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Verhältnis zwischen Judentum und Christentum
Christlicher Korrekturbedarf

Jesus von Nazareth verbindet und entzweit die beiden Weltreligionen, erst recht, nachdem der frühere Papst Benedikt XVI. dazu einen irritierenden Aufsatz verfasste. Eine interreligiöse Tagung in Wien entdeckt noch viel Antijüdisches in Liturgie und Theologie.

Von Henning Klingen | 31.01.2019
    Darstellung des gekreuzigten Jesus
    Wie kann eine christliche Theologie aussehen, die das Jüdisch-Sein Jesu ernst nimmt? (imago stock&people / Gerhard Leber )
    "Das Ziel im jüdisch-christlichen Dialog ist es auf christlicher Seite innerkirchlich ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass das Judentum gegenwärtig eine Größe ist, auf die man sich positiv würdigend zu beziehen hat. Das ist mit einem riesigen Aufgabenkomplex verbunden, die Liturgie, die theologischen Traditionen von Bestimmungen zu reinigen, die auf Kosten des Judentums die Singularität des Christentums zum Ausdruck bringen."
    Das sagt Jan-Heiner Tück – er ist nicht nur Herausgeber der "Communio", also jener Zeitschrift, in der der umstrittene Benedikt-Text erschienen ist, sondern auch Teilnehmer einer hochrangig besetzten Tagung in Wien. Unter Federführung des Potsdamer Rabbiners Walter Homolka und des Wiener evangelischen Theologen Christian Danz haben sich rund 20 Fachleute aus Judentum und Christentum mit der "Christologie", also der Frage, wer Jesus eigentlich war und für Juden und Christen heute ist, befasst. Rabbiner Homolka dazu:
    "Dass dieser Begriff nicht langweilig ist, hat das Papier von Benedikt XVI. zuletzt wieder bewiesen – und damit auch meinen Verdacht bestätigt, dass sich in der systematischen Theologie und in der Dogmatik die Ergebnisse des jüdisch-christlichen Dialogs der letzten 70 Jahre gar nicht abbilden."
    Podiumsdiskussion zum Thema "Christentum im Angesicht des Judeseins Jesu" im großen Sendesaal des Radiokulturhauses des ORF
    Podiumsdiskussion zum Thema "Christentum im Angesicht des Judeseins Jesu" im großen Sendesaal des ORF (ORF/ Universität Wien)
    Dem pflichtet auch die christliche Neutestamentlerin am Potsdamer Institut für jüdische Theologie und Herausgeberin der Enzyklopädie für jüdisch-christliche Beziehungen, Kathy Ehrensperger, bei:
    "Die Ergebnisse, die in den theologischen Fakultäten und in den lehramtlichen Aussagen angekommen sind, sind meiner Meinung nach immer noch relativ mager."
    Die katholische Kirche hat bereits vor über 50 Jahren – mit der Erklärung "Nostra Aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils – dem Judentum einen besonderen Rang eingeräumt. Dies aber sei heute nicht mehr genug, meint Homolka:
    "Wenn ich Nostra Aetate ernst nehme und das Judentum wirklich wertschätze als die Wurzel, auf die ich mich gründe, dann muss ich auch meine eigene Botschaft so formulieren können, dass nicht ständig das Judentum als überlebt und als unwichtig dargestellt wird. Und das ist dann auch eine gute Basis für den weiteren Dialog."
    Ein Konzilstext reicht nicht
    Tatsächlich räumen christliche Theologen ein, dass "Nostra Aetate" nicht der Endpunkt sein kann, sondern dass es neue Ansätze brauche. Das Dokument sei zweifellos ein Meilenstein, so der evangelische Theologe und Mitorganisator der Tagung, Christian Danz – aber man müsse heute weitergehen:
    "Ich würde sagen unter den heutigen Bedingungen reicht das überhaupt nicht – weil Nostra Aetate einen Inklusivismus lehrt, demzufolge in der jüdischen Religion und auch in anderen Religion Spuren von Wahrheit zu finden sind. Das heißt aber nichts anderes als: die Juden, die Muslime sind eigentlich unbewusste Christen."
    Der Rabbiner Walter Homolka spricht auf dem Symposium "Jesus the Jew from Galilee" in Wien
    Diskussionen auch in kleinerer Runde (Universität Wien)
    Korrekturbedarf orten die christlichen Theologen dort, wo der Glaube an Jesus exklusiven Zugang zu Heil und Erlösung verspricht. Magnus Striet, katholischer Theologe an der Universität Freiburg:
    "Es gibt einen christlichen Korrekturbedarf, aber ich würde ihn gar nicht so sehr in der Christologie anmelden, sondern in der Soteriologie, also in der klassischen Erlösungslehre. Über viele Jahrhunderte ist der Glaube aufgebaut worden, dass nur das Bekenntnis zu Jesus als Christus so etwas wie eine Erlösung von der Sünde schaffen kann. Und an dieser Stelle muss gearbeitet werden, denn das würde bedeuten, dass auch die Juden sich zu Jesus bekehren müssen; und da denke ich massiv gegen an."
