Vier Landesverbände der AfD sind bereits von den Verfassungsschützbehörden der jeweiligen Bundesländer als Verdachtsfälle eingestuft: Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Für die Bundespartei gilt das bislang noch nicht. Am 3. März war zwar bekannt geworden, dass nun auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD als Verdachtsfall einstuft. Diese Entscheidung wurde jedoch zwei Tage später vom Kölner Verwaltungsgericht auf Eis gelegt.
Das Kölner Gericht verwies darauf, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz zugesagt hatte, Stillschweigen über eine mögliche Einstufung der AfD als Verdachtsfall zu bewahren. Da diese Information aber dennoch durchsickerte, sah das Gericht darin einen unvertretbaren Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien. Dem Verfassungsschutz ist nun untersagt, die Partei als Verdachtsfall einzustufen oder zu behandeln sowie eine Einstufung oder Behandlung als Verdachtsfall erneut bekannzugeben. Der Beschluss gilt, bis das Gericht über die entsprechenden Eilanträge der AfD entschieden hat, mit denen diese ihre Einstufung als Verdachtsfall verhindern will.
Gesamt-AfD als Prüffall
Am 15. Januar 2019 hatte das Bundesamt für Verfassungschutz (BfV) die AfD insgesamt als sogenannten Prüffall ein. Seitdem untersuchten die Verfassungsschützer, ob und inwieweit bei der AfD Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gegeben sind. Der Prüffall ist die Vorstufe zum Verdachtsfall. Dieser wiederum ermöglicht es dem Verfassungsschutz, eine Partei mit nachrichtendienstlichen Mittel zu beobachten und Informationen zu sammeln. Offenbar hat die inzwischen Prüfung ergeben, dass eine Einstufung der AfD als Verdachtsfall aus Sicht des Verfassungsschutzes gerechtfertigt ist - eine Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts dazu steht aber noch aus.
Einfluss des "Flügels" als Kernfrage
Über die konkreten Fälle und Aspekte, die vom Verfassungsschutz zur Entscheidung herangezogen wurden, ist noch nichts bekannt. Im Kern dürfte es beim Prüfverfahren aber um die Frage gegangen sein, wie sich die AfD nach der formalen Auflösung des sogenannten Flügels entwickelt hat, der vom Verfasungsschutz im März 2020 als rechtsextrem eingestuft worden war.
Frühe Anzeichen für Einstufung als Verdachtsfall
Der Verfassungsschutz hält die vom AfD-Bundesvorstand propagierte Auflösung des Flügels für vorgeschoben. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Strukturen der innerparteilichen Organisation und Netzwerke unverändert fortbestehen. Auch der Machtkampf zwischen den verschiedenen Lagern in der Partei ist weiterhin sichtbar, zuletzt beim vergangenen Parteitag in Kalkar, bei dem das als rechtsextrem eingestufte Lager nach Einschätzung der Beobachter vom Bundesverfassungsschutz fast die Hälfte der Delegierten hinter sich hatte. Der Einfluss des eigentlich aufgelösten völkischen "Flügels" sei in der AfD stärker geworden, wurde BfV-Präsident Thomas Haldenwang im "Spiegel" zitiert.
Prüffall – Organisationen bei denen erste Anzeichen für extremistische Bestrebungen vorliegen. In diesem Fall sind die Mittel, die der Verfassungsschutz einsetzen darf eingeschränkt. Es dürfen nur öffentlich zugängliche Quellen ausgewertet werden.
Verdachtsfall – Organisationen, die nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber hinreichend gewichtige "tatsächliche Anhaltspunkte" für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen. Der Verfassungschutz darf diese Organisationen genauer kontrollieren. Mitglieder dürfen dann observiert und abgehört und es darf Einblick in die Finanzen genommen werden – allerdings all das nur mit richterlichem Beschluss.
Beobachtungsfall – Organisationen bei denen sich der extremistische und verfassungsfeindliche Verdacht erhärtet hat. Der Verfassungsschutz kann die ganze Bandbreite der nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen – die richterlichen Genehmigungen werden dann leichter erteilt.
(Quelle: ARD)
Verdachtsfall – Organisationen, die nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber hinreichend gewichtige "tatsächliche Anhaltspunkte" für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen. Der Verfassungschutz darf diese Organisationen genauer kontrollieren. Mitglieder dürfen dann observiert und abgehört und es darf Einblick in die Finanzen genommen werden – allerdings all das nur mit richterlichem Beschluss.
Beobachtungsfall – Organisationen bei denen sich der extremistische und verfassungsfeindliche Verdacht erhärtet hat. Der Verfassungsschutz kann die ganze Bandbreite der nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen – die richterlichen Genehmigungen werden dann leichter erteilt.
(Quelle: ARD)
Mehrere Medien berichteten schon vor Bekanntwerden der Entscheidung des Verfassungsschutzes, dass die Gesamtpartei als Verdachtsfall eingestuft werde. Der bayerische Verfassungsschutzchef Burkhard Köhler sprach gegenüber der "Welt" sogar die mögliche Option an, dass die AfD gleich eine weitere Stufe höher, als gesichert extremistische Organisation, eingestuft werden könnte. Auch diese Äußerung deutete auf einen künftig härteren Kurs auch gebenüber der Bundes-AfD hin.
