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Vergleiche mit Weimarer Republik
Historiker: Völkische Inhalte heute nicht mehrheitsfähig

Im Vergleich der heutigen Zeit mit der Weimarer Republik finde man die Renaissance eines völkischen Gedankenguts, sagte Historiker Wolfram Pyta im Dlf. Inhalte der Weltanschauung der 1930er Jahre seien wieder diskursfähig geworden. Doch die Unterschiede zu damals würden überwiegen.

Wolfram Pyta im Gespräch mit Bettina Köster |
Tausende von Menschen stehen am 30.06.1931 vor dem Berliner Postscheckamt, um ihr Guthaben abzuheben. |
Wenn die Wähler in der Weimarer Republik sich anders entschieden hätten, wären die Nationalsozialisten zu keiner ernst zu nehmenden politischen Kraft geworden, sagte Wolfram Pyta im Dlf (picture-alliance / dpa / dpa - Fotoreport)
Erst gestern war Thomas Kemmerich, FDP-Politiker, überraschend mit Stimmen der Liberalen, der CDU und der AFD zum Thüringer Regierungschef gewählt worden. Kurz danach schlugen die Empörungswellen in der Öffentlichkeit hoch. Es wurden Parallelen zur Weimarer Zeit gezogen.
Professor Wolfram Pyta, Historiker an der Universität Stuttgart und Experte für die Weimarer Republik, glaubt, dass klare Unterschiede überwiegen. Wenn man sich auf die Weimarer Republik beziehe, dann weil sie ein abschreckendes Beispiel dafür sei, dass Extremisten von rechts – die NSDAP – die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite bringen. So sei die NSDAP in die Regierung eingetreten und habe dort Schlüsselpositionen eingenommen, weil sie Kooperationspartner auf der rechten Seite gefunden habe. Wolfram Pyta sieht erhebliche Unterschiede zu den Ereignissen in Thüringen.
Diese lägen darin, dass in der Weimarer Republik die extreme Rechte in Gestalt der NSDAP die Regierungsgewalt anstrebte. Entscheidend sei gewesen, dass sie auf der rechten Seite Kooperationspartner fand: Die Deutschnationale Volkspartei ermöglichte den Nationalsozialisten erst, die Regierungsmacht zu erringen. Das bedeute auch, wenn die Wähler sich anders entschieden hätten, wären die Nationalsozialisten zu keiner ernst zu nehmenden politischen Kraft geworden und hätten keinen Anspruch auf Regierungsbeteiligung erheben können.
Früherer Bundesinnenminister Baum (FDP) - "Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik"
Thomas Kemmerich habe sich die AfD zum Steigbügelhalter gemacht, sagte Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) im Dlf. Die AfD sei eine nichtdemokratische Partei. Dass sie mitten aus dem Bürgertum Unterstützung erfahre, mache ihm Angst.
Renaissance eines völkischen Gedankenguts
Es sei komplex, so Pyta, wenn man politische Kräfte der Gegenwart mit politischen Kräften der Vergangenheit ohne weiteres gleichsetzt. Man könne aber danach fragen, ob es bestimmte Inhalte der Weltanschauung gibt, die in den 1930er Jahren in der antidemokratischen Rechten gepflegt wurden, die heute wieder diskursfähig geworden sind. Man finde durchaus eine gewisse Renaissance eines völkischen Gedankengutes, das in solchen Kreisen wieder sagbar geworden sei. Wolfram Pyta verweist auf den Begriff der Volksgemeinschaft, der in den frühen 1930er Jahren versuchte, eine homogene völkische Gemeinschaft zu bilden und damit Teile des deutschen Volkes auszuschließen, die nicht den rassischen Kriterien des deutschen Volkstums entsprechen. Das seien in der Tat gedankliche Parallelen, die auf eine Homogenität der politischen Willenseinheit Volk hinausliefen. Es gebe dort erstaunliche, semantische Überlappungen.
Ein Mann in einem Trench-Coat mit Hut steht in einem hohen Raum, der verwüstet wurde, überall liegen Blätter auf dem Boden.
Andreas Püttmann vs. Birte Förster - Sind die 1920er-Jahre wieder da?
Die Goldenen Zwanziger sind allgegenwärtig. Polarisierung und Radikalisierung kehren zurück, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Die Historikerin Birte Förster betont die Unterschiede: Die Demokratie habe heute andere Probleme als 1920.
Multikulturelle deutsche Gesellschaft
Allerdings sieht Wolfram Pyta einen erheblichen Unterschied zu den 1930er Jahren: Deutschland sei seit vielen Jahrzehnten eine Zuwanderungsgesellschaft. Die Zusammensetzung derer, die sich deutsch fühlen, Teil der deutschen Nation sind, habe sich grundlegend geändert. Vorstellungen, eine rassisch homogene Volksgemeinschaft herzustellen, seien angesichts einer bunteren, heterogenen multikulturelleren deutschen Gesellschaft als unwahrscheinlich zu deklarieren. Allein diese Voraussetzungen würden ein solches Vorhaben politisch aussichtslos machen, da die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht dahinter stünde.