    Ist das Bekenntnis zu Jesus als "Sohn Gottes", als Messias aber tatsächlich jener Fels, der Judentum und Christentum unüberwindbar voneinander trennt. Nein, sagt Christian Danz:
    "Man muss davon ausgehen, dass Jesus in der christlichen Religion der Christus ist. Er ist Bestandteil der christlichen Religion, aber keine Voraussetzung. Wenn man das so fasst, dann kann man natürlich von vornherein sagen: Die Juden haben ein anderes Bild von Jesus, auch der Islam hat ein anderes Bild. Aber man kann nicht mehr sagen: Was ist denn das richtige? Einen authentischen Jesus gibt es in dem Sinne gar nicht, weil es keinen neutralen Zugriff gibt. Die Frage nach Jesus ist eben immer eine Identitätsvergewisserung – wir fragen eigentlich nach uns selbst."
    Der solidarische Gott
    Auch jüdischerseits gibt es in der Messias-Frage eine Art Entwarnung: Auf den Messias warte man eigentlich nicht mehr, so Rabbiner Homolka. Das Judentum kenne viele Formen der Erwartungshaltung und viele Heilsvorstellungen – mit dem Messias, den Christen in Jesus gekommen sehen, habe das aber nichts zu tun:
    "Meine persönliche Meinung ist, dass dieser Messias-Begriff im Judentum eigentlich verschwindet und die Funktion wird durch den Tikun Olam-Begriff ersetzt. Und Tikun Olam ist etwas, was jeder Rabbiner in seiner Toolbox, in seinem Werkzeugkasten hat, weil es da um die Heilung der Welt geht. Und wer bringt die Heilung der Welt zustande? Die Menschen, die sich freien Willens dem Gesetz unterwerfen und das richtige Tun, so dass die Welt immer heiler Welt. Der Begriff hat im Prinzip im Judentum die Messiasvorstellung völlig überwuchert."
    Der Rabbiner Walter Homolka spricht beim Symposium "Jesus the Jew from Galilee" in Wien
    Der Rabbiner Walter Homolka spricht auf dem Symposium "Jesus the Jew from Galilee" in Wien (Universität Wien)
    Wie konkret christliche Theologie vom Judentum lernen kann, verdeutlicht Jan-Heiner Tück bei der der Messias-Vorstellung vorausliegenden Frage nach der Präsenz Gottes in der Welt:
    "Schon im Alten Testament gibt es diverse Erzählungen, wie Gott in seinem Volk Wohnung nimmt, wie er seine geschichtliche Präsenz zeigt. Also Denkfiguren, die eine philosophische Gotteslehre korrigieren, die ja sagt, Gott ist unwandelbar, leidensunfähig und so weiter - nein, das biblische und rabbinische Zeugnis sagt: Gott ist ein Gott, der in der Geschichte wirkt, der solidarisch mit seinem leidenden Volk mitgeht. Und hier würde ich sagen ist eine interessante Anschlussstelle für die Christologie, weil sie ja deutlich macht, dass Gott in Jesus Christus tatsächlich geschichtlich nahekommt."
    Texte, Riten und Gesänge durchsehen
    Dennoch bleibt auch ganz praktisch einiges zu tun – etwa die kritische Durchsicht der Liturgien, also der Texte, Riten und Gesänge, die in christlichen Gottesdiensten verwendet werden. Denn nur so kommen theologische Erkenntnisse schließlich auch in der Alltagswelt der Gläubigen an. Eine Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl braucht, so Kathy Ehrensberger:
    "Liturgien leben ja von der Wiederholung. Das sind eingespielte Rituale, in denen sich Menschen zuhause fühlen. In Worten, in Gebärden, Ausdrucksformen, die historisch gewachsen sind. Da wiederholen sich natürlich entsprechend abwertende Bilder oder entsprechende Bilder, die die Bilder mit Israel gleichsetzen etc. Es braucht Liturgiereformen, aber die müssen sehr sorgfältig und feinfühlig angegangen werden. Ich bin da auch ein wenig hilflos: Wie machen wir das, ohne dieses Zuhause-Sein von Menschen in diesen Liturgien zu zerstören?"
    Zur Tagung ist im Herder-Verlag auch ein Buch zu dem Thema von Walter Homolka und Magnus Striet erschienen: "Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude - Christus der Erlöser".