"Ich hab ja in der Staatsbibliothek gearbeitet und meine Direktorin hatte 'Direktor' an ihrer Tür stehen. Und dann habe ich da ein 'in' dran gemalt. Und dann war sie ziemlich wütend in der nächsten Sitzung: 'Wer hat sich an meinem Türschild zu schaffen gemacht?' Und dann hab ich gesagt: 'Ja, aber Sie sind doch eine Frau, und deswegen habe ich Ihnen die weibliche Form hingeschrieben.' Dann wurde das Schild ausgewechselt. Dann habe ich es wieder rangeschrieben. Und irgendwann gab es ein gedrucktes Schild: 'Direktorin'."
Schon eine kleine Aktion wie die hier von Almut Ilsen beschriebene konnte ungeahnte staatliche Repressionen nach sich ziehen. Unangepasstes Verhalten war kein Phänomen der späten DDR. In den 1980er Jahren aber engagierten sich Frauen immer häufiger und offensichtlicher – allein oder in Gruppen.
Die Chemikerin gründete '82 die Ost-Berliner Oppositionsgruppe "Frauen für den Frieden" mit. In dem Buch "Seid doch laut!", das sie kürzlich herausgegeben hat, beschreiben damalige Aktivistinnen, dass sie damals auf das neue Wehrdienst-Gesetz der Volkskammer reagierten.
"Da stand eben drin, dass Frauen im Fall der Mobilmachung und des Verteidigungsfalles eingezogen werden können. Einige von uns hatten schon persönlich Eingaben geschrieben, aber für uns war das ein Punkt, dass wir gesagt haben: Das nicht. Wir haben das ja alle auch bei unseren Partnern oder Freunden gesehen, wie diese NVA Menschen kaputt macht, also einfach dieses Töten lernen. Und wir waren schon überzeugte Pazifistinnen. Und haben deshalb gesagt: Es geht nicht, dass wir als Frauen auch in diese Mühle sollen und haben dann gemeinsam eine Eingabe geschrieben."
Überwachung durch die Stasi
130 Frauen unterschrieben diese Eingabe an den Staat. Für DDR-Verhältnisse sei das eine ganze Menge gewesen, sagt Almut Ilsen. Jede einzelne habe gewusst, dass sie Schwierigkeiten bekommen konnte.
Sechs Wochen später klopfte die Staatssicherheit an die Tür. Wie sehr sie das Leben der Frauen fortan überwachte, konnten diese erst im Nachhinein in ihrer Stasi-Akte nachlesen. Die Historikerin Jessica Bock:
"Bei den 'Frauen für den Frieden' gab es einen 'Operativen Vorgang Wespen', der dann eingebettet war im 'Zentralen Vorgang', 'Operativen Vorgang Wespen', wo alle Frauengruppen 'Frauen für den Frieden' in der DDR betroffen waren. Da wurden IM's eingeschleust in den Gruppen, die haben Berichte gesammelt, es gab dann so verdeckte Zersetzungsmaßnahmen, die haben die Stelle verloren und lange keine andere Arbeit gefunden, so eine erzeugte Arbeitslosigkeit. Das war dann schon mit Risiko verbunden, sich in der DDR kritisch mit Frauenfragen und auch für Frauen sich auseinanderzusetzen und sich da für Frauen einzusetzen."
Jessica Bock hat zur Geschichte der ostdeutschen Frauenbewegung promoviert und dabei besonders die Jahre 1980 bis 2000 in Leipzig unter die Lupe genommen. Sie sei überrascht gewesen, wie wenig darüber selbst am 30. Jahrestag des Mauerfalls bekannt sei.
Das Klischee der emanzipierten Ostfrau
"Dieses Klischee, die emanzipierte Ostfrau, was dieses Jahr auch nochmal sehr präsent war, dass das mit beiträgt, dass diese Frauenbewegungsgeschichte im Osten, dass das noch so unsichtbar bleibt, weil das suggeriert, da hat es keinen Feminismus und keine Frauenbewegung gebraucht, weil die waren gleichberechtigt. Dem war aber nicht so."
Dabei gebe es heute noch in Leipzig Einrichtungen wie die Frauenbibliothek Monaliesa, die Frauenkultur oder das erste autonome Frauenhaus. Deren Anfänge seien in den frühen 80er Jahren zu finden.
