Archiv

Verhaftungswelle in der Türkei
"Es braucht von der Bundesregierung klare Worte"

Angesichts der neuerlichen Verhaftungswelle in der Türkei forderte der Vorsitzende der NRW-Grünen, Felix Banaszak, klare Signale von der deutschen und europäischen Außenpolitik: "Keine Rüstungsexporte in die Türkei, ein Ende des Flüchtlingsdeals, eine Verurteilung der Aggressionen in Nordsyrien".

Felix Banaszak im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Felix Banaszak, Landesvorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen (1.11.2013).
    An die "politisch motivierten Inhaftierungen" wie derzeit in der Türkei dürfe man sich nicht gewöhnen, sagte Felix Banaszak, der Vorsitzende der NRW-Grünen, im Dlf (dpa / picture alliance / Caroline Seidel)
    Jürgen Zurheide: Anlass, in die Türkei zu schauen, eine der aktuellen Meldungen, ich lese sie Ihnen vor, von AP kommt sie: "Türkei erlässt Haftbefehl gegen Kritiker der Militäroffensive", und dann wird davon berichtet, dass die türkischen Behörden jetzt wieder einmal Haftbefehle gegen 17 Kritiker der Militäroffensive in Nordsyrien erlassen haben. Diese Art von Meldungen bekommen wir täglich, und ich will mich nicht daran gewöhnen, wie viele andere auch, denn in der Türkei – wir wissen es – wandert man ins Gefängnis, wenn man aus politischen Gründen aktiv ist und seine Meinung sagt. Wir haben Anlass, über dieses Thema noch einmal zu reden, und ich begrüße dazu jetzt Felix Banaszak, den neuen Vorsitzenden der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Banaszak!
    Felix Banaszak: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    "Es hat eine richtige neue Verhaftungswelle eingesetzt"
    Zurheide: Herr Banaszak, zunächst einmal, heute Morgen werden wir miteinander reden oder müssen wir miteinander reden, weil auch Vorsitzende von Parteien ins Gefängnis gewandert sind. Ich gebe zu, in unseren aktuellen Meldungen haben wir es noch nicht gefunden, aber Sie haben da Informationen, deshalb bitte ich Sie zunächst, die Fakten zu liefern, was ist da passiert?
    Banaszak: Sie haben ja gerade selbst schon gesagt, Sie wollen sich daran nicht gewöhnen, und man muss aber befürchten, dass da ein Gewöhnungseffekt einsetzt. Wir haben gestern erfahren, dass die Vorsitzende der Grünen-Partei in der Türkei, der Yesiller ve Sol Gelecek Partisi, verhaftet wurde, Eylem Tuncaelli und Naci Sönmez, gemeinsam auch mit der Interimsvorsitzenden der HDP, Serpil Kemalbay, die ist ja deshalb unter anderem jetzt auch im Amt gewesen, weil die eigentlichen Vorsitzenden der HDP, Figen Yüksegdag und Selahattin Demirtas, ja schon seit über einem Jahr inhaftiert sind und mit ihnen viele weitere gestern und in den letzten Tagen und Wochen, die sich deutlich gegen die Militäroffensive in Nordsyrien ausgesprochen haben. Das heißt, es geht hier nicht nur um zwei Grüne, die sich da geäußert haben, sondern es hat eine richtige neue Verhaftungswelle eingesetzt, und das lässt Schlimmes befürchten.
    Offensive in Nordsyrien stoße auch in der Türkei auf Widerstand
    Zurheide: Wie ordnen Sie das ein? Also Sie haben es gesagt, es sind nicht die einzigen, und Erdogan macht wirklich Tabula rasa gegen alles und jeden, der nicht seiner Auffassung ist und das unterstützt, was er glaubt, für den türkischen Staat tun zu müssen oder zu können.
    Banaszak: Richtig, es geht bei dieser Offensive in Nordsyrien, über deren Völkerrechtswidrigkeit ja auch noch gesprochen werden muss, ja auch darum, die Türkei zu einer neuen nationalen Einheit zu bringen, und was auch deutlich ist, die Unterstützung für diese Offensive, die schwankt. Es gibt zwar bisher, mit Ausnahme der HDP, in allen Parteien eine Zustimmung dafür, aber jetzt kommen langsam die ersten gefallenen Soldaten wieder in der Türkei an, und es gibt eine wachsende Bewegung auch dagegen, angeführt eben von jenen, die beispielsweise gestern auch verhaftet wurden. Das ist ja kein neues Konzept, dass wir da feststellen, dass die, die sich kritisch zur Position der Regierung äußern, mundtot gemacht werden, und insofern ist es bedauerlich, dass gerade jetzt wieder … Wir feiern … oder was heißt, wir feiern, wir begehen nächsten Mittwoch den Jahrestag der Inhaftierung von Deniz Yücel, dass eine neue Verhaftungswelle hier festzustellen ist und dass gleichzeitig man fragen muss, ob die Bemühungen Deutschlands und der Europäischen Union zur Entschärfung dieses Konfliktes überhaupt einen Erfolg haben.
