Das Bundesverfassungsgericht hat in Deutschland die wichtige Aufgabe, die Grundrechte zu schützen und damit die Demokratie zu wahren. Die Landesverfassungsgerichte gelten als Hüter der Landesverfassungen.
Schon bevor bekannt wurde, dass auf dem Geheimtreffen in Potsdam Rechtsextreme, AfD-Politiker und Unternehmer darüber beraten haben, wie das Verfassungsgericht diskreditiert werden könnte, um die Demokratie zu schwächen, schlugen Politikerinnen, Bürgerrechtlerinnen und Juristen Alarm.
Sie fürchten um die Unabhängigkeit der Justiz und warnen angesichts hoher AfD-Umfragewerte vor der Einflussnahme rechter Kräfte. Ihre Forderung: Die obersten Gerichte sollen besser geschützt werden. Was muss dafür passieren?
Was gefordert wird
Der Aufruf etlicher Politikerinnen, Juristen und Politologinnen: Das Bundesverfassungsgericht soll besser rechtlich abgesichert werden, damit es als wichtige demokratische Instanz nicht geschwächt oder gar abgeschafft werden kann. Denn genau das sei das Ziel rechtspopulistischer Parteien, sagt beispielsweise der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle.
Ähnlich sieht das der Vorstand der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer. „Demokratie bedeutet Macht auf Zeit, und genau das wollen autoritäre Bewegungen nicht hinnehmen“, erläutert er. Buermeyer hält es für plausibel, dass die AfD, wenn sie an die Macht käme, als allererstes „die Axt ans Bundesverfassungsgericht legen“ würde, als eine der „Wurzeln unserer Demokratie“.
Dass dies möglich wäre, legt auch die Analyse der Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt nahe. In ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ zeigen sie, wie die schleichende Umgestaltung von Institutionen zum Ende von Demokratien geführt hat. Eines der Beispiele dafür sei Ungarn, so Buermeyer.
In Bayern lässt eine umstrittene Wahl bereits aufhorchen. Dort hat der Bayerische Landtag zwei AfD-Kandidaten zu ehrenamtlichen Richtern an Bayerns Verfassungsgerichtshof gewählt.
Anders als beim Bundesverfassungsgericht können die Abgeordneten bei der Wahl in Bayern nur für oder gegen eine vollständige Liste mehrerer Kandidaten stimmen. Grüne und SPD stimmten dagegen. CSU, Freie Wähler und AfD stimmten für die Liste. CSU und Freie Wähler begründeten ihre Wahlentscheidung damit, dass das Gericht beschlussfähig bleiben solle.
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz zeigte sich bei Twitter entrüstet:
Die Fraktionen wollen nun gemeinsam beraten, wie das Richterwahlverfahren künftig geändert werden könnte. Das hätte allerdings schon in der vergangenen Legislaturperiode geschehen sollen, räumt der CSU-Abgeordnete Michael Hofmann gegenüber der „Zeit“ ein.
Wie das Bundesverfassungsgericht als Kontrollinstanz lahmgelegt werden könnte
Die Schwäche des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
Die Besetzung und Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts regelt das am 17. April 1951 in Kraft getretene Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das ist ein einfaches Bundesgesetz und könnte von einer einfachen Bundestagsmehrheit geändert werden.
Wer die Arbeit des Verfassungsgerichts blockieren oder behindern möchte, könnte also entsprechende Gesetzesänderungen vornehmen und so das Gericht „lahmlegen“, warnt der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae.
Es könnte beispielsweise ein dritter Senat eingerichtet und die Geschäftsverteilung so geändert werden, „dass bestimmte Entscheidungen in diesem dritten Senat getroffen werden müssten“.
Scheinbar kleine Änderungen könnten zu einer Blockade des Gerichts führen, sagt auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Johannes Fechner. Zum Beispiel alle Einträge nach Eingangsdatum abzuarbeiten oder die Vorgabe alle Entscheidungen ausführlich zu begründen. „Das kann dazu führen, dass das Verfassungsgericht nicht mehr dazu kommt, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben“, gibt Fechner zu bedenken. Wie schnell ein Verfassungsgericht lahmgelegt werden könne, habe man in Polen gesehen.
Tücken der Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Besetzung der Richter
Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht werden mit einer Zweidrittelmehrheit zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Ulf Buermeyer, Vorstand bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, warnt vor den „Tücken dieser Zweidrittelmehrheit“. Wenn zum Beispiel eine rechtspopulistische Partei mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag erringt.
„In einem solchen Fall wäre die Wahl demokratischer Richterinnen und Richter nach Karlsruhe überhaupt nicht mehr möglich.“ Denn diese rechtspopulistische Partei hätte dann eine Sperrminorität. In etwas abgewandelter Form habe man das gerade in Bayern erlebt, so Buermeyer.
Wie sich das Bundesverfassungsgericht vor Einflussnahme schützen ließe
In der Ampel-Koalition gibt es bereits Überlegungen, das Bundesverfassungsgericht stärker vor möglicher Einflussnahme zu schützen. Der SPD-Politiker Johannes Fechner schlägt in der "Welt am Sonntag" vor, dafür zu sorgen, dass das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann.
Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, plädiert dafür, wesentliche Strukturen des Gerichts im Grundgesetz zu verankern. Auch dann wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig, um auf Strukturen und Arbeitsweise des Gerichts Einfluss zu nehmen. Dazu zählt die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die zwölfjährige Amtszeit von Richtern und die Festlegung, dass das Gericht über seine Geschäftsverteilung und seine Arbeitsweise selbst entscheiden kann.
Für eine Grundgesetzänderung, wie sie Fechner und Thomae im Sinn haben, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Die Regierungsfraktionen bräuchten also die Zustimmung von CDU/CSU. Die Union hat bereits ihre Bereitschaft signalisiert. Man teile die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz. „Dieses wichtige Thema sollte auf breiter Basis diskutiert werden“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU).
Aber auch für den Fall, dass Rechtspopulisten mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag bekommen und damit eine Sperrminorität bei der Besetzung von Richtern hätten, müsse man sich vorbereiten, sagt Ulf Buermeyer, Vorstand bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Eine Möglichkeit sei, das Gericht selbst in die Lage zu versetzen, Vorschlagslisten für Richterposten vorzulegen. Weil das Bundesverfassungsgericht aber eine demokratische Legitimation braucht, sei das letztendlich schwierig.
mfied