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Verfassungsschutzbericht
Reichsbürger "wurden als Spinnerte abgetan"

Zum ersten Mal wurden die sogenannten Reichsbürger im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Fast 13.000 gibt es demnach in Deutschland. Bernd Wagner von der Organisation Exit beschäftigt sich seit den 1990er-Jahren mit der Szene und sagt: Man hat sie zu lange nicht ernst genommen. Im Dlf forderte er Deradikalisierungsmaßnahmen.

Bernd Wagner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der Mitbegründer der Initiative "Exit Deutschland", Bernd Wagner.
    Der Mitbegründer der Initiative "Exit Deutschland", Bernd Wagner. (AFP / John Macdougall)
    "Man hat sie nicht als Verfassungsfeinde wahrgenommen," so Wagner - erst als sie massiv wurden gegenüber staatlichen Behörden.
    Die "Diskussionslandschaften" der Reichsbürger seien im politischen Diskurs der 90er- und 2000er-Jahrenicht aufgegriffen worden, so Wagner. "Da hätte man früher einsteuern sollen. Und das ist das Ergebnis jetzt, dass wir da zu wenig investiert haben". Heutzutage seien die Fronten verhärtet - somit werde es immer schwieriger, sie zu erreichen.
    Es gebe allerdings in diesem "merkwürdigen, aber gefährlichen Kreis von Personen" immer noch welche, die gesprächsbereit seien.
    Laut Wagner müssten Deradikalisierungsmechanismen entwickelt werden, unterhalb der Ebene der Repression.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Viele Gefahren, denen Deutschland ausgesetzt ist, die sind nachzulesen im neuen Verfassungsschutzbericht, der gestern vorgestellt wurde. Viele Gefahren oder besser viele Gefährder, islamistische zum Beispiel. Die Zahl der Salafisten, die ist in Deutschland gestiegen. Linksextremistische Straftaten sind rückläufig; Linksextreme selbst werden aber immer mehr. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten, die hat deutlich zugenommen, und zum ersten Mal hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière auch die sogenannten Reichsbürger mal durchzählen lassen, also Menschen, die den Staat Deutschland nicht anerkennen und die dem rechten Spektrum zugeordnet werden. Es gibt in Deutschland fast 13.000 sogenannte Reichsbürger. 800 davon sind offen rechtsextrem und 700 von den 13.000 haben eine Waffenerlaubnis.
    Wie gefährlich ist diese hohe Zahl von Reichsbürgern und lässt sich dagegen überhaupt etwas machen? Fragen, die uns jetzt vielleicht Bernd Wagner beantworten kann. Er ist Kriminalist, langjähriger Experte für Rechtsextremismus und Gründer des Vereins "EXIT", eine Initiative für rechtsextreme Aussteiger. Guten Morgen, Herr Wagner.
    Bernd Wagner: Einen recht schönen guten Morgen.
    Büüsker: 13.000 sogenannte Reichsbürger, hat Sie diese Zahl überrascht?
    Wagner: Die Zahl hat mich nicht überrascht. Ich beobachte die Szene ja seit den frühen 90er-Jahren für Gesamtdeutschland und es hat sich in der Tat in den letzten Jahren ein starker Aufwuchs ergeben, sodass das jetzt kumulativ am Ende steht, diese doch erhebliche Zahl von 13.000.
    "Wir haben zu wenig investiert"
    Büüsker: Wie erklären Sie sich diesen Aufwuchs?
    Wagner: Ich denke, dass hier Diskussionslandschaften in Gang gesetzt wurden, die gesellschaftspolitisch nicht ausreichend aufgefangen worden sind. Es gab immer wieder schon in den 90er-Jahren Zweifler an der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Man hat im Anschluss an rechtsextremes Gesellschaftsdenken schon nach dem Zweiten Weltkrieg die These aufgestellt, dass das "Besatzungsregime der Alliierten" auch zu einer illegalen Staatsgründung, nämlich der BRD geführt habe, und diese Diskussionslandschaften sind einfach auch im politischen Diskurs der Bundesrepublik nicht gut aufgegriffen worden, gerade in den 90er- und 2000er-Jahren. Da hätte man früher einsteuern sollen. Und das ist das Ergebnis jetzt, dass wir da zu wenig investiert haben.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, man hätte früher dagegen vorgehen müssen, wie denn?
    Wagner: Vor allen Dingen durch intensive Diskussionen, die dort aus den Vorstellungswelten entspringen gerade dieser Kreise. Es ist ja die eine Sache, das zurückzuweisen, oder möglicherweise auch da, wo es strafrechtswidrig wird, das per Staatsanwalt und Gericht zu verfolgen. Das andere ist natürlich auch, kritisch mit diesen Einlassungen umzugehen. Jetzt sind die Fronten stark verhärtet und es wird immer schwieriger, dort Entlastung zu schaffen. Wir versuchen das als Organisation, sind auch mit verschiedenen Personen aus diesem Spektrum im Gespräch. Wir haben auch Leute, die aus diesem merkwürdigen, aber auch gefährlichen Kreis von Personen ausgeschieden sind, die gesagt haben, das geht so nicht, und wo wir auch mit unserer Argumentation durchaus Wirkung gezeigt haben.
    "Es ist wichtig, dass diese Leute intensiv beobachtet werden"
    Büüsker: Sie gehen grundsätzlich davon aus, dass bei diesen Menschen doch noch eine gewisse Redebereitschaft existiert?