Fünf Frauen wollten sich damals unabhängig von der staatlichen Massenorganisation "Demokratischer Frauenbund Deutschlands" öffentlich mit anderen Frauen austauschen, erzählt die Historikerin. Nach einer Anzeige in der Leipziger Volkszeitung kamen fast 100 Frauen zur ersten Veranstaltung.
"Man wollte nicht mehr, dass eine alte Männer-Riege in der SED bestimmt, was Gleichberechtigung ist und wann die erreicht ist, sondern man wollte sich damit selber auseinandersetzen und darüber sich austauschen: Wie möchte ich hier leben? Und auch in welcher Gesellschaft möchte ich leben? Und wie kann ich mich da einbringen?"
Dass eine der Initiatorinnen, Petra Lux, auf Betreiben der Stasi ihre Stelle als Leiterin des Jugendklubhauses verlor – und lange keine Arbeit fand, verhinderte nicht, dass in Leipzig weitere Frauengruppen entstanden.
Und auch die Gruppe "Frauen für den Frieden", die in den folgenden Jahren in weiteren Orten der DDR gegründet wurde, traf sich weiter. Männer, anfangs noch dabei, durften nicht mehr kommen, erzählt Almut Ilsen.
"Weil das zu übergriffig war für uns. Wenn wir dann irgendwas diskutiert haben, dann kam der Mann und sagt: Ihr müsst das soundso machen. Und dann haben wir gesagt: Ne, das können wir auch selber. Und dann haben wir es selber gemacht. Und dann hat sich die Kommunikation in der Gruppe nämlich ganz anders entwickelt. Wir waren horizontal strukturiert, wir mussten keine Hackordnung ausfechten. Wir waren zum Teil auch befreundet. Wir haben auf eine solidarische und konstruktive Art miteinander gearbeitet. Es ging wirklich um die Inhalte und nicht um Profilierung."
Gleichberechtigung in der Propaganda
Egal ob die Frauen über Politik oder über feministische Theologie diskutieren wollten: Sie taten sich zusammen, weil sie den Widerspruch erlebten zwischen der staatlich propagierten Gleichstellung und ihrer Mehrfachbelastung durch Familie, Haushalt und Beruf.
Frauen in der DDR profitierten zwar anders als die in der damaligen Bundesrepublik von der staatlichen Frauenförderung und dem flächendeckenden Kita-Angebot. Sie verdienten aber weniger als ihre männlichen Kollegen und konnten nur eingeschränkt beruflich aufsteigen. Jessica Bock:
"Das waren die eigenen Erfahrungen, die die Frauen gemacht haben. Die Frauen, die sich da auch in den Gruppen eingebracht haben in den 1980er Jahren, das sind Frauen, die zwischen 1950 und Mitte der 1960er Jahre geboren sind. Die dann auch die Generation waren, die dann auch von der DDR-Frauenpolitik ab den 1970er Jahren ganz stark profitiert haben, die dann auch sehr gut ausgebildet waren. Die hatten alle einen Schulabschluss, eine Berufsausbildung oder einen höheren Abschluss."
Auch lesbische Frauen begannen in den 80er Jahren zunehmend, sich zu organisieren. Dies war trotz des bestehenden Versammlungs- und Veröffentlichungsverbots nur deshalb möglich, weil die evangelische Kirche sich für Gruppen wie "Lesben in der Kirche" öffnete.
Als unangepasst hätten die zehn, zwölf Frauen sich damals nicht empfunden, erzählt die frühere Aktivistin Bettina Dzigge.
"Wir wollten wissen, was ist ein Coming out? Wie können wir uns unterstützen? Wie erzählen wir das unseren Eltern? Wo kommen Lesben oder Frauenbeziehungen in der Literatur vor? Eines unserer Themen war ja auch, Lesben zu gedenken in Ravensbrück – obwohl wir wissenschaftlich überhaupt nichts hatten zu diesem Thema. Aber unser Credo war immer: Da wo Frauen sind, sind auch Lesben."
Repressionen gegen Aktivistinnen
Dass die Gruppe mehrfach in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück einen Kranz zur Erinnerung an die ermordeten Homosexuellen niederlegte, passte dem Staat nicht. Als Bettina Dzigge mit den anderen Frauen am 40. Jahrestag der Befreiung erneut dorthin aufbrach, wurden sie verhaftet.
