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Vergessen am Bosporus

Nicht nur die Tibeter, auch die Uiguren kämpfen in China für die Unabhängigkeit ihres Landes. Da China rigide gegen die Minderheit vorgeht, sind viele der Uiguren aus ihrer Heimat im Nordwesten Chinas in die Türkei geflohen. Mit gemischten Gefühlen beobachten sie die olympischen Spiele in Peking: Während sich die Welt mit den Tibetern solidarisiert, bleibt ihr Schicksal der Weltöffentlichkeit verborgen.

Von Gunnar Köhne | 09.08.2008
    Zu osmanischen Zeiten beherbergte der schattige Hof der Damat Ibrahim Pascha Moschee im Istanbuler Stadtteil Aksaray eine Medrese eine islamische Schule. Heute ist in dem 250 Jahre alten Gebäude der Solidaritätsverein Ost-Turkestan untergebracht, eine große blaue Flagge mit Halbmond und Stern weist darauf unübersehbar hin.

    Hier ist die zentrale Anlaufstelle der 50.000 Exil-Uiguren am Bosporus. Auch Arslan Alptekin kommt regelmäßig hierher. Für die uigurische Exilgemeinde ist der 68-jährige hagere Rentner nicht irgendwer, sondern der Sohn ihres großen charismatischen Exilführers Yusuf Alptekin.

    14 Monate lang führte er die Regierung eines unabhängigen Ost-Turkestan, bevor die Chinesen das Land 1949 okkupierten. Yusuf Alptekin starb 1995 in Istanbul, sein Sohn Arslan versucht mit Hilfe des uigurischen Solidaritätsvereins den Widerstand gegen die chinesische Fremdherrschaft fortzusetzen. Gewalt gegen die Besatzer schließen sie dabei nicht aus, sagt der 70-jährige Arslan Alptekin:

    "Jedes Volk, das erniedrigt und unterdrückt wird, wird sich irgendwann zur Wehr setzen. So etwas wie den Angriff auf chinesische Sicherheitskräfte in Kaschgar wäre - wenn es denn von Uiguren begangen worden ist - eine Verzweifelungstat und kein Terror."

    Während der Dalai Lama im indischen Exil von einem Palast aus den Widerstand gegen die chinesischen Besatzer lenkt, lebte die Familie Alptekin in einem heruntergekommenen Vorort Istanbul in einer Mietwohnung. Und während das Schicksal der Tibeter immer wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerät, sei die Lage der muslimisch-türkischen Uiguren kaum bekannt oder werde bewusst ignoriert, beklagt Rentner Alptekin. Für die chinesische Regierung ist deren Heimat nicht mehr als ein Atombombentestgelände. Hunderttausende Uiguren wurden verstrahlt.

    Radikale Uiguren halten Gewalt gegen Militär und Polizei als Mittel des Widerstandes für legitim. Gegen die Austragung der Olympischen Spiele seien sie aber nie gewesen, betont Arslan Alptekin:

    "Als die Spiele nach Peking vergeben wurden, hat mich das zunächst sehr geärgert. Aber inzwischen bin ich der Meinung, dass dieses Ereignis angesichts der vielen ausländischen Journalisten in Peking für uns auch eine Chance bietet, auf unsere Lage aufmerksam zu machen."

    Nur hinter vorgehaltener Hand äußern die Uiguren ihre Enttäuschung über die offizielle Chinapolitik ihres Gastlandes, der Türkei. Denn allen pantürkischen Solidaritätsadressen zum Trotz, auch aus eigenem Interesse will Ankara die chinesische anti-separatistische Politik nicht offen kritisieren.

    Vor fünf Jahren verweigerte die Türkei Uiguren aus aller Welt die Visa für die Einreise, um an einer Gedenkfeier für ihren Führer Yusuf Alptekin teilzunehmen. Ihre Namen standen auf Listen, die von der chinesischen Botschaft in Ankara verbreitet wurden. Immerhin liefert die Türkei keine uigurischen Aktivisten an China aus, so wie es die Nachbarstaaten Kazakstan und Kirgisien immer wieder tun. Aus dem Westen hören die Uiguren den Ratschlag, geduldig zu sein und auf einen schrittweisen Wandel im Reich der Mitte zu setzen. Doch gerade dieser Wandel, sagt Ismail Cengiz vom Uigurischer Solidaritätsverein, habe für sein Volk wenig gebracht:

    "Wir Uiguren haben aber erlebt, dass mit der Öffnung des Landes der chinesische Chauvinismus und Rassismus uns gegenüber eher schlimmer geworden ist, weil er sich nun offener äußern durfte!"

    Zuhause bei dem Ehepaar Kasgarli in einem Istanbuler Vorort. Nur ein paar Fotoalben mit vergilbten Schwarzweißfotografien sind den beiden pensionierten Wissenschaftler von ihrer Heimat geblieben.

    Vor 25 Jahren flohen sie in die Türkei. Seitdem sei die Lage daheim in Kaschgar, dem Ort des letzten Anschlags, immer schlechter geworden. Mahmut Gasgarli zeigt Fotos, auf denen er als junger Akademiker lachend in Pekings Strassen zu sehen ist. Die Chinesen hätten in ersten Jahren des Kommunismus mehr Respekt vor den anderen Kultur des Reiches gehabt. Heute sei Ost-Turkestan völlig abgeriegelt, ein Besuch selbst mit türkischem Pass ausgeschlossen. Und Telefonanrufe bei Verwandten sind heikel, berichtet der 70-Jährige:

    "Gute Wünsche zu den Feiertagen sagen, fragen, wie es geht, mehr ist am Telefon nicht drin. Wenn unsere Freunde am Telefon ihre Meinung äußern, werden sie am nächsten Tag abgeholt."

    Durch systematischen Zuzug von Chinesen, drohten sie in die Minderheit zu geraten. Die Chinesen wollten ihre Kultur zerstören, und gingen dabei immer rücksichtsloser vor, sagt Mihrinissa Kasgarli:

    "Wenn Frauen mehr als ein Kind bekommen wollen, werden sie zur Abtreibung gezwungen, wenn das in den Dörfern gemacht wird, sterben die Mütter an den unhygienischen Verhältnissen. Solche Sachen zu hören, das ist für uns Frauen sehr schwer zu ertragen."

    Jeden Monat kommen neue Flüchtlinge aus Ost-Turkestan nach Istanbul. Der Solidaritätsverein versucht, ihnen bei der Suche nach Arbeit und Wohnung behilflich zu sein. Die chinesische Regierung bemüht sich, die Uiguren als radikale Islamisten darzustellen, die auch der Türkei gefährlich werden könnten. Arslan Alptekin winkt ab und sagt, dass schon für seinen Vater das Gastland ein Vorbild gewesen sei:

    "Unser Ziel ist eine Republik Ost-Turkestan, in der Religion und Politik in der Verfassung so von einander getrennt sein sollte wie in der Türkei. Ost-Timor, der Kosovo und vielen anderen Nationen wurde in letzter Zeit das Selbstbestimmungsrecht zugestanden, warum wird es uns versagt?"