    Wagner: Es gibt Leute, die sind redebereit; es gibt natürlich auch Leute, die sind total fanatisch und verhärtet. Wir haben ja auch militante Aufführungen erlebt in der letzten Zeit. Auch die Frage steht natürlich, was ist mit den Waffen. Es gibt zwei Richtungen: Einmal eine noch gesprächsbereite Struktur und natürlich jene, die mit sich und der Welt abgeschlossen haben, die auch jede Härte für sich selbst in Kauf nehmen, wenn sie sich denn rechtswidrig in der Landschaft bewegen.
    Büüsker: Wir haben das ja gesehen im Oktober letzten Jahres. Da hat ein sogenannter Reichsbürger sich in seinem Haus verschanzt und dann letztlich einen Polizisten erschossen. Der Polizist ist gestorben. – Diese Menschen, diese Verhärteten, wie Sie sie beschreiben, wie gefährlich sind die insgesamt?
    Wagner: Die einen versuchen, das mit "juristischen Mitteln" irgendwie zu ventilieren, die BRD zu delegitimieren, sich selber als juristisch erfolgreich vor dem Hintergrund eines eigenen definierten Staatswesens herauszubewegen, zum Beispiel durch Installation von Selbstverwaltungsstrukturen. Die anderen, die versuchen, das natürlich auch durch aggressives Vorgehen die staatlichen Behörden zu ventilieren und erfolgreich zu sein. Und wie gesagt, auch ein kleiner Teil hat sich zum Äußersten entschlossen und versucht, möglicherweise dann auch mit militanten Mitteln etwas zu bewirken. Wie sich das entwickelt, können wir jetzt noch nicht abschätzen. Deswegen ist es wichtig, dass diese Leute auch intensiv beobachtet werden, damit sie nicht zu terroristischen Handlungen kommen.
    "Man hat sie nicht als Verfassungsfeinde wahrgenommen"
    Büüsker: Wie erklären Sie sich dann, dass die Reichsbürger jetzt zum ersten Mal im Verfassungsschutzbericht auftauchen? Warum hat das so lange gedauert?
    Wagner: Man hat sie nicht ganz klar als Verfassungsfeinde wahrgenommen. Man hat sie über viele Jahre – und das ist ja auch Teil des Problems – eher als Spinnerte abgetan und hat auch die dahinter stehende Ernsthaftigkeit ihres ideologischen, politischen Bestrebens nicht ernsthaft auf den Schild gehoben. Erst als sie sozusagen massiv wurden, auch gegenüber vielen staatlichen Behörden auffällig wurden, und auch Straftaten begangen wurden, sie auch in die Gerichtssäle Einzug hielten mit spektakulären Aktionen, ist das deutlicher wahrgenommen, und jetzt hat man sich dazu entschlossen, sie eindeutig zu etikettieren.
    Büüsker: Beobachten lassen durch den Verfassungsschutz ist das eine. Kann man diesen Menschen aber auch politisch irgendwie entgegenkommen? Könnten die Parteien da irgendwie dran kommen?
    Wagner: Ob die Parteien da dran kommen können, weiß ich nicht so genau. Da hat wahrscheinlich keine Partei direkt ein Interesse daran, kritisch-dialogische Verfahren mit diesen Menschen zu etablieren. Aber es sollten tatsächlich Deradikalisierungsmechanismen entwickelt werden, dass man unterhalb der Ebene der Repression auch jene erreicht, die noch Zweifel in ihrem Bewusstsein haben, den richtigen Weg beschritten zu haben.
    Büüsker: Mitte Juni, da hat das Redaktionsnetzwerk Deutschland mit Verweis auf eine Sprecherin des Innenministeriums berichtet, dass sogar im Öffentlichen Dienst in Deutschland Reichsbürger beschäftigt sein könnten. Da steht die Zahl von 50 Personen im Raum. Wie passt das denn zusammen, einerseits den deutschen Staat als Institution nicht anerkennen, aber gleichzeitig für ihn arbeiten?
    Wagner: Ja das ist natürlich ein innerer Widerspruch, ein logischer Widerspruch allemal. Wie die Leute das mit sich denn selbst vereinbaren, den Eid auf die Bundesrepublik Deutschland, eine dienstrechtliche Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eingegangen zu sein und anders herum einem anderen unterlegten Staat dienen zu wollen und den aufführen zu wollen, nämlich das Deutsche Reich, das ist schwer zu vermitteln.
    "Sie folgen einer falschen historischen Logik"
    Büüsker: Also ist das Stichwort "Spinner" gar nicht mal so weit weg?
    Wagner: Ich würde das nicht als Spinner bezeichnen. Wenn Sie sich mit diesen Theorien beschäftigen, haben die eine Scheinlogik, und insofern glauben die Menschen das wirklich, was sie dort darstellen, was sie dort mitteilen. Das ist ihre Sicht auf die historischen Ereignisse und von da aus sind die nicht spinnert, sondern sie folgen einer falschen historischen Logik.
    Büüsker: Bernd Wagner, Kriminalist und Gründer der Aussteigerinitiative "EXIT" für Rechtsextreme, die raus wollen aus der Radikalisierung. Wir haben über Reichsbürger in Deutschland gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Wagner.
    Wagner: Ja, bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.