Eine Einstufung als Verdachtsfall hat zunächst keine Einschränkungen für die AfD-Delegierten und ihre politische Arbeit zur Folge. Allerdings könnten Parteimitglieder dann observiert und abgehört werden, um dem Verdacht verfassungsfeindlicher Tätigkeiten nachzugehen. Außerdem darf der Verfassungsschutz V-Leute in ihren Reihen einsetzen. Nachrichtendienstlich kann erst ermittelt werden, wenn die AfD vom Verdachtsfall auf einen Beobachtungsfall hochgestuft wird, wie dies beim "Flügel" der AfD der Fall war.
Konkrete Auswirkungen dürfte die Einstufung als Verdachtsfall aber wohl für AfD-Mitglieder haben, die zugleich Angehörige des öffentlichen Dienstes sind und einen Eid auf die Verfassung abgelegt haben. Der Verfassungsschutz hat bereits angekündigt, dass etwa Mitglieder eines Beobachtungsobjektes wohl Probleme mit ihrer Dienststelle bekommen könnten. Ob sie aus dem Dienst entlassen werden, müsste dann aber in jedem Einzelfall geprüft werden.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat bereits klargestellt, dass "der Polizeidienst und ein Engagement bei der AfD nicht zusammen passen". Auch der Vorsitzende des Beamtenbunds, Ulrich Silberbach, hält eine Beamtentätigkeit und eine Mitgliedsschaft in der AfD für unvereinbar, sollte der Verfassungsschutz bei der Bundespartei extremistische Bestrebungen feststellen.
Vorwurf der politischen Instrumentalisierung
Seit Beginn des Verfahrens ist aus den Reihen der AfD immer wieder der grundsätzliche Vorwurf zu hören, dass der Verfassungsschutz von der Politik instrumentalisiert und unter Druck gesetzt werde mit dem Ziel, die Partei als Verdachtsfall einzustufen und sie damit ins politische Abseits zu stellen.
Einen konkreten Vorwurf hat die AfD nun aus der Berliner Landespolitik publik gemacht: Demnach sei ein Zwischenbericht der Berliner Verfassungsschutzbehörde nachgeschärft worden, zu Ungunsten des Landesverbandes der AfD. Der Innensenator wies diese Darstellung zurück und sprach von einer glatten Lüge.
Mit dem Bekanntwerden der Verdachtsfall-Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutzes sieht sich die AfD weiter bestätigt und wirft der Behörde versuchte Wahlbeeinflussung vor. Der Schaden sei nun angerichtet, auch wenn das Kölner Verwaltungsgericht die Entscheidung wieder gekippt habe, sagte AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen im Deutschlandfunk. Die AfD-Spitze forderte den Rücktritt von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
Klage vor dem Kölner Verwaltungsgericht
Die AfD versucht, sich auf juristischem Weg gegen die drohende Einstufung als Verdachtsfall zur Wehr zu setzen. Beim Verwaltungsgericht Köln sind zwei Eilanträge eingegangen. Zum einen beantragtrage die AfD, dem Verfassungsschutz zu verbieten, sie als rechtsextremistischer Verdachtsfall einzustufen oder dies öffentlich bekanntzugeben. Zum anderen will die Partei erreichen, dass der Verfassungsschutz nicht mehr angeben darf, über wie viele Mitglieder der formell aufgelöste rechte "Flügel" in der AfD verfügt. Das Gericht hat dazu in der Sache noch keine Entscheidung gefällt.
In Sachsen-Anhalt wurde der gesamte AfD-Landesverband Ende Januar 2021 als Verdachtsfall eingestuft - und ist unter Beobachtung gestellt worden, seine rund 1.400 Mitglieder könnten mit nachrichtendienstlichen Mitteln und mit dem Einsatz von V-Leuten überwacht werden.
Der Landesverfassungsschutz in Magdeburg soll die Entscheidung schon am 12. Januar getroffen haben, nachdem offenbar genügend Anhaltspunkte dafür vorgelegen hatten, dass es sich bei der Landes-AfD um einen rechtsextremen Verdachtsfall handelt.
Landesverband von "Flügel"-Politikern dominiert
Eine große Rolle bei der Einstufung dürfte das führende Personal im Landesverband gespielt haben. Hans-Thomas Tillschneider, seit Jahren als Rechtsaußen bekannt und auch durch den Verfassungsschutz beobachtet, wurde im vergangenen Herbst in den Landesparteivorstand gewählt. An der Spitze der Landes-AfD steht mit Oliver Kirchner ein ehemaliger "Flügel"-Angehöriger, der ebenfalls dem rechten Rand zugerechnet wird.
Auch die Landesliste für die anstehenden Landtagswahlen am 6. Juni ist stark von Kräften aus dem "Flügel" dominiert, die nach Einschätzung des Magdeburger Rechtsextremismus-Experten David Begrich weiter den Ton im Landesverband angeben. Dass die AfD in Sachsen-Anhalt nun vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird, könnte ein weiteres Signal für die anstehende Entscheidung auf Bundesebene sein.