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Verfassungsschützer Kramer
Rechtsextreme wollen mit Hass und Hetze die Gesellschaft spalten

Die Tötung eines Kassierers in Idar-Oberstein sei nicht überraschend, sagte Thüringens Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer im Dlf. Tötungsfantasien oder Revolutionsgelüste eskalierten im Netz und in der Realität seit Monaten. Er warnt vor einer zunehmenden Radikalisierung der rechten Szene.

Stephan Kramer im Gespräch mit Philipp May |
Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident von Thüringen, spricht mit Journalisten nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Weimar. Der Thüringer Verfassungsschutz hätte die Einstufung des AfD-Landesverbandes mit dem Vorsitzenden B.Höcke als Prüffall nicht öffentlich machen dürfen. Ein entsprechendes Urteil verkündete das Verwaltungsgericht Weimar.
"Im neurechten Spektrum gibt es seit Jahren den Versuch, mit den Emotionen, mit der Polarisierung, mit Hass und Hetze auf Stimmenfang zu gehen, sagte Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Stephan Kramer im Dlf (dpa-Zentralbild)
Die Sicherheitsbehörden erlebten schon seit Wochen und Monaten eine zunehmende Radiakisierung und Gewaltenthemmung in der sogenannten Querdenker-Szene, sagte der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer im Dlf. Die Tötung eines Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein nach einem Streit um die Corona-Maskenpflicht komme daher leider nicht überraschend, sondern sei der Gipfel einer Eskalation. "Wir müssen erleben, dass Tötungsfantasien, Revolutionsgelüste und quasi der vermeintlich legitime Widerstand gegen die Corona-Diktatur in den letzten Wochen und Monaten nicht nur im Netz, sondern teilweise auch in der analogen Welt immer weiter eskaliert sind, und ich glaube, hier ist es angezeigt, noch mal sehr deutlich zu warnen", so Stephan Kramer.
Warum die Maskenpflicht kein Mordmotiv ist
Ein Mann soll einen Mitarbeiter einer Tankstellein Idar-Oberstein erschossen haben. Für viele Medien ist der Fall klar: "Mordmotiv Maskenpflicht". Damit übernehmen sie undifferenziert das Narrativ des mutmaßlichen Täters - obwohl noch vieles offen ist.

"Nicht alle Impfgegner und Querdenker sollen kriminalisiert werden"

Doch eine Generalisierung sei keinesfalls zulässig, so Kramer. Nicht alle Impfgegner und Querdenker dürften in eine extremistische Ecke gestellt werden. Allerdings müssten sie sich immer deutlicher fragen lassen, ob sie da eigentlich noch mitmachen wollen oder ob sie ihr Ansinnen durch Gruppierungen wie Reichsbürger, Verschwörungsfantasten und Rechtsextreme vertreten sähen. Denn die gäben in den letzten Wochen und Monaten immer mehr den Ton an, der sich auch zunehmend verschärfe. Er erinnerte an die Wahlplakate, auf denen im Bundestagswahlkampf öffentlich zum Aufhängen von Politikern aufgefordert wurde.

Rechtsextreme versuchen zu spalten

Vertreter des rechten Spektrums versuchten schon seit Jahren, mit Emotionen auf Stimmenfang zu gehen und die Gesellschaft zu polarisieren, warnte Stephan Kramer. Die steigende Aggressivität sei im Alltag spürbar. "Wir erleben, dass Teile der Gesellschaft immer weiter radikalisiert, emotionalisiert, letztlich auch gespalten werden. Und dass die Hemmschwelle zum Einsatz zur Gewalt als legitimes Mittel auch in der bürgerlichen Gesellschaft immer weiter sinkt". Das Thema sei dabei im Grunde völlig egal. Hätte es keine Corona-Pandemie gegeben, wäre vermutlich die Klimakrise der Auslöser gewesen. "Jedes Thema, das dazu geeignet ist, zu polarisieren, zu emotionalisieren, wird missbraucht, um die Gesellschaft zu spalten", so der Verfassungsschützer. Er bemängelt eine allgemein schwindende Diskussionskultur, für die auch die gesamte Gesellschaft die Verantwortung trage.

