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Verena Mermer: "Autobus Ultima Speranza"
Unterwegs mit den Arbeitssklaven Westeuropas

Die österreichische Autorin Verena Mermer porträtiert in ihrem Roman diejenigen, die in Westeuropa die miesesten Jobs machen müssen: Rumänische Arbeitsmigranten. Im pinkfarbenen Reisebus der "letzten Hoffnung" fahren sie an Weihnachten zurück in ihre Heimat und bleiben gefangen zwischen den Welten.

Von Terry Albrecht |
    Das Buchcover von "Autobus Ultima Speranza"
    Verena Mermer hat selbst einige Jahre in Rumänien gelebt (Residenz Verlag/dpa )
    "Am Zaun angebrachte Plastikplanen bewerben Schokolade, Handyverträge und legale Jobs als 24-Stunden-Pflegerin in Deutschland."

    Werbebanner umspannen ein betoniertes Areal des Busparkplatzes am Stadtrand von Cluj in Rumänien. 24-Stunden-Pflegerin, so lauten die Lockangebote für Jobs im Westen Europas. Die Banner empfangen die Reisenden des pinken Autobus "Ultima Speranza", was übersetzt so viel bedeutet wie "letzte Hoffnung". Diese Hoffnung auf Arbeit hat sie alle dazu gebracht, ihre Heimat Rumänien für längere Zeit zu verlassen, manche gar für immer. Zurückkehren tun sie nur, um ihre Angehörigen zu besuchen, wie jetzt in der Weihnachtszeit.
    Ein Reisebus voller enttäuschter Hoffnungen
    Verena Mermers kurzer Roman ist eine Collage aus Stimmen dieser Wanderarbeiter. Er beginnt am Busbahnhof in Wien. Dort lautet die Werbung eines österreichischen Urlaubsanbieters perfiderweise genau umgekehrt: "Entdecken sie den Osten". Doch nur wenige Touristen verirren sich in den pinkfarbenen Reisebus. Was die meisten der Reisenden vereint auf der Fahrt von Wien über Oradea nach Cluj: sie sind Arbeitsmigranten, Glückssucher im Westen Europas und doch ohne Verbindung zueinander.

    "Jede Reisegesellschaft ist eine Konstellation, die nur eine Nacht lang besteht - ein absehbares Ende macht vieles erträglich. Was zählt ist das Abreisen und das Ankommen, das Davor und das Danach."

    Seit dem EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten 2004, versuchen viele Ungarn, Rumänen, Slowaken und Menschen anderer osteuropäischer Staaten Arbeit in den westlichen EU-Staaten zu finden. Auch deshalb, weil in den 90er Jahren der Arbeitsmarkt in ihren Ländern zusammengebrochen ist und die Bezahlung oftmals nicht zum Lebensunterhalt reicht. Verena Mermer versetzt sich in die Perspektiven der Reisenden, erzählt von ihrem prekären Leben. Da ist zum Beispiel Florin, der als Erntehelfer in Österreich arbeitet.
    Billige Arbeitskräfte, die sich für nichts zu schade sind
    "[Er] fing als Kaufhausdetektiv an. War Lagerarbeiter. Straßenkehrer. Seine Zeit in Österreich hat vor zweieinhalb Jahren angefangen, bei Gurken - eine elende Arbeit, die er nie wieder freiwillig machen würde."

    Auch für die Akademikerinnen wie Diana, die gerade ihr Studium absolviert hat, sind die Berufsaussichten in Rumänien sehr schlecht.