"Wir wurden nach dem Verhör wieder freigelassen mit der Auflage, nicht nach Ravensbrück zu fahren. Aber eben: Wir sind auf einem LKW abtransportiert worden, zum Teil draufgeschmissen worden, diskriminiert worden, durch Fürstenberg oder sonst wo lang gekarrt worden, das wussten wir nicht, wo es langgeht. Uns wurde auch gesagt: 'Es geht ins Arbeitslager' und solche Geschichten. Das war ein massiver Eingriff. Danach sind ja auch sehr viele Frauen aus dem Vorbereitungskreis ausgereist. Das war ziemlich lähmend auch für die Gruppe - '85."
Von der ersten DDR-Lesbengruppe gingen wichtige Impulse für nachfolgende Gruppen aus, sagt Maria Bühner. Die Kulturwissenschaftlerin hat über lesbische Frauen in der DDR promoviert und erzählt, dass es vielen nach Jahrzehnten der Marginalisierung und Isolation darum ging, die Lebenssituation zu verbessern:
"Das waren erst einmal ganz praktische Sachen. So was wie zum Beispiel der Zugang zu Wohnraum. Das ist natürlich ein großes Thema in der DDR gewesen und es war ja nicht so, dass gleichgeschlechtliche Paare, die waren ja nicht irgendwie rechtlich anerkannt oder abgesichert, dann einen Zugang zu finden, eine gemeinsame Wohnung zu bekommen. Dann ging es erst mal generell um eine Sichtbarkeit. In den 70er Jahren gab es vereinzelt Artikel, in den 80er Jahren ein bisschen mehr. Aber prinzipiell war es ein krass marginalisiertes Thema. Und überhaupt Wissen dazu zu finden, Wörter für sich zu finden, war unter den Umständen ein riesiges Problem."
Homosexualität war nicht verboten
Homosexualität war in der DDR nicht, wie in der Bundesrepublik, verboten. Unter Strafe standen von 1968 bis '87 sexuelle Handlungen mit gleichgeschlechtlichen Minderjährigen.
Allerdings gab es im Osten weniger Treffpunkte und Gruppen, erzählt Samirah Kenawi, damals beim Arbeitskreis Homosexualität Dresden.
"Die juristische Situation von Homosexuellen war ja in der DDR besser als im Westen, nur es gab eben keine öffentliche Diskussion und damit auch praktisch keine Kontaktmöglichkeiten. Das war auch unser Problem in den Gruppen immer, wie wir unsere Angebote bekannt machen, um Menschen Zugang zu diesen Gruppen zu verschaffen, die sich allein fühlen. In unserer Gruppe gab es dann aber einen Selbstmord von einer Frau, die hat auf dem Lande gelebt, die hat immer wieder versucht, zu uns in die Gruppe zu kommen, also nach Dresden, ist dann aber irgendwie an dieser Einsamkeit, in der sie sich gefühlt hat, verzweifelt."
Für Maria Bühner ergibt sich daraus eine zentrale Forschungsfrage: "Was bedeutet denn eigentlich Nicht-Repräsentation? Ganz am Anfang meiner Forschungen stand die Frage: Wessen Gefühle und Erfahrungen zählen eigentlich? Und die Ausgangsthese, dass die von Lesben in der DDR nicht so viel gezählt haben. Damals nicht, aber ja auch, wenn man sich den Stand der Aufarbeitung anschaut und auch der Anerkennung in der offiziellen Erinnerungskultur das noch nicht so stattgefunden hat. Was macht es halt mit Menschen, wenn sie keine Vorbilder haben oder wenn sie keine Worte erst mal für sich haben und ihr Begehren? Und das alles sehr unklar ist."
Verurteilung nach dem Paragraphen 249
Noch weniger weiß man bislang über eine andere Gruppe unangepasster Frauen: die sogenannten Asozialen, die nach dem Paragraphen 249 verurteilt wurden. So wie Maja, die ihren richtigen Namen hier nicht nennen möchte. Als sie aus dem Kinderheim entlassen wurde, war sie gerade volljährig – und kam deshalb nicht, wie sonst üblich, in einem Jugendwerkhof.
Die Behörden schickten sie nach Rostock, wo ihre Mutter offiziell lebte und kümmerten sich nicht weiter um sie, erzählt die heute 60-Jährige. Sie wollte aber nicht zu ihr, bekam keine Wohnung und lebte auf der Straße.
