Zum Widerstand ruft Juan José Mejias auf. Der junge Politiker der Voluntad Popular ist gemeinsam mit anderen Abgeordneten auf einen großen Mauervorsprung am Parque Cristal geklettert. Mehrere hundert Menschen aller Altersklassen aus eher wohlhabenden Schichten haben sich auf dem Platz und der Treppe vor dem Hochhaus versammelt.
"Libertad" – Rufe nach Freiheit sind zu hören und "Asesinos" – Mörder.
Mehr als 120 Tote haben die nun genau vier Monate währenden Proteste gefordert. Der Wahltag war bislang der blutigste. Mit Kerzen und Reden wird der letzten Opfer gedacht. Nicht die Trauer, sondern die Wut über die aus ihrer Sicht undemokratische Wahl mit einer auf acht Millionen aufgeblähten Wahlbeteiligung dominiert die Gefühle der Anwesenden.
"Ich bin an vorderster Front bei Protesten. Ich helfe – das ist gefährlich, man darf nicht gesehen werden. Aber mir ist das gleich, ich riskiere viel für meine Kinder und meine drei Enkel."
Aufruf zu weiteren Protesten
Beatriz Fernandez ist ganz gelb-blau-rot gekleidet: Auch ihre Baseballmütze ist in den Nationalfarben. Sie alle hier sind Patrioten, sehen ihr Land, die Freiheit durch die verfassungsgebende Versammlung in Gefahr, die angeblich schon am Mittwoch ihre Arbeit aufnehmen soll: Ausgerechnet im Gebäude des Parlamentes – wo normalerweise die entmachtete Oppositionsmehrheit das Sagen hat. Politiker wie Juan Requesenz von Primero Justicia rufen deshalb für Mittwoch zum Protestzug in die Höhle des Löwen, ins Zentrum von Caracas auf.
Wenn sie mich festnehmen, gibt es 100.000 andere Venezolaner, die diesen Kampf weiterführen können. Natürlich haben wir auch Angst ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden. Aber wenn ich zu Hause bleibe, verliere ich mein Land und meine Zukunft, deshalb riskiere ich mein Leben. Ich will hier leben, das Land regieren und wieder aufbauen.
Studenten: Repression sei brutal gewesen
Die Frage ist nur wie? An diesem Abend gibt es am Parque Cristal keine Zusammenstöße. Die Opposition hat die Taktik geändert: Statt mit großen Kundgebungen die Sicherheitskräfte zu provozieren, soll mit Straßensperren und kleineren Aktionen agiert werden.
Freunde seien verletzt, andere eingesperrt worden. Die Repression sei brutal gewesen, berichtet ein vermummter Student. Er sitzt demonstrativ mit anderen Vermummten abseits: Diese Studenten wollen sich nicht von der Politik vereinnahmen lassen. Andere wie Hivenly Fernandez sind neutral: Die Medizinstudentin trägt einen Helm mit blauem Kreuz. Gemeinsam mit gut 50 anderen Freiwilligen leistet sie Erste Hilfe bei Ausschreitungen. Unabhängig, von welcher Seite die Opfer stammen. Ein Patient sei in ihren Armen gestorben. Er hatte eine Kugel in der Brust.,
US-Sanktionen gegen Präsident Maduro
Erstaunlich ruhig berichtet Hivenly über ein derart traumatisches Ereignis, das leider Alltag in Venezuela geworden ist. Hoffen lassen da Äußerungen wie die der eingefleischten Regierungsanhängerin Ingrid Carmona, die trotz oder gerade wegen der US-Sanktionen gegen Präsident Maduro an der Plaza Diego Ibarra den Wahlsieg feierte.
"Die von der Opposition wollen doch nicht mit uns reden. Aber wir dürfen nicht weiter mit der Gewalt und dem Terror machen. Ich spüre, das geht. Mein eigener Bruder von der Opposition hat mir gestanden, dass sie bereit wären, mit dem Bruder von nebenan zu sprechen."