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Vergewaltigung als Kriegswaffe

Für mindestens 500 Frauen begann der Albtraum Ende Juli, als sie tagelang von kongolesischen und ruandischen Rebellen vergewaltigt wurden. Und das, obwohl nur wenige Kilometer entfernt die UNO als Schutzmacht stationiert war. Das Vertrauen in die UN-Blauhelme ist seither verloren.

Von Bettina Rühl |
    Ein Krankenhaus in Bukavu. Die Stadt hat eine Millionen Einwohner, viele davon sind erst in den letzten Monaten vor den Kämpfen im Kongo hierher geflohen. Zwei Pfleger sind gerade damit beschäftigt, den Patienten die Verbände zu wechseln. Es riecht muffig, die Feuchtigkeit der Tropen hängt in dem barackenartigen Gebäude; die Decke des Raumes ist vom Schimmel grau verfärbt. Immerhin hängt über jedem Bett ein Moskitonetz. Im ersten Bett liegt ein Jugendlicher mit einem dicken Kopfverband und einen bandagierten Arm. Im Gesicht hat er tiefe, frisch vernarbte Schnitte. Abraham Niania:

    "Es war nachts, in Buniakiri. Das ist ein Dorf im Nationalpark Kahuzi-Biéga. Sie haben uns mit Macheten überfallen; die Angreifer waren von der FDLR, der Hutu-Miliz. Alle in unserem Dorf waren in Panik und haben versucht zu fliehen."

    Abraham Niania, so heißt der junge Mann, redet leise – so leise, dass er im Geschepper von Nierenschalen und Scheren fast nicht zu verstehen ist:

    "Die Milizionäre haben angefangen, die Häuser in Brand zu setzen, und sie haben mit den Macheten auf die Menschen eingehackt – auch auf mich und meine Familie. Ich wurde an einer Hand und am Kopf getroffen - ich habe nur dank der Gnade Gottes überlebt. Ich konnte nicht mehr fliehen, bin hingefallen und lag zwischen den Leichen, die schon überall herumlagen. Die Milizionäre dachten, ich wäre auch schon tot, dabei habe ich mich nur zwischen den Leichen versteckt. Es war ja dunkel, die Milizionäre konnten nicht viel erkennen. Schließlich sind sie abgezogen. Irgendwann fand ich die Kraft, aufzustehen und mich von den Leichen wegzuschleppen."

    Sein älterer Bruder, der ebenfalls überlebt hatte, brachte ihn nach Bukavu ins Krankenhaus. Dort war er in den ersten Tagen kaum bei Bewusstsein, und auch jetzt noch, sagen die Pfleger, verliere er sich manchmal in Raum und Zeit. Inzwischen hat Abraham aber immerhin gehört, dass auch seine Eltern überlebt haben und aus Buniakiri geflohen sind. Abraham Niania:

    "Sie sind in einem anderen Dorf, das Chambucha heißt. Sie wissen nicht, wo sie hingehen können, also bleiben sie erst einmal da. Ich will auch nicht zurück. Ich hätte auch Angst, im Dorf zu leben – ich möchte in Bukavu bleiben."

    Tatsächlich müssen die Menschen in den Dörfern ständig mit Überfällen rechnen. Denn in den Wäldern haben sich etliche Milizen verschanzt. Die vermutlich größte ist die FDLR, von der auch Abraham gesprochen hat. Das französische Kürzel steht für "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas". Viele der Männer, die heute in der FDLR kämpfen, waren 1994 an dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit im benachbarten Ruanda beteiligt. Rund 800.000 Menschen – Tutsi und gemäßigte Hutu – wurden damals binnen weniger Wochen ermordet. Anschließend flohen die Täter über die Grenze in den Kongo und halten sich dort bis heute verschanzt. Ihre Stärke wird derzeit auf 6.000 Mann geschätzt. Sie überfallen Dörfer, plündern, brandschatzen und morden grausam.

    Dabei leisten sich die Vereinten Nationen im Kongo die größte Blauhelm-Mission ihrer Geschichte: Mit rund 17.000 Soldaten ist die UN-Mission MONUC vor Ort – und trotzdem unfähig, ihr Mandat zu erfüllen und die Bevölkerung zu schützen.

