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Vergessener Entdecker der DNA
Wie Friedrich Miescher vor 150 Jahren die Erbsubstanz fand

Heute kennt sie jeder: die DNA als Erbsubstanz und Molekül des Lebens. Aber wer hat sie eigentlich entdeckt? Es waren nicht Watson und Crick. Sie haben lediglich die Doppelhelix-Struktur der DNA ermittelt. Erstmals isoliert wurde das Erbmolekül 1869 vom Schweizer Biochemiker Friedrich Miescher.

Von Michael Lange |
Hinweisschild auf Nuklein-Entdecker Friedrich Miescher am Tübinger Schlossberg
Hinweisschild auf den Nuklein-Entdecker Friedrich Miescher am Tübinger Schlossberg (imago stock&people)
Hinter den dicken Mauern des Schlosses Hohentübingen sitzt ein junger Mann im weißen Kittel und schaut in ein Mikroskop. In einer Ecke haufenweise eiterige Verbände, die er sich aus einer Klinik in der Nähe beschafft hat. Die umgebaute Schlossküche nennt der junge Wissenschaftler sein Alchimisten-Labor. Hier isoliert Friedrich Miescher im Winter 1869 aus Eiterzellen eine klebrige Substanz, die später DNA genannt werden sollte. Heute befindet sich im Schloss an gleicher Stelle ein kleines Museum: alte Glasgefäße, eine einfache Zentrifuge und eine Präzisionswaage aus den Anfangszeiten der Biochemie. Alles ordentlich aufgestellt und präsentiert von Museumsleiter Ernst Seidl.
"Hier war übrigens auch der Schreibtisch von Friedrich Miescher. Er notiert auch, dass er von einem Schreibtisch aus den Brunnen im Schlosshof sehen kann. Und er beklagt sich über die Kälte in diesem Labor. Im Winter war es eiskalt, keine Heizung, was für die Arbeit nicht gut war, aber für die Präparate umso besser. Es war ja ein dauerhafter Kühlschrank."
Trotz der Entdeckung unbekannt
"Es war ein sehr gut ausgestattetes Labor für seine Zeit, aber er musste alle Methoden, die er brauchte, um die DNA zu isolieren zum ersten Mal, selbst erfinden."
So der Biologe Ralf Dahm. Er arbeitet als Wissenschaftsmanager am Institut für Molekularbiologie in Mainz. Als er zu Beginn seiner Laufbahn in Tübingen forschte, erfuhr er erstmals von Friedrich Miescher, von dem er nie zuvor gehört oder gelesen hatte.
"Das hat mich ehrlich gesagt auch ein wenig geärgert. Miescher hat eine der größten Entdeckungen gemacht, die man in der Biologie machen kann, und keiner kennt ihn. Keiner erinnert sich an ihn."
Ralf Dahm studierte alte Quellen und fand nach und nach heraus, wie Miescher die DNA zunächst gereinigt und dann chemisch untersucht hat.
Eitrige Verbände als Ausgangsmaterial
"Als Ausgangmaterial hatte Miescher die Verbände, an denen der Eiter hing. Die hat er gewaschen. Danach hat er die wässrige Lösung, in der die Eiterzellen schwammen, filtriert, um zum Beispiel Stoffreste von den Verbänden loszuwerden."
In einer Zentrifuge trennte er die Zellkerne vom Rest der Zellen. Denn er vermutete, dass die Kerne, die er im Mikroskop sehen konnte, eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Leben spielen. Dann entfernte er nach und nach alle biochemischen Substanzen, die man damals bereits kannte: Eiweiße, Fette, Zucker und andere Kohlenhydrate.
"Er hatte aber trotzdem eine Substanz, die übrig geblieben war nach dieser Behandlung. Damit wusste er: Das ist wahrscheinlich etwas Neues."
Friedrich Miescher suchte in der klebrigen Substanz nach verschiedenen chemischen Elementen. Er fand keinen Schwefel. Dadurch wusste er: Es handelte sich nicht um Eiweiße. Stattdessen fand er ungewöhnlich viel Phosphor. Er folgerte: Diese Substanz hatte noch niemand zuvor entdeckt.
Tatsächlich eine neue Substanz
Sein Professor Felix Hoppe-Seyler, ein Gründervater der Biochemie, zweifelte zunächst an der Entdeckung seines Mitarbeiters. Mehrfach überprüfte er die Ergebnisse. Aber es stimmte: Friedrich Miescher hatte eine neue Substanz gefunden.
"Weil er die DNA – wie wir sie heute nennen - aus den Zellkernen isoliert hat und weil Zellkerne auf Lateinisch und in der Biologie als Nukleus bezeichnet werden, hat er die Substanz Nuklein genannt. Diese Bezeichnung ist auch heute noch in dem Namen Desxoxy-Ribo-Nuklein-Säure drin. Aber ein bisschen versteckt. Je mehr wir über die Substanz gelernt haben, desto mehr wurde um den Namen herumgebaut."
Friedrich Miescher vermutete bereits vor 150 Jahren, dass Nuklein in der Biologie eine wichtige Rolle spielt. Er konnte sich aber nicht vorstellen, dass es sich dabei um die Erbsubstanz selbst handelt. Denn das Nuklein erschien zu einfach aufgebaut zur Speicherung biologischer Information. Um die Frage nach der Bedeutung der Substanz zu klären, brauchte die Wissenschaft über 75 Jahre.