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Verfolgung von Armeniern
Überraschende Beileidsbekundung

Fast ein Jahrhundert nach den Verbrechen an Armeniern im Osmanischen Reich schlägt der türkische Regierungschef plötzlich versöhnliche Töne an: In einer Botschaft nennt er die armenischen Opfer "gemeinsames Leid", meidet aber den Begriff "Völkermord".

    In der Erklärung hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zum ersten Mal sein Bedauern über die Verfolgung der Armenier bekundet. Er sprach den Nachfahren der Opfer sein Beileid aus. Die Ereignisse seien unmenschlich gewesen, erklärte Erdogan überraschend und zeigte sich damit deutlich versöhnlicher als andere türkische Spitzenpolitiker.
    "Es lässt sich nicht abstreiten, dass die letzten Jahre des Osmanischen Reiches, gleich welcher Religion oder ethnischer Herkunft sie angehörten, für Türken, Kurden, Araber, Armenier und Millionen weiterer osmanischer Bürger eine schwierige Zeit voller Schmerz waren", hieß es in der Botschaft.
    Streit über Bewertung der Verfolgung als Völkermord
    Armenier begehen am morgigen Donnerstag den 99. Jahrestag des Beginns der Massaker gegen die armenische Bevölkerung 1915 bis 1916 durch osmanische Truppen. Neben den Armeniern bewerten auch viele Historiker und mehr als ein Dutzend Staaten die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich durch die damals regierende Jungtürkenbewegung als Völkermord. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge wurden zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Menschen getötet.
    Die Türkei hat diese Zahl bislang als übertrieben zurückgewiesen, genauso wie den Begriff "Völkermord". Auch Erdogan räumte jetzt zwar ein, dass die Massendeportationen Folgen gehabt hätten, vermied den Begriff "Völkermord" jedoch nach wie vor.
    Erdogan schlägt gemeinsame Studie vor
    Der türkische Ministerpräsident nannte es aber auch "inakzeptabel, dass die Ereignisse von 1915 als ein Vorwand für eine Anfeindung gegenüber der Türkei benutzt und zu einem politischen Streitthema stilisiert" würden. Er schlug erneut vor, armenische und türkische Forscher sollten gemeinsam eine Studie zu den Vorgängen im Osmanischen Reich erstellen.
    Bereits Mitte Dezember hatte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bei einem Besuch in der armenischen Hauptstadt Erewan die Deportationen als "Fehler" und "unmenschlich" bezeichnet. Er sprach sich für eine Versöhnung beider Länder aus. Im Jahr 2009 hatten die Türkei und Armenien ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Die Annäherung scheiterte jedoch, da sich beide Seiten vorwarfen, nicht von Forderungen abzurücken. Seitdem hat es keine neuen Bemühungen zur Normalisierung des Verhältnisses gegeben.
    (tj/nin)