    "Die gehegte Hoffnung, noch heuer eine feste Anstellung zu bekommen, die ihrer Qualifikation entspricht, hat sich nicht erfüllt. Aber Diana ist es lieber, in Wien zu putzen als in Cluj oder Bukarest. Zu einer fremden Oberschicht hat sie mehr Distanz als zu neureichen rumänischen Junggesellen oder versnobten ungarischen Hausfrauen."
    Verena Mermer erzählt in ständig wechselnden Porträt-Miniaturen aus dem Leben ihrer Protagonisten. Sie hat selbst einige Jahre in Rumänien gelebt und viel Erfahrungen in dem Land sammeln können, das eine der höchsten Korruptionsraten Europas aufweist. So ist ein Mosaik der Gefühls- und Seelenlagen von Menschen entstanden, die die Autorin gut beobachtet und denen sie gut zugehört haben muss. Und: Deren Wünsche sie achten gelernt hat. Die Passagierin Oana, die als 24-Stunden-Pflegerin in Österreich arbeitet, träumt etwa von einem Rosenstrauß, den ihr ihre große Liebe überreicht. Andere Reisende sind dagegen eher darauf bedacht, das Wenige zu bewahren, was ihnen noch geblieben ist.
    "Lucia, die in der zweiten Reihe sitzt, konnte sich in der Nachwendezeit nicht entschließen das Land zu verlassen. Mit ihrer rumänischen Pension kann sie entweder heizen und hungern oder frieren und essen. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - hat sie ihren Goldschmuck nie zur Pfandleihe gebracht, sondern trägt ihn stets am Körper. Er verleiht ihr Würde."
    Lieber frieren als den Schmuck weggeben
    Es gibt aber auch unter den am schwächsten sozial gestellten Menschen immer noch welche, die noch schwächer sind. Im Bus sind es die Roma, zu denen sich keiner setzen will. Der Rom Matei reist mit seiner Frau und der kleinen Tochter nach Rumänien. Früher hatte er hier Arbeit in einer Schuhfrabrik. Doch heute ist er wie fast alle Roma in Rumänien arbeits- und mittellos. Mermer erzählt eindringlich von Menschen, die sich in ihrer Perspektivlosigkeit sehr ähneln und doch kommen sie auf der langen gemeinsamen Reise nicht ins Gespräch miteinander.

    "Welche Gesprächsthemen gäbe es? Der Alltag ist für kaum jemanden hier aufregend. Der eine verdingt sich am Bau, der andere im Schlachthof, der Dritte in der Fabrik. Die eine in der Pflege, die Zweite als Kindermädchen. Das bisschen Privatleben, das sie haben, ist nicht geschaffen dafür, es vor ein paar Dutzend Mitreisenden auszubreiten.
    Ausgegrenzt auch unter den Ärmsten: die Roma
    Auch die Busfahrer Adrian und Ion spüren den Druck der schwierigen, viel Konzentration fordernde Fahrerarbeit, mit einem zu Pannen neigenden Bus, den sie am Tempolimit durch das Winterwetter steuern, ihrem Heimatland entgegen. Einem Land, in dem es vor Weihnachten nur eines sicher gibt, so ein Reisender:

    "Holz. Es habe noch jeder einen Baum gefunden. Das es genügend Bäume gebe in Rumänien.... Das sei auch das Einzige... das Einzige,...wovon genügend... [da ist]."

    Die Geschichte mancher Reisender wird bei Mermer nur angerissen, andere geschilderte Schicksale gehen einem hingegen so nahe, dass man gern noch mehr erfahren hätte. "Autobus Ultima Speranza" ist anzusiedeln zwischen Dokumentation und Fiktion. Wie Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak" oder Ingo Schulzes "33 Augenblicke des Glücks", verwandelt die Autorin soziale Beobachtung in Literatur. Bei dieser fiktionalen Busreise ist es am Ende so wie im wirklichen Leben, an dem das Buch sehr dicht dran ist: Egal wie tief berührend manche Begegnungen mit den Reisenden sind, am Zielort ist die Fahrt schließlich vorbei, und alle steigen aus - und verschwinden aus dem Blick.
    Verena Mermer: "Autobus Ultima Speranza"
    Residenz Verlag, Salzburg. 198 Seiten, 20 Euro.

    Anmerkung der Redaktion: Diese Rezension wurde im "Büchermarkt" vom 28.12.2018 aus aktuellem Anlass nur in einer gekürzten Fassung gesendet. Nachzulesen ist hier die ursprüngliche längere Version.