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Verfassungsschutzbericht
"Kein Grund zu Alarmismus"

Der Verfassungsschutz warnt vor einem Anstieg extremistischer Gewalttaten - und wolle damit vom "Überwachungsskandal" ablenken, sagte Konstantin von Notz, Fraktionsvize von Bündnis 90/Die Grünen, im DLF. Jetzt Befugnisse gerade bei der Datenerhebung auszuweiten, sei der falsche Weg.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Petra Ensminger |
    Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz
    Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Deutschland nehme seit Jahren Flüchtlinge auf, auch aus Syrien, sagte von Notz im Deutschlandfunk. Die Behörden hätten die Problematik unter Kontrolle. "Ob das Problem tatsächlich so groß ist, wie jetzt dargestellt, auch das muss überprüft werden." Es gebe "keinen Grund zu Alarmismus", sagte der netzpolitische Sprecher der Grünen. "Die Gefahren sind real, aber damit sozusagen eine Ausweitung der Befugnisse gerade bei den Datenerhebungen zu befürworten, das ist meiner Ansicht nach genau die falsche Richtung."
    Gängige Praxis des Verfassungsschutzes sei es gegenwärtig, "anlasslos und massenhaft alle möglichen Daten zu sammeln", kritisierte von Notz. "Da ist es schwierig, die mögliche Gefährdung herauszusuchen. Wenn man den Heuhaufen unendlich groß macht, wird die Wahrscheinlichkeit, dass man die Nadel findet, eben nicht größer, sondern kleiner."
    "Terroristen bekämpfen, nicht die Bevölkerung"
    Der Grünen-Fraktionsvize monierte, dass bestimmte Bereiche im Verfassungsschutzbericht ausgeklammert seien, etwa die Spionageabwehr in Deutschland. "Wir befinden uns auf dem Höhepunkt des größten Überwachungsskandals aller Zeiten und da muss man fragen, wo ist der rechtsstaatliche Rahmen? Und dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz diesen Fragen nicht stellt, das ist ein erhebliches Problem in einem Rechtsstaat."
    Dabei hätten Verfassungsrechtler dem Bundesnachrichtendienst im NSA-Untersuchungssauschuss attestiert, der Geheimdienst agiere verfassungsrechtlich hoch problematisch bei der Kommunikationsüberwachung. "Man muss hier Fehlentwicklungen auch zurückkämpfen, und zwar gerade weil man die Mittel, die man hat, dafür einsetzen muss, Terroristen zu bekämpfen und nicht die normale Bevölkerung."

    Lesen Sie das gesamte Interview mit Konstantin von Notz in voller Länge:
    Petra Ensminger: Die Gotteskrieger-Miliz Isis, die demonstriert im Irak viel Kraft, und jetzt haben Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vor Gefahren gewarnt, die mit den Auseinandersetzungen im Irak und den Kämpfen in Syrien zu tun haben.
    Besondere Sorge also bereiten Rückkehrer aus dem Syrien-Krieg und aus dem Irak. Darüber habe ich mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag gesprochen, Konstantin von Notz, auch Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Der radikal-islamische Extremismus laut oberstem Verfassungsschützer die größte Bedrohung für die innere Sicherheit. Sieht der Grünen-Politiker von Notz das auch so?
    Konstantin von Notz: Wir teilen die Sorge, das Problem muss man ernst nehmen und das Bundesamt für Verfassungsschutz muss da mit seinen Möglichkeiten, seinen Instrumenten aufklären und die Gefahren abwehren.
    Kein Grund zu Alarmismus
    Ensminger: Aber wäre es nicht sinnvoll, an den Wurzeln zu packen und zum Beispiel Rekrutierungen direkt zu verhindern?
    von Notz: Ja, das wäre sicherlich sinnvoll, das zu tun, soweit man das in einem freien Rechtsstaat eben kann. Und insofern muss man sehen, wo diese Rekrutierungen passieren und ob das Problem auch tatsächlich so groß ist, wie jetzt dargestellt. Auch das muss überprüft werden. Wir haben ja nun schon seit vielen Jahren Flüchtlinge aus diesen Regionen, die zu uns kommen. Bisher haben wir die Problematik gut unter Kontrolle. Deswegen ist auch kein Grund zu Alarmismus, aber man muss aufmerksam und problembewusst da vorgehen.
    Ensminger: Sicherlich hat der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vor knapp einem Monat auch dafür gesorgt, dass die Sorgenfalten ein bisschen tiefer sind. Der ging ja mutmaßlich auf das Konto eines Syrien-Rückkehrers. Er ist über das Drehkreuz Frankfurt nach Europa gekommen. Das heißt, unsere Verfassungsschützer müssen eigentlich noch wesentlich mehr aufpassen.
    von Notz: Ja ich würde sagen, umgekehrt wird ein Pfeil daraus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der BND suchen ja nun nach Instrumenten, und das, was wir durch Snowden erfahren haben, ist eben die Praxis, anlasslos und massenhaft alle möglichen Daten zu sammeln. Da ist es schwierig, die wirklichen Gefährder herauszusuchen. Wenn man den Heuhaufen unendlich groß macht, wird die Wahrscheinlichkeit, dass man die Nadel findet, nicht größer, sondern kleiner.