Das Interview im Wortlaut

Philipp May: Nach dem Tötungsdelikt an einem 20-Jährigen Studenten in Idar-Oberstein geben Politiker der AfD eine Mitverantwortung für die Radikalisierung der sogenannten Querdenker-Szene. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Kuhle, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, schon der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke habe für die AfD Plakate aufgehängt und der Partei Geld gespendet. Kramer warnte davor, "es jetzt nur auf die AfD zu konzentrieren". Warum war das abzusehen?
Stephan Kramer: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine zunehmende Radikalisierung und Gewaltenthemmung in der Szene erlebt, und mir geht es gar nicht darum, hier mit Besserwisserei nach vorne zu treten, aber wir haben in den Sicherheitsbehörden schon vor Wochen und Monaten davor gewarnt und mussten dann letztlich Brandanschläge, tätliche Angriffe gegen Einzelpersonen erleben in den letzten Wochen und Monaten, sodass für uns zur Arbeitshypothese, für mich zur Arbeitshypothese auch immer dazugehörte, dass es am Ende vielleicht zu dem jetzt möglicherweise sehr traurigen Gipfel kommen könnte, nämlich einem Mord.

Corona-Bezug "zumindest mitverantwortlich"

May: Herr Kramer, ist denn der Corona-Bezug bei dieser ohne Frage furchtbaren Tat für Sie schon glasklar? Die Maskenaufforderung kann ja auch nur der letzte Tropfen für die Tat gewesen sein. Der Mann hatte ja mehrere Waffen offenbar illegal gehortet und die Ursache könnte auch ganz woanders liegen.
Kramer: Sie haben völlig recht. Wir müssen hier sehr, sehr vorsichtig sein. Die Polizei, die Staatsanwaltschaft sind noch mitten in den Ermittlungen. Allerdings muss man sagen, die Staatsanwaltschaft der mutmaßliche Täter hat ja zu den Motiven auch schon Einblicke gewährt. Sie sind zumindest mitverantwortlich und insofern, glaube ich, ist es durchaus erlaubt, auch diese Diskussionen jetzt mit dieser Zielrichtung zu führen.
Blumen, Kerzen und Botschaften an das Opfer liegen vor der Tankstelle, an der ein Maskengegner einen Angestellten erschossen hat. Zwei Menschen stehen vor den Blumen.
Ein Angestellter einer Tankstelle in Idar-Oberstein wurde von einem Kunden erschossen, nachdem der Mitarbeiter den Mann auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. (picture alliance/dpa/Thomas Frey)
May: Man kann diese Tat schon generalisieren? Ist das okay?
Kramer: Generalisieren darf man sie auf keinen Fall. Noch mal: Wir müssen vorsichtig sein. Auch nicht alle Impfgegner und Querdenker sollen hier kriminalisiert werden. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit sind ganz wichtige Güter. Aber wir müssen erleben, dass Tötungsfantasien, Revolutionsgelüste und quasi der vermeintlich legitime Widerstand gegen die Corona-Diktatur in den letzten Wochen und Monaten nicht nur im Netz, sondern teilweise auch in der analogen Welt immer weiter eskaliert sind, und ich glaube, hier ist es angezeigt, noch mal sehr deutlich zu warnen.
May: Lässt sich das denn schon quantifizieren? Gibt es tatsächlich schon eine Zunahme, eine messbare Zunahme von Gewalttaten, von Aufrufen im Netz mit Corona-Bezug?
Kramer: Ich wäre jetzt hier vorsichtig, mit Statistiken argumentieren zu wollen. Aber alle diejenigen – und das sind ja nicht nur die Sicherheitsbehörden; das sind Medien, das sind Wissenschaftler, die sich mit den Netzwerken auseinandersetzen, die sich das anschauen, was dort ausgetobt wird im Grunde an Fantasien auf den Plattformen -, die erleben schon, dass das immer schärfer wird, immer deutlicher wird. Ich darf daran erinnern, wir haben Wahlplakate, auf denen öffentlich zum Aufhängen von Politikern aufgefordert wird. Ich glaube, das ist sehr deutlich spürbar. Das muss sicherlich wissenschaftlich noch nachgearbeitet werden, aber das ist jetzt auch kein großes Geheimnis.

