Es ist gut, dass es eine einstimmige Erklärung des UNO-Sicherheitsrats zum Nahost-Konflikt gibt, sagte Koenigs im DLF.
Er würde sich wünschen, dass die vorhandenen Organisationen gestärkt würden. Das Wertegerüst, das die Vereinten Nationen aufgebaut haben, müsste gestärkt werden - und könne auch nicht durch andere Organisationen ersetzt werden.
Die UNO sei dabei eine internationale Organisation zum Schutz der Zivilbevölkerung. Bei der Reform müsse man daran anknüpfen. Sie sei aber kein Weltpolizist.
Mario Dobovisek: Am Telefon mitgehört hat Tom Koenigs. Für die UNO war er im Kosovo, in Guatemala, in Afghanistan tätig. Heute ist er Grünenpolitiker im Bundestag und sitzt dort unter anderem im Unterausschuss für die Vereinten Nationen. Guten Morgen, Herr Koenigs!
Tom Koenigs: Guten Morgen!
Dobovisek: Wie viel Aussicht auf Erfolg hat die präsidentielle Erklärung, der Appell, wie wir gerade gehört haben, des Sicherheitsrates aus Ihrer Sicht?
Koenigs: Das weiß ich nicht. Es ist trotzdem wichtig, dass dieser Appell deutlich gesagt wird und von allen Beteiligten unterstützt wird. Den direkten Beteiligten und auch den indirekt Interessierten. Und von daher ist es gut, dass es eine einstimmige Erklärung gibt. Es wäre besser gewesen, es hätte eine Resolution gegeben, die dann auch eine noch stärkere Verbindlichkeit mit sich bringt.
Dobovisek: Bleiben die Vereinten Nationen also ohnmächtig im Nahostkonflikt?
Koenigs: Die Vereinten Nationen sind nicht das, was man sich wünscht, nämlich der Weltpolizist, der die Konflikte dann notfalls auch mit Gewalt beendet, sondern die Vereinten Nationen sind die internationale Organisation, die sich vorbehaltlos für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzt. Das ist sehr wichtig, gerade in Gaza sieht man das, dass die Unterorganisation UNRWA [Hinweis: Von der Redaktion geändert], die für medizinische und Erziehungsversorgung zuständig ist, immer wieder ausspricht. Und eigentlich die einzige internationale Organisation ist, die das Schicksal der Zivilbevölkerung immer wieder auf die Tagesordnung bringt. Das ist wichtig und das ist notwendig. Und da muss man die Vereinten Nationen drin unterstützen. Man kann jetzt sagen, die sind zu schwach. Die Vereinten Nationen sind so schwach, wie die Mitgliedsstaaten sie machen. Und das sind nicht nur die Amerikaner und die Israelis, sondern das sind eben auch die Deutschen, die Jordanier und alle, die in den Vereinten Nationen sind, das sind alle Staaten.
Dobovisek: Hören wir doch einmal, was Ihr Kollege, Ihr Außenpolitikkollege Andreas Schockenhoff über die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft sagt. Der findet nämlich scharfe Worte.
Andreas Schockenhoff: Ich glaube, dass wir uns Gedanken machen müssen über eine Krise der internationalen Ordnung, die wir haben. Die Vereinten Nationen scheinen wenig handlungsfähig, nicht nur in Gaza und in der Ostukraine, sondern auch in Syrien, in Irak, von den Nuklearverhandlungen mit dem Iran spricht schon niemand mehr. Wir haben im Moment eine internationale Ordnung, die der Globalisierung von Krisen, die sich nicht mehr regional eingrenzen lassen, eben keine wirkungsvollen Instrumente des internationalen Krisenmanagements gegenüberstehen. Deswegen müssen wir uns über diese akuten Krisen hinaus auch Gedanken machen, wie wir die Autorität des Völkerrechts, die Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft stärken können.
Dobovisek: Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff – hat er recht, Herr Koenigs? Stecken die Vereinten Nationen, steckt die internationale Ordnung in einer großen Krise?
Koenigs: Ich würde mir mit ihm wünschen, dass die internationale Ordnung stärker wäre und stärker für Ordnung sorgt. Ich würde mich aber vorsehen: Das, was wir haben, die Organisationen, die ja in den Regionen wirken, auch zum Beispiel die Internationale Organisation der zivilen Luftfahrt, die sich jetzt befassen muss mit dem Unfall in der Ukraine. Dass man diese Organisationen stärkt, das ist der erste Schritt zu einer besseren internationalen Ordnung, die vorhandenen Organisationen zu stärken und dann zum Beispiel Waffenembargos auch einhält. Dass man keine Waffen in Krisengebiete liefert. Da könnte ja Deutschland durchaus was machen. Jetzt, gegenwärtig, als Reaktion auf die Ukraine sagt jeder, ja, da dürfen keine Waffen an Russland geliefert werden – wer liefert in Krisenregionen nach wie vor Waffen? Frankreich, Deutschland nach Saudi-Arabien. Da muss man anfangen, nur dann wird man glaubwürdig. Und das bin ich gerne bereit, mit Herrn Schockenhoff zusammen zu machen.
Dobovisek: Die Vereinten Nationen stoßen ganz offensichtlich an ihre Grenzen und werden zunehmend auch von losen Staatenbünden ergänzt, wenn nicht sogar abgelöst. G7, G-8, G-25, die Freunde Syriens, diverse Sondergipfel – ist das die Zukunft der Konfliktlösung?
