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Verfassungsreferendum
Putin rührt wieder die große Werbetrommel

Im April sollte das russische Volk über ein neues Verfassungsreferendum abstimmen - die Wahllokale blieben wegen Corona zu. Nun soll zügig ein neuer Anlauf gemacht werden, obwohl die Pandemie keineswegs überwunden ist. Für Präsident Wladimir Putin geht es vor allem um seine Wiederwahl.

Von Thielko Grieß |
02.06.2020, Mobile Wahlurne für die Wahl zum russischen Verfassungsreferendum
Mobile Wahlurne für die Wahl zum russischen Verfassungsreferendum (icture alliance/Press Office of the Russian Central Election Commission)
"Wir, das multinationale Volk der Russischen Föderation" – mit diesen Worten beginnt ein Spot, den der staatliche Medienkonzern RT produziert hat. Schauspieler, ein Kosmonaut, eine Mutter mit Kindern, ein Weltkriegsveteran und andere sprechen die Präambel der in Teilen umgeschriebenen Verfassung.
"Verabschieden wir die Verfassung der Russischen Föderation" – mit diesem Appell endet der Spot. Im Bild ist noch das Wort "wmestje" zu sehen: "zusammen".
Russlands Präsident Putin beim Blick durch ein Fernglas bei einer Militärübung be Orenburg am 20. September 2019
Der Plan des Autokraten
Russlands Präsident Putin hatte im Januar schon alles eingefädelt, um seine Machtposition zu sichern. Nun musste er wegen der Coronakrise das dafür notwendige Referendum verschieben – doch sein Plan bleibt vom Virus unberührt.
Diese Botschaft ist einer der Roten Fäden: Zusammen habe man das Corona-Virus in die Schranken gewiesen, nun sei es an der Zeit, gemeinsam die Heimat zu stärken, wozu es die veränderte Verfassung eben brauche. Dass die Pandemie in Russland keineswegs vorüber ist, spielt keine Rolle.
Klare Vorgaben der Kreml-Verwaltung
Russischen Medienberichten zufolge hat die Kreml-Verwaltung den Regionen klare Vorgaben gemacht, welches Ergebnis sie am Ende der Abstimmung in die Hauptstadt zu melden haben: mindestens 55 Prozent Wahlbeteiligung und davon 60 Prozent Ja-Stimmen. Um die Menschen mit Werbung zu mobilisieren, sind sogar größere Ausgaben vorgesehen als für die Präsidentschaftswahl vor gut zwei Jahren.
Die Zentrale Wahlkommission in Moskau verantwortet einen Großteil der Banner und Spots. Es fällt auf, dass viele Motive und Aufschriften nur in eine Richtung weisen: für die Annahme der Verfassung. Komissionsvorsitzende Ella Pamfilowa reagiert:
"Wir machen keine Propaganda, wir agitieren nicht nach dem Schema 'gute oder schlechte Verfassungsänderungen', dafür oder dagegen zu stimmen, auf keinen Fall."
Aus den Reihen der Systemopposition beziehen einige Abgeordnete der Kommunisten Stellung. Sie müssen ihre Spots, die sie nicht auf großen Plattformen verbreiten können, selbst drehen. Das ist ihnen anzusehen. Zum Beispiel die Abgeordnete Wera Gansja:
"Diese Veränderungen wurden mit nur einem einzigen Ziel angezettelt: die Annullierung der Amtszeiten des Präsidenten."
Putin könnte theoretisch bis 2036 regieren
Sie würde es Putin theoretisch erlauben, noch bis 2036 zu regieren. Dass dieser Teil der Verfassungsänderungen nicht beworben wird, kann so gedeutet werden, dass die Werber keinen Verdruss riskieren wollen.
Inzwischen jedenfalls schreiben auch Influencer darüber, warum sie für die Verfassungsänderungen abstimmen werden. Und wenn die Regel gilt, dass jeder Skandal zumindest der Bekanntheit einer Sache nützt, dann haben die Macher eines weiteren Videos ihr Ziel erreicht:
"Wo ist meine Mama?", fragt verschüchtert ein kleiner Junge einen jungen Mann, der ihn adoptiert und gerade aus dem Kinderheim abholt. "Da ist sie", antwortet der Vater, "deine neue Mama" – und deutet auf einen anderen Mann, seinen Partner. Offenkundig ein schwules Paar. Russland im Jahr 2035, heißt es.
Umfrage: Mehrheit für Verfassungsänderung
"So ein Russland wählst Du? Entscheide die Zukunft des Landes", mahnt eine Stimme. Dann wird auf eine der Verfassungsänderungen hingewiesen, die die Ehe als Bündnis zwischen Mann und Frau festlegt – wobei gleichgeschlechtliche Ehen auch jetzt nicht erlaubt sind, von Adoptionen ganz zu schweigen. Dieses – nicht-offizielle – Video wurde von einem Unternehmen produziert, das Jewegenij Prigoschin zugeschrieben wird. Prigoschin soll auch maßgeblich die russischen Söldnertruppen im Ausland organisieren.
Das Umfrageinstitut Levada-Zentrum hat jüngst Zahlen veröffentlicht: Demnach wollen 45 Prozent der Russinnen und Russen auf jeden Fall abstimmen. 44 Prozent sprechen sich für die Verfassungsänderungen aus.