Mit Hass und Hetze auf Stimmenfang - "das erleben wir seit Jahren"

May: Welche Verantwortung trägt Ihrer Meinung nach die AfD?
Kramer: Ich denke, erst mal sind wir in der gesamten Gesellschaft verantwortlich dafür, dass diese Diskussionskultur – das kann man, glaube ich, heute schon gar nicht mehr so nennen – Hass und Hetze eigentlich mehr den Inhalt wiedergeben, dass es gar nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung geht. Von respektvoll will ich an vielen Stellen schon gar nicht mehr reden. Aber in der Tat gibt es gerade aus dem neurechten Spektrum – der dritte Weg, Sie haben die AfD genannt – in den letzten Jahren schon den Versuch, genau mit diesen Emotionen, genau mit dieser Polarisierung, ja zum Teil auch mit Hass und Hetze auf Stimmenfang zu gehen und die Gesellschaft zu polarisieren. Auch das erleben wir jetzt seit Jahren.
May: Ist diese Verschmelzung von Teilen der Querdenker und Teilen der rechten Szene sichtbar und klar für Sie?
Kramer: Das ist genau das Problem. Wir haben uns sehr schwer damit getan. Sie erinnern sich noch an die Diskussion, die auch gerade mit Blick auf die Querdenker-Szene, die Demonstrationen bei uns auch in den Sicherheitsbehörden eine Rolle gespielt hat. Wir haben uns das nicht leicht gemacht, bis wir diesen staatsfeindlichen Habitus, der im Grunde sich nachher immer deutlicher verdeutlicht hat in diesen Demonstrationen, bis wir auch tätig werden mussten aufgrund unseres gesetzlichen Auftrages. Hier sind Reichsbürger, Verschwörungsfantasten, Rechtsextreme unterwegs und man muss leider feststellen, dass in den letzten Wochen und Monaten die immer mehr den Ton angeben. Noch mal: Nicht alle Impfgegner und Querdenker sollen hier kriminalisiert oder in eine extremistische Ecke gestellt werden, aber immer deutlicher müssen sie sich fragen lassen, ob sie da eigentlich noch mitmachen wollen, oder ob sie ihr Ansinnen auch noch von diesen Gruppierungen vertreten sehen wollen. Wir müssen erleben, dass die wohl immer mehr die Oberhand gewinnen und immer mehr den Ton angeben.
May: Aber da wird ja schon ein Grundproblem deutlich. Sie haben in Thüringen die AfD von Björn Höcke als Verdachtsfall eingestuft und Sie haben auch diese bundesweite Einstufung der Querdenker-Bewegung als Verdachtsfall gefordert. Aber wie macht man da die Abstufung in der Praxis?
Kramer: Die AfD ist in Thüringen, wie ja nun in den Medien auch bekannt geworden ist, nicht mehr Verdachtsfall, sondern erwiesenes Beobachtungsobjekt. Das ist noch mal eine deutliche Zuspitzung unserer Beurteilung der Sachlage. Aber ich möchte davor warnen, es jetzt hier nur auf die AfD zu konzentrieren. Ich habe auch im Vorspann im Bericht gehört, wie sich einige geäußert haben, und da ist was dran. Wenn ich mir überlege: Allein schon in der Flüchtlingsdiskussion 2018 sind im Deutschen Bundestag Worte gefallen, die eher so qualifiziert werden können, dass man hier versucht hat, mit Hass und Hetze Stimmung zu machen und zu polarisieren. Nun bin ich nicht naiv und weiß, dass in der politischen Auseinandersetzung die Polarisierung, auch dicke Pinselstriche Gang und Gebe sind, aber die Frage ist, ob hier nicht immer öfter auch die Grenzen überschritten werden dessen, was man eigentlich noch in einer solchen demokratischen Auseinandersetzung sich leisten sollte. Und wir erleben auch, dass Teile der Gesellschaft immer weiter radikalisiert werden, emotionalisiert werden und letztlich gesehen auch gespalten werden und dass die Hemmschwelle zum Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel, vermeintliches legitimes Mittel auch in Teilen der bürgerlichen Gesellschaft immer weiter sinkt. Insofern eine deutliche Tendenz.
May: Wird das auch bleiben, wenn die Corona-Pandemie irgendwann mal vorbei ist?
Kramer: Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich denke, wir mussten erleben – das ist jetzt eine Arbeitshypothese -, dass das Thema im Grunde völlig egal ist, solange es dazu dient zu emotionalisieren, zu spalten, zu polarisieren. Es gibt ja schon Diskussionen von der sogenannten Klimadiktatur. Mein Eindruck ist der, wenn es Corona nicht gegeben hätte, dann wäre es die Klimadiktatur oder irgendein anderes Thema gewesen. Wir erleben seit 2014, 2015 zunächst mit der Flüchtlingsdiskussion, dann auch verschiedenen anderen Diskussionen, dass jedes Thema, was dazu geeignet ist zu emotionalisieren, zu polarisieren, missbraucht wird von einigen Gruppen in unserer Gesellschaft, um hier zu spalten.
May: In welchem Umfang werden Corona-Leugner, Querdenker bereits beobachtet beziehungsweise überwacht?
Kramer: Von Beobachtung und Überwachung möchte ich an der Stelle nicht sprechen. Wir schauen uns sehr genau an, was in den öffentlichen Netzen passiert, was auf den Demonstrationen passiert, immer aus der Blickrichtung des gesetzlichen Auftrages, wenn es hier um verfassungsfeindliche Bestrebungen geht. Die kommen in erster Linie aus dem Bereich des Rechtsextremismus in diesem Bereich, vor allem auch der neuen Rechten, die hier versucht, Boden zu gewinnen und neue Wählerschichten für sich zu erschließen in der Mitte der Gesellschaft. Das zu quantifizieren, möchte ich jetzt nicht tun. Wir gucken hier sehr aufmerksam hin und daraus resultieren auch unsere Bewertungen.