    Es brauche mehr als "ein fröhliches Kaffee-und-Tee-Kränzchen in Goslar"
    Zurheide: Deshalb frage ich Sie, was kann getan werden? Die Grünen in Europa, im Europäischen Parlament, haben protestiert – ich hätte fast gesagt, wir erwarten kaum etwas anderes. Was kann, was sollte die Bundesregierung denn eigentlich tun in diesen Stunden, in diesen Tagen? Wir haben einen Außenminister, der …
    Banaszak: Ja, noch haben wir ihn. Sie sagen ja völlig richtig, man darf sich erst mal nicht daran gewöhnen, deshalb mag es wie eine Selbstverständlichkeit klingen, aber es droht, keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein, dass man sich gegen diese Form von politisch motivierten Inhaftierungen, denn nichts anderes sind sie ja, überhaupt erst mal öffentlich ausspricht. Das tun wir natürlich, das tun wir aber nicht, weil das Grüne sind, die da verhaftet wurden, und werden Freilassungen fordern, sondern weil es eine Frage von Menschenrechten ist, die da angegangen ist. Was ich von einem Außenminister Gabriel, oder wie er auch immer bald heißen wird – das ist ja in der aktuellen Stunde unklar –, erwarte, ist, dass es da mehr gibt als ein fröhliches Kaffee-und-Tee-Kränzchen in Goslar, sondern eine ganz klare Positionierung zu diesen Menschenrechtsfragen. Das bedeutet dann eben aber auch, dass man sich gegenüber diesen Aggressionen deutlich verhält. Das heißt Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen mit Rheinmetall einen Profiteur dieser Zuspitzung in der Türkei. Das bedeutet aber auch beispielsweise, dass endlich dieser unsägliche Flüchtlingsdeal mit Ankara über Bord geworfen wird, damit die deutsche Regierung auch endlich wieder sprechfähig gegenüber Erdogan und gegenüber Cavosoglu und anderen da wird.
    "Es gibt für Herrn Erdogan kein Interesse, etwas zu ändern"
    Zurheide: Glauben Sie denn, dass Sanktionen Herrn Erdogan noch überhaupt erreichen können und werden?
    Banaszak: So lange Herr Erdogan Andeutungen bekommt, dass weiter über die ganzen Rüstungsfragen verhandelt werden kann, dass hier und da ein Auge zugedrückt werden kann, dass die diplomatische Stimmung wieder versucht es zu retten, gibt es für ihn keinen Anlass, tatsächlich in der Substanz etwas an seiner Politik zu ändern, und das betrifft dann eben nicht nur die deutschen Staatsbürger wie Deniz Yücel, sondern die Forderung einer deutschen Bundesregierung müssen natürlich auch auf die ausgerichtet sein, die beispielsweise jetzt wieder verhaftet wurden, und da solche Signale nicht kommen, gibt es für Herrn Erdogan kein Interesse, etwas zu ändern. Der einzige Druck, der gerade eigentlich in der Türkei herrscht, ist ein wirtschaftlicher. Unheimlich viele Menschen mit Kapital sind dabei, dieses Kapital aus der Türkei ins Ausland abzuziehen. Der Tourismus liegt am Boden. Das sind sozusagen die einzigen Signale, die Erdogan überhaupt gerade noch verstehen könnte, aber wenn man sich anschaut, was beispielsweise gestern wieder passiert ist, muss man sagen, diese Signale reichen anscheinend nicht aus. Es braucht da von der deutschen Bundesregierung, von der Europäischen Union klare Worte. Keine Kraftmeierei – es geht nicht darum, sich jetzt im Überbietungswettbewerb der Provokationen zu begeben, aber es braucht die Signale: keine Rüstungsexporte mehr in die Türkei, ein Ende dieses Flüchtlingsdeals, eine Verurteilung der, aus meiner Sicht, völkerrechtswidrigen Aggressionen in Nordsyrien. Das ist bisher alles nicht passiert.
    Zurheide: Felix Banaszak war das von den Grünen in Nordrhein-Westfalen. Herr Banaszak, heute Morgen, ich bedanke mich für das Gespräch! Danke schön!
    Banaszak: Ja, danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.