Vermutlich wissen viele der fast 51 Millionen wahlberechtigten Italiener gar nicht genau, worüber sie da am Sonntag abstimmen. Es ist die größte Reform die diese Verfassung je erlebt hat – 46 von 139 Artikeln sollen verändert werden. Vor allem die Älteren scheinen für die Reform zu sein, wie die 80-jährige Rosa aus Rom – wenn auch aus sehr allgemeinen Gründen:
"Ich bin für das Ja. Um etwas zu verändern, um zu sehen, ob man etwas verändern kann."
Den letzten Umfragen zufolge sehen viele junge Italiener hingegen die Verfassungsreform eher skeptisch, zum Beispiel Marzia, 20, ebenfalls aus Rom:
"Ich stimme mit Nein, denn ich finde das ist eine zu gravierende Veränderung. Es ist nicht richtig, das so aus dem Stand zu machen."
Es gibt jetzt erstaunlich viele Verfassungspatrioten in Italien, die von der "schönsten Verfassung der Welt" sprechen und meinen, der Eingriff sei zu stark. Auch Giancarlo gehört dazu, als Geschichtslehrer ist in seinem Unterricht immer wieder auch die Verfassung ein Thema – auch er wird am Sonntag mit Nein stimmen.
"Die Reform ist ausgeklüngelt. Es ist auch falsch, die Leute glauben zu machen, dass sich das Schicksal eines Landes mit der Verfassung entscheidet. Die italienische Verfassung ist das Beste, was wir haben. Wenn wir auf ihr die Probleme unserer Führungsklasse abladen, dann ist das ein Skandal."
Kritiker fürchten Machtfülle der Regierung
Manche Kritiker halten die Reform für gefährlich. Maria Agostina Cabiddu zum Beispiel. Sie ist Professorin für öffentliches Recht, also vom Fach, und hat sich dem Mailänder "Komitee für das NEIN" angeschlossen. Sie ist nicht grundsätzlich gegen eine Reform der Verfassung – aber, so sagt sie, Italiens Problem ist ein ganz anderes:
"Es ist auch nicht die Schuld der Verfassung, dass die Gesetze oft im Parlament hängen bleiben und nicht vorankommen. Dann wird zwar gesagt: Das ist doch nicht möglich! Wir brauchen zu viel Zeit! Die Gesetze hängen im Parlament fest. Aber das ist nur so, weil es keinen politischen Willen gibt, sie zu verabschieden. Wenn es einen politischen Willen gäbe, würden die Gesetze auch gemacht. Und zwar ganz schnell."
Geht die Reform durch, werde Italien weniger demokratisch. Mit der Entmachtung des Senats, der zweiten Kammer, fehle eine wichtige Kontrollinstanz, sagt die Juraprofessorin. Klar: die 63 Regierungen, die Italien nach dem Krieg hatte, seien zu viele. Aber nun werde der Regierung zu viel Macht übertragen.
Ausgang entscheidet über Matteo Renzis politische Zukunft
Viele der fast 51 Millionen Italiener, die am Sonntag an die Urnen gerufen sind, sind noch unentschieden. Domenico, 74, vertraut Matteo Renzi, der mit dieser Reform etwas zustande bringen könnte, was noch kein Regierungschef vor ihm geschafft hat:
"Das ist sehr wichtig, denn sie wollen die Reform schon seit Jahren machen und haben es nie geschafft. Es gibt ein Parteiensystem, das nicht verschwinden will. Das ist für das italienische Volk die Wende zum Guten."
Und doch stellt sich nicht nur die Frage der Verfassungsreform, sondern auch die der politischen Zukunft Italiens: Matteo Renzi, der Ministerpräsident, hat immer wieder gesagt: Er werde nicht im Amt bleiben, wenn das Referendum scheitert. Er will Italien reformieren – zur Not mit der Brechstange, denn:
"Die Verfassungsreform sorgt dafür, dass wir genau wie andere Länder werden, wenn es um die Qualität und Schnelligkeit von Entscheidungen geht. Die Verfassungsreform ist nicht das Ziel, dann geht es erst los! Ohne müssen wir wieder von vorn anfangen, wie es 35 Jahre lang so war. Dann haben wir das Bild einer Politik, die nichts fertig bringt. Versteht ihr, was wir da riskieren? Dann geht alles wieder von vorne los."
Sollte am Sonntag das Nein gewinnen, braucht Italien also ziemlich sicher eine neue Regierung. Fachleute machen sich vor allem um die Wirtschaft Sorgen, die seit Jahren stagniert. Denn wenn die Märkte das Vertrauen in Italien verlieren, droht einer der großen Volkswirtschaften der EU eine tiefe Krise. Auch die Sorge davor wird viele Italiener dazu bewegen, am Sonntag mit Ja zu stimmen. Ob es genügend sind, ist noch völlig unklar.