Sarah Zerback: Am Sonntag geht es in der Türkei um viel. Dann zählt jede Stimme der rund 58 Millionen Wahlberechtigten. Um die Vorbereitungen auf das Referendum zu kontrollieren, den Wahlkampf im Land, sind seit drei Wochen Wahlbeobachter der OSZE in der Türkei. Michael Link leitet diese Mission. Seit 2014 ist der FDP-Politiker Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte mit Sitz in Warschau. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Link.
Michael Link: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Sie haben den türkischen Wahlkampf in der Türkei in den vergangenen Wochen beobachtet. Ist da alles mit rechten Dingen zugegangen?
Link: Sie werden verstehen, wir werden natürlich erst hinterher, am Tag nach dem Referendum werden wir natürlich ausführlich Stellung nehmen. Aber sagen wir mal so: Unser Zwischenbericht, den wir vergangenen Freitag veröffentlicht haben, der kann schon durchaus auch punktuell als Warnung verstanden werden über die Probleme, die wir gesehen haben. Und die haben wir notiert und die werden wir sehr deutlich auch am Tag nach dem Referendum ansprechen.
"Es gab gewaltsame Zwischenfälle, Einschüchterungen"
Zerback: Nennen Sie doch mal Beispiele. Was genau ist dort falsch gelaufen?
Link: Zunächst mal: Es läuft ja noch. Aber was natürlich problematisch ist – und das notieren wir sehr deutlich im Zwischenbericht bereits –, ist, dass zum Beispiel Anhänger der Nein-Kampagne immer wieder in den letzten Wochen Probleme hatten bei der Abhaltung öffentlicher Versammlungen. Oder sie hatten anders als die Ja-Kampagne Interventionen der Polizei. Oder es gab gewaltsame Zwischenfälle, Einschüchterungen, von der einseitigen Medienberichterstattung ganz zu schweigen. All diese Dinge benennen wir und das muss auch im Rahmen einer Beobachtung deutlich benannt werden.
Zerback: Stichwort Medien. Viele regierungskritische Medien sind ja geschlossen. Zehntausende Journalisten sind entlassen, viele in Haft. Das sind Bedingungen, unter denen über das Referendum tatsächlich nicht fair berichtet werden kann. Haben Sie das festgestellt bei Ihren Beobachtungen?
Link: Ja. Wir haben festgestellt, wir haben es ja auch genau aufgelistet, dass seit letzten Juli insgesamt 158 verschiedene Medienerzeugnisse, Zeitungen oder verschiedene Portale, geschlossen wurden. Und insgesamt mehrere tausend Medienmitarbeiter, Journalisten, die jetzt arbeitslos sind oder sogar inhaftiert sind.
"Unglaublich schwer für die HDP, einen normalen Wahlkampf zu führen"
Zerback: Die OSZE ist ja auch in allen Regionen des Landes unterwegs, auch im kurdischen Südosten. Jetzt im Ausnahmezustand bei der aktuellen Situation auch vor Ort, wie sieht es dort aus? Kann da jeder Wahlberechtigte auch ungehindert wählen gehen am Sonntag?
Link: Auf dem Papier ja, aber unsere Langzeitbeobachter, die ja wie Sie sagen richtigerweise auch in die Regionen gehen – das ist ja die Stärke unserer Beobachtungen; wir gehen vor Ort, wir gucken nicht nur am Wahltag, sondern wir gehen vor allem in die Regionen -, die haben durchaus festgestellt, dass gerade nicht nur in den kurdischen, aber auch in anderen Regionen es doch immer wieder erhebliche Probleme gibt. Für die kurdischen Regionen ist besonders problematisch, dass die Abgeordneten, die aus diesen Regionen entsandt werden, teilweise gar nicht mehr frei sind. Die sitzen hinter Gittern. Zurzeit sind 13 HDP-Abgeordnete und davon die beiden Vorsitzenden der Partei hinter Gittern. Das macht es natürlich für die HDP unglaublich schwer, einen auch nur annähernd normalen Wahlkampf für ihre Position zu führen.
Zerback: Jetzt haben Sie ja insgesamt zwölf Teams mit je zwei Leuten in allen Regionen, 20 Mitarbeiter außerdem in Ankara, und dann noch mal zusätzliche Kräfte am Wahltag selbst. Aber bei einem Riesenland wie der Türkei mit fast 60 Millionen Wahlberechtigten: Reicht das?
Link: Es reicht nicht, um in jedes Wahllokal zu gehen. Aber wir sind ja nicht zum ersten Mal in der Türkei. Wir haben die drei letzten Wahlen mit einer vergleichbaren Größe beobachtet. Wir wissen sehr genau, wo die Hotspots sind, und aufgrund statistischer Werte wissen wir ziemlich genau, wo wir hin müssen. Außerdem haben wir ja am Tag der Wahl noch die Beobachter des Europarats, mit denen wir gemeinsam dann am Montag unseren Bericht veröffentlichen. Noch einmal: Wir können nicht überall sein, aber wir können einen ziemlich guten Überblick haben über das, was geschieht, weil wir wissen, wo wir die nötigen Stichproben machen müssen, um ein zuverlässiges Gesamtbild zu bekommen.
