein nationalistisches Fahrwasser. So forderte Pfarrer Fritz Siems als Volksbund-Präsident 1924 nichts weniger als die Mobilisierung des Geistes der Gefallenen für den nationalen Aufbruch:
"Wenn unsere ungeheuere Schuld an unseren Gefallenen nicht verewigt werden soll, wenn wir uns nicht bis zu unserem eigenen Tode vor ihnen schämen wollen, dann gilt es von neuem an Deutschland zu glauben, unser Volk von neuem mit Liebe zu umfassen und auf den Tag, der kommen muß, zu hoffen."
Vom "Volkstrauertag" zum "Heldengedenktag"
Für Siems und seine Mitstreiter kam dieser Tag. Im Führer Adolf Hitler, so die Botschaft, bündele sich das "Vermächtnis der Toten", das im Nazistaat seine Erfüllung finden sollte. Es war deshalb keine große Überraschung, dass der "Volkstrauertag" sofort das Interesse der neuen Machthaber erregte und alsbald zum "Heldengedenktag" mutierte. Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht Werner von Blomberg am "Heldengedenktag" vom 8. März 1936:
"In dem neu gewonnenen Dritten Reiche aber sehen wir das stolzeste und unzerstörbare Denkmal, das unsere toten Soldaten ehrt. Jetzt leben sie unsichtbar und doch allgegenwärtig in einem Volke, das aus der Niederlage auferstanden ist."
Die Führung des Volksbundes diente sich den neuen Machthabern sofort an. Dabei unterstand die Gräberfürsorge fortan auf Befehl Hitlers der Wehrmacht. Zugleich aber entwickelte sich der Verein mit Unterstützung der NSDAP zur Massenorganisation – ein Pfund, mit dem man in starker personeller Kontinuität auch nach 1945 wuchern konnte. Ohne sich je aufzulösen, setzte der Verein nach dem Krieg seine Arbeit fort – und bediente sich noch viele Jahre hindurch der tradierten Gedenksemantik. Wie etwa am Volkstrauertag 1961 der damalige Präsident, der einstige Militärseelsorger Walter Trepte:
"Niemals darf am Volkstrauertag verschwiegen oder verkleinert werden, was der deutsche Soldat in den unerhörten Kämpfen und Leiden des Krieges an Opfermut und Pflichttreue, an kameradschaftlichem Eintreten für den andern, an Bereitschaft zur letzten Hingabe bewiesen hat."
Erinnerungskultur und Friedensarbeit
Von solchen Aussagen ist der Volksbund heute so weit entfernt wie er ihnen einst nahe stand. Spätestens seit der Wiedervereinigung wurde er zu einem der wichtigsten Akteure in der Erinnerungskultur und der kulturpolitischen Friedensarbeit – ob es sich nun um sein Engagement in der Jugendbildung handelt oder die nicht nachlassenden Bemühungen um die über 2,7 Millionen Gräber deutscher Soldaten in 46 Ländern.
Dazu zählte immer auch die Bergung, Identifizierung und Umbettung aufgefundener Kriegstoter im Ausland und in Deutschland. Hier hatte diese Aufgabe lange Jahre hindurch der Brandenburger Erwin Kowalke inne. Er wurde einmal gefragt, ob ihn seine Arbeit kaltlasse:
"Nein, nein, kalt nicht. Das geht ja auch gar nicht. Aber ich bin mir doch immer noch bewusst, dass es mal junges Leben war. Mein Vater ist ja auch mit 34 Jahren gestorben und hat auch eine Frau mit drei Kinder hinterlassen, und der hätte wahrscheinlich seine drei Jungs gerne selber großgezogen. Und so muss man das hier ja wohl auch sehen."
Die angemessene, unermüdliche Fürsorge für die Gräber der Kriegstoten und deren Angehöriger wie sie in der Arbeit Kowalkes zutage trat – das gehört heute wieder zu den eigentlichen Aufgaben des Volksbundes.