    Die Instrumente sind da
    Ensminger: Aber gerade mit Blick auf die gezielte solide Arbeit - wir haben schon über Rekrutierungen gesprochen -, deutsche Behörden haben ja wenig Zugriff auf Rekrutierungen, bekommen erst durch ausländische Dienste überhaupt mit, dass ein Deutscher womöglich in Kampfhandlungen in Syrien oder Irak verwickelt ist. Das kann ja eigentlich auch nicht sein, oder?
    von Notz: Warum ist das so?
    Ensminger: Das hat zumindest heute der Verfassungsschutzpräsident so angegeben.
    von Notz: Ja, das glaube ich gerne. Aber es ist so: Wir haben auch einen Bundesnachrichtendienst, der im Ausland nachrichtendienstlich aufklärerisch tätig ist. Insofern: Die Instrumente sind da und die erfolgreiche Arbeit bis heute zeigt ja, dass das funktioniert. Ich kann nur sehr raten, hier keinen Alarmismus zu betreiben. Man muss problembewusst sein, die Gefahren sind real. Aber damit sozusagen eine Ausweitung der Befugnisse gerade bei den Datenerhebungen zu befürworten, das ist meiner Ansicht nach genau die falsche Richtung. Es scheint, auch so zu sein, dass man bestimmte Bereiche, die man in dem Verfassungsschutzbericht heute ja bewusst ausgespart hat, nämlich zum Beispiel die Spionageabwehr in Deutschland, wo es ganz massive Probleme gibt, dass man die hier versucht, mit einem bestimmten Bild zu rechtfertigen. Da wäre ich sehr skeptisch und vorsichtig.
    Ensminger: Dennoch: Sie haben den BND angesprochen. Auch der möchte ja Netzwerke jetzt in Echtzeit ausspionieren. Und man muss ja auch sagen, die Sicherheitsbehörden müssen sich natürlich den Möglichkeiten dieser rasanten Entwicklung der Kommunikation auch anpassen können, oder sehen Sie das anders?
    von Notz: Ja natürlich müssen die Dienste im 21. Jahrhundert ankommen, aber mit rechtsstaatlichen Mitteln. Und wenn wir beide bei Twitter und Facebook überwacht werden, dann hilft das der Arbeit nicht weiter.
    Immer eine Frage der Verhältnismäßigkeit
    Ensminger: Aber womöglich werden Planungen ausgespäht. Das gilt ja auch für rechte und linke Extremisten, die stellen ja auch eine Gefahr dar, wie wir heute gehört haben. Kann man womöglich Gewalttaten, die ja gestiegen sind in diesen Szenen, auch verhindern?
    von Notz: Ja. Wenn wir uns alle eine Kamera auf den Kopf binden und unser gesamtes Leben abfilmen, dann kann man wahrscheinlich viele Straftaten verhindern. In einem Rechtsstaat stellt sich immer die Frage der Verhältnismäßigkeit und die ist in vielen Praktiken, die heute schon da sind, nicht gegeben. Wir befinden uns auf dem Höhepunkt des größten Überwachungsskandals aller Zeiten und da muss man fragen, wo ist der rechtsstaatliche Rahmen. Und dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz diesen Fragen nicht stellt, das ist ein erhebliches Problem in einem Rechtsstaat, und ich teile die Ansicht nicht, dass das mit den verhältnismäßigen und guten geheimdienstlichen Instrumenten, die nach dem Gesetz den Diensten zur Verfügung stehen, nicht machbar ist.
    Ensminger: Und da werden Sie nachhaken, auch womöglich im NSA-Untersuchungsausschuss?
    von Notz: Da werden wir natürlich nachhaken, auch im NSA-Untersuchungsausschuss. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird sich nicht einfach wegducken können und so tun, als wenn es diese Probleme nicht gibt. Heute veröffentlicht „Spiegel Online" Daten über Spionage in Deutschland, die eigentlich in der Zuständigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz liegen. Dass das nicht vorkommt in dem Bericht, ist skandalös und zeigt, dass man versucht, hier ein Problem wegzudrücken.
    BND agiert verfassungsrechtlich hoch problematisch
    Ensminger: Herr von Notz, aber ist es denn dann so, dass die staatlichen Behörden gefährlich für unsere demokratische Ordnung sind, oder sind es potenzielle Terroristen, die da bekämpft werden müssen?
    von Notz: Ja natürlich müssen potenzielle Terroristen bekämpft werden. Aber Dienste – das lehrt die deutsche Geschichte – müssen sich an Recht und Gesetz halten. Das ist so in einem Rechtsstaat.
    Ensminger: Und das tun sie derzeit Ihrer Meinung nach nicht?
    von Notz: Das tun sie derzeit unserer Meinung nach nicht. Es gibt ganz erhebliche Zweifel. Wir hatten gerade vorm Untersuchungsausschuss drei Staatsrechtslehrer, unter anderem Herrn Papier und Herrn Hoffmann-Riem und Herrn Becker, die haben alle drei bestätigt, dass der BND verfassungsrechtlich hoch problematisch agiert bei der Kommunikationsüberwachung, die er tätigt, und damit müssen sie sich in einem Rechtsstaat auseinandersetzen. Man muss hier Fehlentwicklungen auch zurückkämpfen, und zwar gerade, weil man die Mittel, die man hat, dafür einsetzen muss, Terroristen zu bekämpfen und nicht die normale Bevölkerung.
    Ensminger: Konstantin von Notz, Fraktionsvize der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.