Skandal in Erfurt. Ein Dopinglabor wurde ausgehoben im Norden der Stadt. Manch ein Nachbar ist immer noch aufgeregt, Tage nach der Razzia.
"Ich bin vorbeigangen, da war der Zoll hier. Drei, vier Mann, und die haben das dann alles hier so ... Die Garage war offen, und dann sind die da rein, und die haben das alles wahrscheinlich ... Ich habe mich da nicht weiter hingestellt. Die haben ja alles abgesperrt."
"Aus meiner Sicht ein unärztliches Verhalten"
In der Praxis selbst herrscht Krisenstimmung. Sie ist weiterhin geöffnet, betrieben von der Mutter des verhafteten Mediziners. Gegen sie wird nicht ermittelt. Mit ihr zu reden ist nicht möglich. Wir werden aus der Praxis regelrecht herausgeworfen. Sogar ein Patient im Warteraum macht die Handbewegung: Raus, raus!
Solidarisierung im Kiez. Die Praxis ist die einzige weit und breit. Eine Goldgrube für Allgemeinmediziner. Dem jüngeren Arzt reichte das offenbar nicht aus. Mehr als 40 Blutbeutel, mutmaßlich von dopenden Sportlern, fand die Polizei bei ihm.
Ein Schock für die Sportstadt Erfurt.
"Für mich war das eine schockierende Nachricht. Aus meiner Sicht ist das ein unärztliches Verhalten. Ärzte sind dazu da, Menschen medizinisch zu helfen. und nicht Schaden zuzufügen", sagt Gerald Lutz, Arzt am Olympistützpunkt Erfurt.
Risiken ging der verhaftete Mediziner nach jetzigem Kenntnisstand unter anderem bei den außerhalb von Kliniken vorgenommenen Bluttransfusionen ein.
Die Dimension des Dopingrings ist gegenwärtig noch nicht abzuschätzen. Bislang wurden nur ausländische Sportler verhaftet. Im Erfurter Sport war der verhaftete Arzt aber auch eine Größe. Die Gemeinschaftspraxis war vom Landessportbund für Eignungsuntersuchungen für angehende Leistungssportler lizensiert.
"Die Entscheidung über die Vergabe der Lizenz wurde durch eine Kommission getroffen. Die bestand aus dem Landessportbund, Vertretern des Sportärztebundes, des Sozial- und Sportministeriums, der Friedrich-Schiller-Universität und der Landesärztekammer. Diese Lizenzen wurden dann im Dezember 1999 vergeben", erklärt Stefan Hügel, Präsident des Landessportbundes.
Alle vier Jahre erfolgte eine Verlängerung. Ohne große Prüfverfahren. "Und da waren wir vielleicht ein bisschen blauäugig", gibt Hügel zu.
Dopingvergangenheit war bekannt
Blauäugig. Sorglos. Vor allem schlecht koordiniert. Denn dass der verhaftete Arzt bereits in den 00er-Jahren in die Dopingpraktiken beim Radsportrennstall Gerolsteiner zumindest verstrickt war, war auch dem Landessportbund bekannt. Genau deshalb wurde er von der offiziellen Betreuung von Kaderathleten ausgeschlossen, als es um eine Neuordnung der medizinischen Versorgung ging.
"Da hat es Begehrlichkeiten gegeben von Athletenbetreuung. Und damals wurde aus unserer Sicht, wenn ich das richtig mitbekommen habe, gesagt: Für die reine Tauglichkeitsprüfung fehlen uns die Anhaltspunkte, da nein zu sagen. Aber für die Athletenbetreuung im Zuge von Kader, von Bundeskader, Landeskader, haben wir gesagt, da ist uns die Faktenlage zu unsicher, als dass wir diese Praxis mit an Bord genommen hätten", sagt LSB-Präsident Hügel.
Eine ähnliche Auskunft kommt vom jetzigen Arzt des Olympiastützpunkts.
"Ja, davon habe ich auch gehört. Ich wurde da auch vom Olympiastützpunktleiter gefragt. Und es war letztendlich eine leichte Entscheidung, eine gemeinsame Entscheidung, ein klares Nein, wegen der Vergangenheit im Radsport."
Offiziell war der mutmaßliche Doping-Doc also nicht in die Betreuung eingebunden. Und inoffiziell?
"Ob da jetzt jemand privat hingegangen ist, bitte... Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass nach Aussage des Leiters des Olympiastützpunkts keinerlei Beziehungen in die Praxis laufen."
Beziehungen zu deutschen Athleten nicht ausgeschlossen
LSB-Präsident Hügel schließt Beziehungen deutscher Athleten zum verdächtigen Arzt also nicht kategorisch aus. Beim gegenwärtigen Stand eine angemessene Haltung. Denn man weiß es tatsächlich nicht.
Erst recht weiß man nicht, was der Mediziner mit den Kindern und Jugendlichen gemacht hat, die über den LSB zwecks Eignungstest zu ihm kamen. Das betrifft nach Auskunft des Landessportbundes vor allem Radsportler und Schwimmer.
"Wir wollen in der nächsten Woche unbedingt ein Treffen machen mit den Eltern, den Sportfachverband einladen und schauen, was ist passiert, was ist der Kenntnisstand, wo können wir helfen. Ist da was passiert, ist da nichts passiert?"
"Passiert" – das meint Doping. Und was will Hügel unternehmen, wenn etwas "passiert" ist, wenn ein Athlet öfter in der Praxis Schmidt war, auch über die Einstiegsuntersuchung hinaus?
"Wir müssen einen Zugang zu den Athleten finden, dass sie sich öffnen, wenn da etwas ist. Wir wollen schauen, ob da mehr dahinter ist. Und natürlich werden wir gegebenenfalls die Eltern und die Athleten ermuntern, zu sagen: Wenn da etwas ist, Feuer frei."
Komplette Aufklärung also. Das sind eher selten gehörte Töne im deutschen Sport. Gerade Thüringen fiel in der Vergangenheit durch einige Dopingaffären auf. In einer Klinik in Bleicherode agierte der Arzt Markus Choina, der deutsche Statthalter des Doping-Gurus Eufemiano Fuentes. Direkt am Olympiastützpunkt Erfurt war Andreas Franke beschäftigt. Er führte fragwürdige Blutbestrahlungsmethoden durch.
Von der Tätigkeit des jetzt verhafteten Mediziners im Radsport war bereits die Rede.
Vater auch festgenommen
Pikant ist, dass dessen Vater – er wurde wegen mutmaßlicher logistischer Hilfeleistungen beim Dopen ebenfalls festgenommen – bis Ende letzten Jahres in der Kanzlei von Heinz-Jochen Spilker tätig war. Spilker ist nicht nur ein sehr einflussreicher Thüringer Anwalt und langjähriger Strippenzieher im Sport, viele Jahre etwa war er Vizepräsident des Landessportbunds Thüringen. Spilker wurde wegen Dopings in der alten Bundesrepublik 1994 zu einer Geldstrafe verurteilt.
Seine Kanzlei, bis vor wenigen Monaten auch der Arbeitsplatz des jetzt verhafteten Vaters des mutmaßlichen Dopingarztes, verweigerte Deutschlandfunk jegliches Gespräch.