Am Telefon begrüße ich jetzt Michael Winzer, er ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok. Guten Morgen, guten Tag, Herr Winzer!
Michael Winzer: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Winzer, die Thailänder stimmen also über eine neue Verfassung ab. Trotz aller Unkenrufe, könnte das trotz allem ein erster Schritt sein hin zur Demokratisierung?
Winzer: Also, auf jeden Fall wäre ein Inkrafttreten des Verfassungsentwurfs die Voraussetzung für Parlamentswahlen. Aber wie Sie gesagt haben, es kann nur ein erster Schritt sein, also, es müssen weitere Reformen folgen. Und sollte der Verfassungsentwurf angenommen werden, müsste eben insbesondere das Wahl- und das Parteienrecht auch noch ausgestaltet werden. Es müsste ein sogenanntes Organic Law erlassen werden und da müsste sich dann auch zeigen, wie genau, wie konkret dann vor allem auch die Position der politischen Parteien in Thailand vor der Wahl oder vor einer möglichen Wahl im nächsten Jahr sein wird.
Keine Demokratie nach westlichem Vorbild
Heckmann: Jetzt sagen aber viele Kritiker, Herr Winzer, dass das Militär mit dieser Verfassung, diesem Entwurf nur seine eigene Macht festigen wolle. Teilen Sie diese Einschätzung?
Winzer: Also, die Verfassung oder der Verfassungsentwurf ist natürlich ein Hybridsystem. Also, man würde durch Inkrafttreten der Verfassung nicht zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild gelangen. Man hätte zwar ein frei gewähltes Parlament, aber natürlich einen ernannten Senat, und in dem Senat hätte auch das Parlament garantiert eine feste Anzahl von Sitzen und insofern hätte man dann natürlich in der Demokratieentwicklung einen sehr großen Rückschritt. In der Verfassung von 1997 war zum Beispiel vorgesehen, dass beide Parlamentskammern frei von der Bevölkerung gewählt werden. Und da wäre man natürlich in der Demokratieentwicklung mit dem jetzigen Verfassungsentwurf weit hinter der Verfassung von 1997.
Heckmann: Man wäre weit hinter der Verfassung von 97, sagen Sie. Kann man denn trotzdem von einer demokratischen Verfasstheit sprechen, wenn diese Verfassung denn jetzt angenommen würde?
Winzer: Also, wie gesagt, das ist ein Hybridsystem. Man hat demokratische Elemente, aber das System insgesamt wäre eben nur zum Teil demokratisch. Und ja, also, wie eingangs schon besprochen, die Verfassung kann ein Schritt hin zur Demokratie sein, wenn dann weitere Entwicklungen folgen, wenn weitere Reformen folgen. Aber …
Heckmann: Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese weiteren Schritte folgen, Herr Winzer?
Winzer: Also, das hängt vom weiteren Transformationsprozess hier ab. Thailand ist natürlich nach wie vor weiter gespalten. Es gibt hier einen sehr tiefen sozialen und politischen Konflikt und da ist es hier natürlich notwendig, ein Gesellschafts- und Politikmodell zu finden, das in der Lage ist, die Konflikte auch friedlich zu lösen, und eben hier im Land sozialen Ausgleich zu schaffen. Und wenn das gelingt unabhängig von der Verfassung, dann kann man hier auch zurückkehren zu demokratischen Funktionsmechanismen. Und wichtig ist hier, dass man eben politische Entscheidungen partizipativ herbeiführt.
"Politische Parteien können nicht in ihrem eigentlichen Sinne arbeiten"
Heckmann: Diese Zerrissenheit, Herr Winzer, von der Sie gesprochen haben und die man ja in der Tat konstatieren kann, die gibt es nicht erst seit gestern, die gibt es schon sehr lange. Weshalb kriegen die Thailänder das nicht hin, da ein System zu etablieren, das eben einen solchen Interessenausgleich bewerkstelligen kann?