"Wir müssen uns mit den sozialen Plattformen beschäftigen"

May: Ihr Innenminister in Thüringen hat gefordert, dass man den Handy-Messenger Telegram stärker überwachen muss, beziehungsweise der müsste auch durchs Netzwerk-Durchsuchungsgesetz fallen. Es ist ja ein Messenger, gilt bisher nicht als soziales Netzwerk. Netzwerk-Durchsetzungsgesetz heißt, dass man da auch stärker nach strafbaren Äußerungen durchleuchten kann und dass der Betreiber dann auch gegebenenfalls zur Löschung verpflichtet ist. Hätte man das nicht schon längst machen müssen?
Kramer: Georg Maier hat nicht jetzt erst sehr deutlich darauf hingewiesen, unser Thüringer Innenminister, dass das ein schwerwiegendes Problem ist. Wir haben in den Sicherheitsbehörden seit langem darauf hingewiesen, dass diese Messenger-Dienste mit der kryptierten Kommunikation, die auf der anderen Seite wichtig ist für eine freie und offene Gesellschaft, dass hier eine Kommunikation gegeben sein muss, aber dass die immer öfter auch missbraucht wird von Extremisten und von Terroristen zum Teil auch, die in diesem Umfeld versuchen, einer staatlichen Beobachtung zu entgehen und damit natürlich auch staatlichen Maßnahmen zu entgehen. Telegram ist nun einer der Anbieter, der dafür bekannt ist, nicht nur bilaterale Kommunikation auszutauschen, sondern auch Plattformen zur Verfügung zu stellen, wo sehr deutlich gehetzt wird, wo Hass und Hetze sich völlig ungeniert ausleben können, weil man glaubt, dass dort nur die Zielgruppen erreicht werden und man selber nicht zur Verantwortung gezogen werden muss. Ich denke, wir müssen uns insgesamt mit den sozialen Plattformen beschäftigen. Hier geht es auch nicht um eine Zensur. Hier geht es nicht darum, dass die Anbieter selber entscheiden sollen. Aber ich denke, wir müssen hier noch die nötigen Instrumente finden, um auch hier gewisse Standards und Niveaus des respektvollen Umgangs zu finden. Das heißt nicht, dass es hier nicht um klare Sprache und klare Ausdrucksweise und auch Kritik gehen soll, aber dass hier gewisse Standards, wo Hass und Hetze nicht geduldet werden, gesetzt werden, weil wir wissen ja, wozu das am Ende führt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.