    Im Krankenhaus von Bukavu sind die Pfleger inzwischen zum nächsten Bett weiter gezogen. Eine Kugel hat den Unterleib des nächsten Patienten durchschlagen, dabei aber glücklicherweise keine Organe verletzt. Allerdings wurde der Darm getroffen, so dass bei jedem Verbandwechsel Kot durch die Wundöffnung tritt. Die Wunde ist deshalb vereitert, eine Operation noch nicht möglich. Der Patient, er heißt Malinda Matessu, sitzt wach und aufrecht auf dem Bett, während die Pfleger seine Wunde zu reinigen versuchen. Malinda Matessu:

    "Wir sind am letzten Freitag angegriffen worden, als wir mit LKW voller Waren auf dem Weg nach Bukavu waren. Wir fuhren durch den Kahuzi-Biéga Nationalpark, als wir in einen Hinterhalt der FDLR gerieten und beschossen wurden. 13 Leute waren sofort tot, darunter mein Bruder, der einen der LKW gefahren hatte. Elf weitere wurden verletzt. Die Fahrzeuge waren schwer beschädigt, und die FDLR-Kämpfer haben den Leuten alles weggenommen, was sie hatten."

    Die FDLR, die auch in den lokalen Medien für den Angriff verantwortlich gemacht wurde, stritt den Überfall ab und beschuldigte ihrerseits die kongolesische Armee. Davon hat Malinda Matessu hier im Krankenhaus nichts mit bekommen. Jetzt aber, als ich ihn danach frage, meint er zu mir:

    "Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Angreifer die Sprache der Hutu gesprochen haben, und die FDLR sind Hutu. Aber es kann schon sein, dass ich mich irre, weil es auch in der kongolesischen Armee Hutu gibt. Trotzdem glaube ich, dass es in diesem Fall Mitglieder der FDLR waren – sie waren so angezogen wie die Milizionäre, und nach dem was wir von ihren Worten aufgeschnappt haben, leben sie im Wald."

    Sie hätten zwar militärische Uniformen getragen, doch die seien nicht sehr gepflegt gewesen. Und nicht nur deshalb ist sich der Kranke ziemlich sicher, dass die Täter – zumindest diesmal – keine regulären Soldaten waren. Malinda Matessu:

    "Die Angreifer im Park waren gut bewaffnet. Ich kenne mich mit den Waffentypen zwar nicht im Einzelnen aus, aber wenn ich unsere regulären Soldaten gesehen habe, hatten die immer weniger und ältere Waffen. Die Angreifer im Park waren so gut bewaffnet, dass sie vielleicht sogar der UNO-Truppe überlegen waren. Während wir angegriffen wurden, habe ich nämlich eine Patrouille der MONUC gesehen, aber die ist auf Abstand geblieben – als ob die Blauhelme Angst gehabt hätten, einzugreifen."

    Eine Patrouille der MONUC, die nicht eingegriffen hat?

    "Ja. Ich hatte mich zwischen zwei Leichen versteckt, das waren übrigens ein Oberst und eine Händlerin, die mit im Konvoi gefahren waren. Von dort aus habe ich gesehen, dass die MONUC bis auf fünf Meter herankommen ist. Sie ist direkt wieder abgedreht, ohne einzugreifen. Die MONUC tut wirklich gar nichts für uns. Sie sollte am besten abhauen."

    Die Pfleger sind von diesen deutlichen Worten so überrascht, dass sie kurz auflachen. Dann sagt Matessu auch noch, was er von der kongolesischen Regierung hält. Malinda Matessu:

    "Die Regierung schützt uns nicht, für uns gibt es keine Sicherheit. Gar nichts tut der Staat für uns. Dabei müsste eine Regierung doch alles tun, um die Bevölkerung zu schützen! Nehmen wir zum Beispiel den Überfall, bei dem ich verletzt wurde: Ich war völlig überrascht als ich nachher hörte, dass es nur drei Kilometer vom Ort des Überfalls entfernt eine Militärbasis gibt. Trotzdem sind unsere Soldaten nicht ausgerückt, um uns zu helfen. Sie sind also nicht besser als die MONUC, die auch nicht eingegriffen hat. Das ist deprimierend. Aber was immer man von der UNO halten mag - in erster Linie ist doch unsere Regierung für unsere Sicherheit verantwortlich!"

    Das sind harte Vorwürfe. Auch gegen die MONUC. Doch die Bitte um eine Stellungnahme der UNO-Truppe bleibt ohne Antwort.