Koenigs: Das ist nicht die Zukunft aller Konflikte, aber in manchen Konflikten sind die Unterorganisationen, vor allem die regionalen Organisationen, wichtig. Der Ukraine-Konflikt lässt sich wahrscheinlich besser mit der regionalen Organisation OSZE angehen als mit anderen, mit einem blockierten Sicherheitsrat, der durch die Russen blockiert wird. Da muss man auf die regionalen Organisationen auch setzen. Ich glaube aber, Sie können die internationale Organisation, wo alle drin sind, die Vereinten Nationen, nicht ersetzen. Und vor allem: Das Wertegerüst, dass die Vereinten Nationen ja durch ihre Konventionen aufgebaut haben, das muss gestärkt werden, und das ist durch nichts zu ersetzen.
Dobovisek: Sie sprechen den Konflikt in der Ukraine an, den Konflikt um die Krim, um den Osten auch des Landes. Der Abschuss eines Passagierflugzeuges liegt auch zwischen dem Westen und Russlands, in dem Ihre Parteifreundin Rebekka Harms sogar den Einsatz von UNO-Blauhelmsoldaten fordert. Wäre ein solcher Friedenseinsatz denkbar?
Koenigs: Wenn sich beide Seiten darauf einigen. Aber es ist natürlich nicht denkbar ohne die Zusammenarbeit von Russland. Dass dort die Grenzregion, wo Milizen hierhin und dorthin wandern, besser überwacht wäre, würde man sich natürlich wünschen. Das finde ich eine gute Sache, aber das geht nur mit der aktiven Beteiligung von Russland.
Dobovisek: Und damit geht es gerade nicht.
Koenigs: Das ist gegenwärtig der Show-Stopper, genauso wie die Waffenlieferungen Russlands nach Syrien dort den Krieg angeheizt haben.
Dobovisek: Gilt das auch für eine internationale Polizeimission, die als Alternativvorschlag im Raume steht?
Koenigs: Das gilt auch für eine internationale Polizeimission, denn alle diese Missionen, die Friedensmissionen, die ja von den Vereinten Nationen durchaus Erfolg gehabt haben, haben nur dann Erfolg gehabt, wenn sich die beiden Kontrahenten darauf einigen, dass es diese gibt, wie zum Beispiel die Mission auf den Golanhöhen.
Dobovisek: Dann schauen wir uns doch einmal genauer die Blockade im UN-Sicherheitsrat an. Da steht Russland auf der einen Seite, da steht auch manchmal die USA auf der anderen Seite. Dann steht China dort – alles Vetomächte. Deshalb fordern viele Länder, wie Deutschland zum Beispiel allen voran, eine Reform, eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates. Was würde die bringen?
Koenigs: Ich finde es richtig, wenn man sagt, dass die Afrikaner und auch die Lateinamerikaner besser und ständiger vertreten sind. Ich finde es auch richtig, dass man sagt, Vetos müssen begründet werden und müssen auch hinterfragt werden. Ich glaube aber, es ist nicht historisch denkbar, dass man jetzt alles umschmeißt und sagt, dann kommt man zu was Besserem. Man muss an dem, was man jetzt hat, historisch anknüpfen. Und die gemeinsame Stimme von Europa im Sicherheitsrat wäre schon etwas, was auch von Deutschland mit zu organisieren wäre. Das ist wichtiger, als dass Europa einen weiteren Sitz im Sicherheitsrat hat.
Dobovisek: Wäre es nicht viel sinnvoller, die Vetos zu kippen?
Koenigs: Die Vetos zu kippen, ist nicht ganz einfach, weil das historisch eine Bedingung der Entstehung der Vereinten Nationen war. Es wäre schon, wenn es die Vetos nicht gäbe – es gibt sie aber. Und ich glaube auch nicht, dass man irgendeinen Staat, der das Veto jetzt hat, davon überzeugen kann, dass er das nicht hat. Aber es gibt auch keine Lösung eines Konfliktes gegen einen der Großen. Also zum Beispiel eine Lösung des Ukraine-Konfliktes gegen Russland, und schon mal gar nicht mit Gewalt. Ich glaube, dass die friedliche Lösung der Schlüssel ist, die Stärkung der Vereinten Nationen zunächst so, wie sie sind, und dann in der Reform. Und das vorbehaltlose Berücksichtigen des wichtigsten Prinzips der Vereinten Nationen. Dieses ist eine internationale Organisation zum Schutz der Weltzivilbevölkerung. Daran muss man sich erinnern. Und daran muss man anknüpfen.
Dobovisek: Die Idee einer Reform der Vereinten Nationen ist ja nicht neu. 2005 legte zum Beispiel Kofi Annan, der damalige Generalsekretär der UNO, einen Plan vor mit mehreren Reformpunkten. Warum geht es da in dieser Sache nicht weiter.
Koenigs: Einige der Punkte sind ja durchaus umgesetzt worden, auf einiges hat man sich einigen können, auf vieles andere nicht. Das ist eine Organisation, wo die verschiedensten, das heißt, alle Staaten, drin sind. Und die im Grunde nur durch Beteiligung, Anerkennung, Mitsprache, politische Kooperation und dann auch Vorteile für die Gemeinschaft überzeugen kann. Sie kann gewisse Strafmaßnahmen über den Internationalen Gerichtshof, über Sanktionen, über Isolation aussprechen, hat aber sonst keine Macht. Die Vereinten Nationen sind nicht ein Weltpolizist und haben solche Funktionen nur in ganz, ganz wenigen Funktionen, in regional begrenzten Konflikten ausüben können.
Dobovisek: Der Grünen-Außenpolitiker und frühere UN-Diplomat Tom Koenigs im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Herr Koenigs!
Koenigs: Vielen Dank Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.