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Verfassungsreferendum in Italien
"Wir wollen mit der Reform das deutsche System einführen"

Gianni Pittella sorgt sich. Der Italiener ist Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten (ALDE) im Europäischen Parlament. "Ein Nein hätte nur negative Folgen", sagte er im DLF zum bevorstehenden Verfassungsreferendum in Italien: "Angriffe durch Spekulanten, Spannungen auf den Finanzmärkten, Schwächung der Rolle der Regierung". Als Argument für die Reform dient Pittella Deutschland.

Gianni Pittella im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella.
    Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Gianni Pittella. (AFP / Yamil Lage)
    Christoph Heinemann: Was bedeutete es für Italien, wenn das Nein gewinnen würde?
    Gianni Pittella: Es bedeutete, daß wir keine Verfassungsreform bekommen werden, obwohl die seit vielen Jahren erwartet wird. Das hieße, daß es in unseren Institutionen keine zwei Parlamentskammern geben würde, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen: das Abgeordnetenhaus ist für die Gesetze zuständig, während der Senat die Kommunen und Regionen vertreten soll. Es bedeutete, daß die Gehälter der Regionalräte nicht verringert werden könnten. Die Zuständigkeit für Infrastruktur, Tourismus und Energie könnte nicht auf der Staatsebene gebündelt werden. Provinzen könnten nicht aufgelöst werden. Also: eine gute Reform würde nicht verwirklicht, und eine andere würde es nicht geben.
    Heinemann: Sollte das Referendum aus Sicht der Regierung scheitern, könnte dies zum Zusammenbruch des Euro führen?
    Pittella: Das glaube ich nicht. Italien ist stark, das Land verfügt über solide und feste wirtschaftliche und finanzielle Fundamente, um jeden Rückschlag vermeiden zu können. Natürlich wäre es viel besser, wenn das Ja gewinnen würde. Das würde die Regierung stärken, auch Italiens Stellung in Europa. Es würde unseren Kampf stärken, den wir mit Matteo Renzi in Europa für eine neue Ausrichtung und gegen die Austeritätspolitik führen. Würde das Ja gewinnen, wären damit viele Vorteile verbunden. Ein Nein hätte nur negative Folgen. Keine Reform, das Risiko von Angriffen durch Spekulanten, Spannungen auf den Finanzmärkten, eine Schwächung der Rolle der Regierung und damit auch unserer Herausforderungen in Europa.
    Die wirtschaftlichen Grundlagen Italiens sind solide
    Heinemann: Sollte das Nein gewinnen, könnten acht italienische Banken zusammenbrechen, warnte in dieser Woche die `Financial Times´. Rechnen Sie mit einer größern Krise?
    Pittella: Daran glaube ich nicht. Ich bin kein Fachmann, aber ich wiederhole: die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen Italiens, auch die des Bankensektors, sind solide. Dieses Risiko besteht nicht.
    Heinemann: Gilt das tatsächlich für die Banken?
    Pittella: Ja. Das Vorgehen der Regierung ist effizient. Ich glaube, da bestehen überhaupt keine Risiken. Und wer überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen lassen möchte, soll mit Ja stimmen.
    Heinemann: Die Aktien der Problembank Monte dei Paschi di Siena fallen deutlich …
    Pittella: Mit dem Auf und Ab dieser Aktien beschäftige ich mich nicht. Mein Gesamturteil steht fest: die wirtschaftlichen und finanziellen Fundamente Italiens und die des Bankensektors sind solide und stabil.
    Heinemann: Wieso hat das Nein in den Umfragen die Nase vorn?
    Pittella: Ich glaube den Umfragen nicht. Die haben zuletzt immer danebengelegen, und die irren auch diesmal.
    Heinemann: Sie sind Optimist?
    Pittella: Na klar!
    Die Gegner der Reform verfügen über keine Argumente
    Heinemann: Kritiker meinen, diese Reform räume der Regierung zu viel Macht ein. Ist das so?
    Pittella: Sie müssen mir erst beweisen, inwiefern die Regierung dadurch mehr Macht erhalten würde. Diese Reform schränkt die Macht des Ministerpräsidenten ein. Er kann nicht mehr mit Dekreten als provisorischen Gesetzen oder wie bisher mit der Vertrauensfrage regieren. Das Gegenteil ist der Fall. Das sind irgendwelche Sprüche, die die Gegner zusammenrühren. Und daran beteiligen sich die Kräfte der extremen Rechten und die Antieuropäer, die einen Haufen Unsinn erzählen, um damit zu überdecken, daß sie über keine Argumente verfügen.
    Heinemann: Stellen Sie sich einen Kandidaten aus dem Grillo-Lager als Ministerpräsidenten vor, der sich wegen Renzis Reformen an der Macht halten kann …
    Pittella: Ich hoffe, daß Italien niemals ein Mitglied der Grillo-Bewegung im Amt des Regierungschefs und der Spitze der republikanischen Institutionen erleben wird. Das wäre ein Debakel.
    Heinemann: Aber würde Renzis Reform einen solchen Ministerpräsidenten nicht stärken?
    Pittella: Das stimmt nicht. Lesen Sie mir den Artikel vor, der besagen würde, daß der Ministerpräsident gestärkt wird.
    Heinemann: Es reichte künftig eine Mehrheit, die im Abgeordnetenhaus …
    Pittella: Das ist in allen modernen Demokratien der Fall, der Regierungschef benötigt eine Mehrheit. Ist Deutschland nicht demokratisch? Wir wollen mit der Reform genau das deutsche System einführen.
    Renzi hätte die Reform nicht mit Verbleib im Amt verbinden sollen
    Heinemann: Für den Fall, daß sich das Nein durchsetzt, hatte Ministerpräsident Renzi seinen Rücktritt angekündigt. War es ein Fehler, diese Abstimmung so mit seiner Person zu verbinden?
    Pittella: Ja, ich glaube diese Personalisierung war nicht notwendig. Er hat das hinterher korrigiert und sich auf den Inhalt konzentriert. Und das sollten auch wir tun. Kein italienischer Bürger kann mir mit voller Überzeugung sagen, das diese Reform falsch ist.
    Heinemann: Sie haben angekündigt, daß sie für Martin Schulz` Nachfolge an der Spitze des Europäischen Parlamentes kandidieren möchten. Halten Sie es für möglich, daß abermals ein Sozialdemokrat gewählt wird?
    Pittella: Ja. Ich kandidiere nicht, um teilzunehmen, sondern um zu gewinnen.
    Heinemann: Und das halten Sie für möglich?
    Pittella: Ja sicher. Wir arbeiten an einer breiten Unterstützung dieser Kandidatur, die für Wechsel und Fortschritt steht. Gegen die strenge Sparpolitik.