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Verhaftungswelle in der Türkei
Kurdische Bürgermeister abgesetzt und eingesperrt

Die türkische Regierung geht erneut gegen kurdische Politiker vor. Mehrere gewählte Bürgermeister wurden in den türkischen Kurdengebieten in Haft genommen. Die Kommunen stehen jetzt unter der Zwangsverwaltung der Türkei.

Von Susanne Güsten |
Die türkische Stadt Diyarbakir. Man sieht eine Moschee und im Vordergrund ein Parkhaus im Bau.
Die türkische Stadt Diyarbakir unter Zwangsverwaltung: Oberbürgermeister Selçuk Mizrakli von der Kurdenpartei HDP wurde verhaftet. (imago images / ZUMA Press)
In der Altstadt von Diyarbakir säumen gepanzerte Mannschaftswagen die Einkaufsstraße, vor dem Rathaus stehen Wasserwerfer bereit. Oberbürgermeister Selçuk Mizrakli von der Kurdenpartei HDP ist nicht im Rathaus, er sitzt hunderte Kilometer weit von der kurdischen Millionenstadt im Gefängnis. Der geachtete Arzt wurde vor zwei Wochen im Morgengrauen von der Polizei aus seiner Wohnung in Diyarbakir geholt. Seine Ko-Bürgermeisterin Hülya Alökmen Uyanik musste hilflos zusehen:
"Ich bin seit 20 Jahren mit Selçuk befreundet, wir waren früher Kollegen im Gesundheitswesen. Wie er da in Handschellen gelegt und abgeführt wurde, wie er weit weg von seiner Familie und seiner Stadt gebracht wurde - das ist nicht nur furchtbares Unrecht und Rechtlosigkeit, das tut auch ganz persönlich weh."
Diyarbakir, Mardin und Van unter Zwangsverwaltung
Mit 63 Prozent der Stimmen waren Mizrakli und Uyanik bei den Kommunalwahlen im Frühjahr ins Rathaus gewählt worden. Uyanik durfte ihr Amt gar nicht erst antreten: Weil sie Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat, verweigerte die Wahlkommission ihr die Anerkennung des Wahlsiegs. Mizrakli musste das Bürgermeisteramt zwar alleine übernehmen, konnte aber auch nur vier Monate lang regieren: Schon im August setzte Ankara ihn ab und stellte Diyarbakir unter Zwangsverwaltung, ebenso die beiden anderen Großstädte im türkischen Kurdengebiet, Mardin und Van. Ein Dutzend weitere kurdische Kommunen ließ Ankara nun in den vergangenen Tagen und Wochen unter Zwangsverwaltung stellen und ihre Bürgermeister verhaften. Nicht zufällig geschah das zeitgleich mit der militärischen Offensive in Nordsyrien, meint Uyanik.
"Als die Türkei den Krieg begonnen hat, da hat sich die türkische Opposition sofort hinter die Regierung gestellt, da sind auch die Oppositionskreise in Nationalismus und Militarismus verfallen."
SPD-Außenpolitiker Nils Schmid: "Bedrückende politische Lage"
Auch in der internationalen Öffentlichkeit ging der Kahlschlag im türkischen Kurdengebiet etwas unter, während die Welt auf den Einmarsch in Nordsyrien blickte. Als erster europäischer Politiker nach der Verhaftungswelle kam jetzt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid nach Diyarbakir. Seine Bilanz vor der Abreise aus der Kurdenstadt:
"Die politische Lage habe ich als sehr bedrückend wahrgenommen, denn wenn gewählte Bürgermeister aus dem Amt entfernt werden, dann ist das ein schwerer Schlag gegen die Demokratie und auch ein schwerer Schlag gegen das Vertrauen in die Demokratie. Demokratisch gewählte Bürgermeister gehören ins Rathaus und nicht ins Gefängnis."
Gespräche mit der Regierungspartei AKP
Außer mit der Kurdenpartei HDP sprach Schmid in Diyarbakir wie auch zuvor in Ankara und Istanbul mit Vertretern der Regierungspartei AKP und der Zivilgesellschaft.
"Ich habe immer betont, wie wichtig es ist, dass demokratische Prozesse eingehalten werden und dass gewählte Bürgermeister und Parlamentarier ihre Funktion ausüben können; dass es eine hohe Aufmerksamkeit in Deutschland dafür gibt; und dass ich deshalb auch vor Ort bin, um dieses deutlich zu signalisieren."
Letzten Endes könne die Demokratie in der Türkei allerdings nur von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes selbst durchgesetzt werden, fügte Schmid hinzu. Die Frage ist nur, wie das gehen soll, wenn nicht mit Wahlen – immerhin ist es schon das zweite Mal in drei Jahren, dass die gewählten Volksvertreter in Diyarbakir abgesetzt und eingesperrt werden. Die HDP werde diesen Weg dennoch weitergehen, sagt Uyanik:
"Wir glauben, dass die Lösung der Kurdenfrage und die Demokratisierung der Türkei nur mit politischen Mitteln erreicht werden kann. Wir sehen durchaus, dass versucht wird, uns zu anderen Mitteln zu nötigen und uns in die Illegalität zu drängen. Aber wir werden uns nicht davon abbringen lassen, mit demokratischen Mitteln für unsere Rechte einzutreten."