"Die DDR legte ja immer viel Wert darauf, dass man Arbeit hat, aber nicht, wo man bleibt. Und als Heimkind, haben die Leute immer die Vorstellung, wenn man aus dem Heim kam, kriegte man eine Wohnung. Das stimmt aber gar nicht, weil als Heimkind war man noch keine 18. Somit kam man entweder ins Internat oder blieb dann auf der Straße – so wie so viele Heimkinder."
Maja arbeitete in einem volkseigenen Betrieb, wo sie in Bottichen mit bloßen Füßen Sauerkraut stampfen musste – eine anstrengende Arbeit für eine Frau, die auf der Straße lebt. Weil sie manchmal fehlte, wurde sie verhaftet. Zunächst kam sie ins Haftarbeitslager Dessau-Wolfen, kurz darauf für eine zweite Haftstrafe in den sogenannten "Roten Ochsen", das Gefängnis für politische Gefangene in Halle.
"Als ich nach Halle gekommen bin, kurz darauf, gab es eine sogenannte freiwillige Sonderschicht zu Ehren der DDR. Ich war politisch inhaftiert, und alle sollten unterschreiben, dass sie das gerne machen zu Ehren des Sozialismus. Und ich habe gesagt: Das mache ich nicht, ich kann nicht meinen Namen da drunter setzen. Was dazu führte, dass ich schwerst misshandelt wurde, erst durch die ganze Haftanstalt getrieben wurde mit Handfesseln und Gummiknüppeln. Bin dann in die Produktionsstätte, bin dort an die Maschine gekettet worden, und nachher führte das dazu, dass ich nachts in den Keller verbracht wurde und aufgehängt wurde."
Ursprung in der NS-Zeit
Katharina Lenski forscht über die als asozial kriminalisierten Frauen. Der Paragraph 249 wurde in der DDR 1968 mit der Reform des Strafgesetzbuches eingeführt. Seine Geschichte reiche jedoch weiter zurück und habe in der NS-Zeit einen Höhepunkt gefunden, sagt die promovierte Historikerin. Ein Viertel der 1989 inhaftierten Frauen und Männer in der DDR sei schätzungsweise nach diesem Paragraphen verurteilt worden.
"Die Frauen, die davon betroffen gewesen sind, sind meistens mit sexualisierten Feindbildern belegt worden. Und das heißt, dass sie oft wegen Prostitution in den Fokus geraten sind, aber oft auch wegen angeblicher Arbeitsscheu. Und der Paragraph 249 bezog sich dann auf genau solche Verhaltensweisen, nämlich nicht richtig zu arbeiten oder nicht im richtigen Rhythmus zu arbeiten oder nicht die richtige Arbeit zu machen beziehungsweise was das Verhalten betrifft, in der Öffentlichkeit nicht sich so zu verhalten, wie es das kleinbürgerliche Weltbild verlangt hat."
Betroffen waren Sinti- und Roma-Frauen und jene, denen die Stasi für die damalige Zeit unübliches Verhalten sowie wechselnde Verhältnisse mit anderen Männern nachsagte.
Es traf auch Frauen, die einen Ausreiseantrag stellten oder sich beispielsweise gegen die Biermann-Ausbürgerung engagierten. Dass sie zwei-, dreimal zu spät zur Arbeit kamen oder nach ihrer Entlassung keine neue Arbeit fanden, reichte aus, sie wegen der gesetzlich geforderten Arbeitspflicht zu verurteilen. Der 249er war ein Gummiparagraph, sagt Katharina Lenski.
Bis heute sprechen die wenigsten Frauen über diese Erfahrung. Das hängt nach Ansicht der Historikern auch damit zusammen, wie die Geschichte der DDR, die Geschichte von Opposition und Mauerfall, seit 1989/90 aufgearbeitet werden. Die der Frauen bleibe weithin unsichtbar.
"Wir haben ein doppeltes und dreifaches Wirkungsverhältnis. Wir haben die männlichen Heldenbilder, die darauf abstellen, dass männliche Feindbilder sie quasi in den Akten zu Helden machen. Und wir haben aber auch gleichzeitig in den Akten diese Zuschreibungen gegen Frauen, die selbstständig oder unkonventionell sich bewegen und auch in der Öffentlichkeit auftauchen, und die in den Akten als asozial abgestempelt werden."