Link: Kein Mandat für Wahlbeobachtung außerhalb der Türkei
Zerback: In der Türkei, dort überwachen Sie die Vorgänge. Gewählt werden durfte aber in insgesamt 57 Ländern, auch in Deutschland. Hier gibt es 1,4 Millionen Wahlberechtigte und etwa 700.000 – das wissen wir - sind bereits an die Wahlurne gegangen. Diese Vorgänge allerdings, die haben Sie nicht überwacht. Warum nicht?
Link: Es wäre spannend gewesen die zu beobachten, alleine schon deshalb, weil das türkische Wahlgesetz ja selbst eigentlich Auslandswahlkampf verbietet. Aber der Wahlprozess in den Konsulaten wäre spannend. Aber wir können das leider nicht beobachten. Unser Mandat betrifft immer nur die Wahlen im Land selbst. Das ist ein Punkt, wo wir in der Zukunft ran müssen. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn man auch bei Auslandswahlen – das geht weit über den türkischen Fall hinaus – punktuell beobachten könnte.
Zerback: Glauben Sie, dass es da eine Öffnung in Ankara, einen Zutritt für Sie als Wahlbeobachter geben könnte in Zukunft? Sehen Sie da solche Signale?
Link: Das hängt nicht alleine von einem Land ab, sondern dazu braucht man natürlich in der OSZE einen Grundsatzbeschluss. Deshalb wird das nicht so einfach werden. Wir brauchen vor allem auch die Zustimmung des Landes, in dem beobachtet wird. Wenn wir zum Beispiel russische Konsulate in der Ukraine beobachten würden während der Wahl in Russland, wo wir dann Russen, die in der Ukraine leben, beobachten, dazu brauchen wir einen Grundsatzbeschluss in der OSZE. Den haben wir momentan leider nicht.
Zerback: Dass die Wahl in Deutschland fair abgelaufen ist, daran gibt es ja einigen Zweifel. Zumindest wurde er geäußert unter anderem vom Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde in Deutschland. Ist es Ihrer Meinung nach ein Problem, dass die Konsulate hier in Deutschland, wo gewählt werden durfte, der Regierung Erdogans direkt unterstehen?
Link: Dass die Konsulate den Regierungen unterstehen, das ist normal. Das ist für sich genommen kein Problem. Aber wir müssen bei der Wahlbeobachtung immer auf eines achten: Wir können nicht uns äußern, wenn wir nicht vor Ort waren. Das goldene Prinzip der Beobachter ist: Nur Stellung nehmen, wenn man auch selbst dort war. Deshalb kann ich leider zu dieser Auslandswahl in den Konsulaten nichts sagen. Umso wichtiger und aussagekräftiger ist aber unser Zwischenbericht, den wir veröffentlicht haben am Freitag, wo wir die Probleme in der Türkei bisher im Wahlkampf sehr deutlich benennen.
"Angebot der Beobachtung der Prozesse nach dem Putsch"
Zerback: Darüber hinaus, Herr Link, haben Sie ja auch angeboten, die zahlreichen Strafprozesse in der Türkei zu überwachen, die geplant sind. Wie hat Ankara denn auf Ihr Angebot reagiert?
Link: Das ist leider nicht aufgegriffen worden bisher. Wir bleiben aber dabei, dass wir denken, es wäre sehr wichtig, dass wir mit unserer systematischen Prozessbeobachtung, was wir in vielen Ländern bereits gemacht haben, einen großen Beitrag dazu leisten könnten zu untersuchen, ob Rechtsstaatlichkeit bei diesen Prozessen eingehalten wird. Deshalb bleibt unser Angebot der Prozessbeobachtung der Prozesse jetzt nach dem Putsch auf der Tagesordnung und wir hoffen sehr, dass die türkische Regierung zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommt. Ich glaube, es ist dringend notwendig, hier mehr Transparenz zu schaffen.
Zerback: Herr Link, nach allem, was Sie nun über die Abläufe im Vorfeld des Referendums wissen, wie könnte das denn Ihrer Meinung nach den Ausgang der Wahl am Sonntag beeinflussen?
Link: Wahlkampf hat immer damit zu tun, dass beide Seiten, in diesem Falle die Ja- und die Nein-Seite, gleichmäßig und auch wirklich unbehindert ihren Wahlkampf machen können. Hier gibt es in der Tat ernste Zweifel, ob das tatsächlich so möglich ist. Auch deshalb haben wir das in unserem Zwischenbericht sehr deutlich angesprochen. Während wir als Beobachter mit den türkischen Behörden sehr gut zusammenarbeiten und wir nicht behindert werden, haben wir leider festgestellt, dass die Nein-Kampagne doch immer wieder Behinderungen ausgesetzt ist, und das ist sehr bedenklich.
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