Winzer: Also, Thailand ist da eigentlich in einer typischen Situation für ein Transformationsland. Man hat in den letzten Jahren ganz gewaltiges wirtschaftliches Wachstum durchlaufen, es hat sich hier vor allem in Bangkok und im Süden Thailands eine starke Mittelschicht entwickelt, aber mit der wirtschaftlichen Entwicklung hat die Entwicklung vom Sozialsystem und vor allem auch die Entwicklung vom politischen System nicht mitgehalten und das führt dazu, dass man eben auch in der Vergangenheit politische Konflikte meist nicht im Parlament, sondern auf der Straße zum Teil gewaltsam ausgetragen hat. Und da muss eine neue politische Ordnung und eine neue Gesellschaftsordnung gefunden werden, dass man eben sozialen Ausgleich schafft und dass sich hier im Land eben auch eine Kompromiss- und eine Konsenskultur entwickelt, dass man auch in der Lage ist, hinter wichtigen politischen Entscheidungen eine breite Bevölkerungsmehrheit zu sammeln.
Heckmann: Welche Atmosphäre herrscht jetzt heute in dem Land? Kann man seine Meinung frei äußern oder riskiert man in jedem Fall, im Gefängnis zu landen?
Winzer: Also, zunächst mal, die Stimmung ist hier natürlich sehr angespannt, also, obwohl die Verfassungsgeschichte instabil ist, das wäre jetzt die 20. Verfassung seit 1932. Also, es gab im Schnitt in den letzten Jahrzehnten alle vier Jahre eine neue Verfassung. Aber trotzdem ist man jetzt in einer besonderen Situation, weil man eben seit der Parlamentsauflösung im Jahr 2013, im Dezember 2013 kein demokratisch legitimiertes Parlament mehr hat. Also, man ist sehr gespannt, wie es jetzt weitergeht mit dem Land. Klar ist, dass seit der Ausrufung vom Kriegsrecht und seit dem Militärputsch im Mai 2014 die Meinungs- und die Pressefreiheit eingeschränkt ist, und vor allem ist natürlich die Versammlungsfreiheit eingeschränkt, was dazu führt, dass politische Parteien nicht in ihrem eigentlichen Sinne arbeiten können.
Abstimmung wird "technisch fair verlaufen"
Heckmann: Der 88-jährige König Bhumipol ist ja seit 70 Jahren im Amt. Er ist allerdings schwer krank, liegt im Krankenhaus. Er hat ja nur repräsentative Pflichten und dennoch ist sein Einfluss ja kaum zu unterschätzen. Welche Rolle spielt er in diesem Spiel?
Winzer: Der König ist hier in Thailand sehr angesehen. Er genießt quer durch alle Bevölkerungsschichten ein unheimlich hohes Ansehen. Er eint das Land, er sorgt hier für Stabilität. Und darum ist er für Thailand und auch für die thailändische Bevölkerung sehr, sehr wichtig.
Heckmann: Und das wird auch in Zukunft so sein, so er denn am Leben bleibt und im Amt bleibt. Herr Winzer, wie fair wird die Abstimmung, die jetzt morgen stattfinden wird, zugehen?
Winzer: Also, ich selber gehe davon aus, dass die Abstimmung technisch fair verlaufen wird. Die Wahlkommission ist finanziell und personell gut ausgestattet, es werden morgen über 200 Polizisten für einen friedlichen Abstimmungsverlauf sorgen, die Wahlkommission selber verfügt über eine sehr gute Expertise und auch das politische Risiko morgen, den Ausgang zu fälschen, wäre glaube ich zu hoch. Also, der Abstimmungsprozess selber wird meiner Ansicht nach fair verlaufen. Was aber eben halt allerdings nicht demokratischen Ansprüchen genügt hat, das waren die Wochen vor der Abstimmung, was dadurch bedingt ist, dass in der jetzigen Situation halt die Meinungs- und die Pressefreiheit und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt ist.
"Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich noch nicht entschieden"
Heckmann: In einem ganz kurzen Satz noch, Herr Winzer: Was glauben Sie, wie wird die Abstimmung ausgehen?
Winzer: Es gibt verschiedene Umfragen. Alle Umfragen sind dahingehend gleich, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung noch nicht entschieden hat. Also, es wird eine emotionale Entscheidung sein, nur wenig haben die 270 Artikel des Verfassungsentwurfs gelesen. Also, ich gehe davon aus, dass sich viele morgen erst im Wahllokal entscheiden werden. Führende Parteipolitiker haben sich in der letzten Woche oder auch in der laufenden Woche gegen die Verfassung ausgesprochen …
Heckmann: Und dann müssen wir sehen, wie das ausgeht. Herr Winzer, die Nachrichten folgen hier an der Stelle. Michael Winzer war das, der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok, schönen Dank für das Gespräch und schöne Grüße!
Winzer: Danke vielmals, Herr Heckmann, auf Wiederhören!
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