Seit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird viel über die Gefahren des Rechtsterrorismus diskutiert. Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus habe es in Deutschland seit der Weimarer Repbulik immer wieder gegeben, betonte die deutsch-türkische Verfassungsrechtlerin Ece Göztepe, die in der Türkei lebt und an einer liberalen Stiftungs-Universität arbeitet.
Im Vergleich zu vielen europäischen Staaten sehe man in Deutschland aber eine stabile, weltoffene und tolerante Gesellschaft. Sie könne sich nicht erklären, wie diese Stimmung so schnell in Gewalt umkippen könne, so Göztepe. Aber die Demokratie sei überall in Gefahr, und auch Deutschland müsse etwas für deren Erhalt leisten.
Die Krise der Demokratie geht nach Ansicht der Juristin auf das Verständnis von Demokratie als "Herrschaft der nominalen Mehrheit" zurück. Die Gefahr bestehe darin, dass die politische Mehrheit sich in Sicherheit sehe und Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit außen vor lasse - ohne Rücksicht auf die Minderheit. Es müsse immer wieder Überzeugungsarbeit dafür geleistet werden, dass in einer Demokratie nicht nur die Zahl der Stimmen entscheidend sei.
Situation der Akademiker in der Türkei
Göztepe beklagte auch ein eingeschränktes Demokratieverständnis der Regierung in der Türkei. Ein Beispiel dafür waren die Massenentlassungen. Sie seien mit Hilfe von Ausnahmerechtsverordnungen durchgesetzt worden, erklärte Göztepe. Am meisten sei davon die Justiz betroffen gewesen, aber auch die sogenannten Academics for Peace.
Diese hatten in einem Akt des zivilen Widerstands zum Frieden aufgerufen, als Protest gegen das Vorgehen der türkischen Regierung im Südosten des Landes. Rund 1.200 Universitätsmitglieder hätten diesen Aufruf unterzeichnet, ein Drittel von ihnen sei daraufhin entlassen worden. Zwei Drittel seien dank des Einsatzes ihrer Rektoren noch im Amt.
Die deutsch-türkische Verfassungsrechtlerin Ece Göztepe wurde in Deutschland geboren, studierte Rechtswissenschaften in Ankara und promovierte in Münster zu politischen Rechten in der Europäischen Union. Seit 2005 lehrt sie an der Juristischen Fakultät der Bilkent Universität Ankara türkisches und vergleichendes Verfassungsrecht. In Deutschland war sie zuletzt Gast auf einem international besetzten Podium des zweiten Kultursymposiums des Goethe-Instituts in Weimar mit dem Titel "Die Route wird neu berechnet", das über den Niedergang der Demokratie diskutierte.