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Verhaltensforscher Otto Koehler
Er war überzeugt: Tiere können denken

Er zeigte, dass Eichhörnchen zählen und Mäuse abstrakt denken können. Der Tierpsychologe und Verhaltensforscher Otto Koehler war vor allem ein präziser und geduldiger Beobachter, der sich ganz auf die Welt der Tiere einließ. Vor 125 Jahren wurde er geboren.

Von Irene Meichsner |
    Ein Eichhörnchen hockt am 23.10.2012 in einem Garten nahe Zella-Mehlis (Kreis Schmalkalden-Meiningen) auf dem Dach eines hölzernen Vogelhauses und frisst Sonnenblumenkerne.
    Der Verhaltensforscher Otto Koehler schloss aus Beobachtungen, dass Tiere denken können. (picture alliance / dpa / ZB / Soeren Stache)
    Otto Koehler: "Was einem angeboren ist, das hat man halt! Das kann man ja unmöglich als Intelligenzleistung ansehen. Ebenso wenig wie man den Spatz klug nennen würde, weil er fliegen kann, und mich für dumm, weil ich nun keine solchen Flügel habe und das nicht so verstehe wie er. Was mir angeboren ist, dafür kann ich nichts. Und was ich angeborenermaßen nicht habe, dafür kann ich auch nichts."
    Otto Koehler, hier in einem Rundfunkgespräch aus dem Jahre 1954, hat einer ganzen Generation von Verhaltensforschern die Richtung gewiesen. Konrad Lorenz hat einmal gesagt, dass er seinem Freund und Lehrer "ein ganzes Gewitter von Erkenntnis-Blitzen" verdanke. Koehler verband zentrale Fragen der Verhaltensforschung – etwa diejenige nach dem Unterschied zwischen Intelligenz und angeborenem, artspezifischem Instinkt – mit einem übergeordneten, fast philosophischen Interesse.
    Otto Koehler: "Alles was wir treiben in der vergleichenden Verhaltensforschung, ist keineswegs lediglich aus Interesse an dem, was eine bestimmte Tierart macht, sondern immer im Vergleich zum Menschen. Und im stammesgeschichtlichen Sinne, um uns selber zu verstehen."
    Am 20. Dezember 1889 in Insterburg in Ostpreußen geboren, hatte Koehler sich nach dem Studium in Freiburg und München zunächst mit der Physiologie vor allem wirbelloser Tiere beschäftigt, bevor er sein Interesse an der Tierpsychologie – und sein Herz speziell für Vögel entdeckte. Koehler staunte, Vögel beherrschten sogar Dialekte.
    Otto Koehler: "Goldammer zum Beispiel, den Schlag kennen Sie sicher, nicht wahr, ich will mal versuchen, zu pfeifen: (PFEIFT). Na, und der letzte Ton ist ein bisschen tiefer, habe ich gemacht, nicht wahr. Hundert Kilometer weiter, da machen sie: (PFEIFT). Das sind zwei Dialekte!"
    Er entdeckte erstaunliche Intelligenzleistungen von Tieren
    Als Professor in Königsberg und später in Freiburg, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg die fast völlig zerstörten biologischen Institute wieder aufbaute, forderte Koehler auch methodisch äußerste Präzision. Er nutzte Kameras, um jede Beeinflussung der Tiere durch den Beobachter auszuschließen, zeichnete Vogelstimmen mit dem Tonband auf. Und er entdeckte erstaunliche Intelligenzleistungen von Tieren, für die er den Begriff des "unbenannten Denkens" prägte – ein Denken ohne Worte, von dem er annahm, dass Menschen es stammesgeschichtlich von den Tieren übernommen haben. So zeigte sich zum Beispiel, dass Tauben, Kolkraben, Eichhörnchen und andere Tiere zählen können. Mäuse fanden sich in einem Labyrinth auch dann noch zurecht, wenn man die Winkel verzerrte, die Strecken verdoppelte oder den Bauplan des Labyrinths in sein Spiegelbild verkehrte - eine Abstraktionsleistung, die Koehler mit der Leistung verglich, die wir beim Lesen und Schreiben vollbringen.
    Otto Koehler: "Ich weiß die Gestalt dieser Buchstaben. Was ein 'g' ist und ein 'k' und so weiter. Das kann ich in beliebiger Größe zeichnen, erkennen, schreiben und lesen. Und ich kann es schief, nach rechts oder nach links verschieben. Und ich kann es auch im Spiegelbild schreiben. Und kann es auch im Spiegelbild lesen. Und kann es als den betreffenden Buchstaben erkennen. Das ist im Prinzip genau dieselbe Angelegenheit, dieselbe Leistung wie von dieser Maus."
    Allein die Wortsprache blieb dem Menschen vorbehalten.
    Otto Koehler: "Und indem er benannt hat und indem er spricht, und dieses neue Vermögen jetzt also zusammenwirkt mit dem alten, was er mit den Tieren gemeinsam hat, des unbenannten Denkens - dadurch behält er erstens die ganzen Vorteile des Tieres, sich orientieren zu können, und gewinnt all diejenigen neuen hinzu, die sein Menschsein ausmachen. Bis hinauf zu Wissenschaft, Kunst, Religion und all diesen Dingen!"
    Otto Koehler, der am 7. Januar 1974 in Freiburg starb, verlor den "Systemcharakter" des Lebendigen nie aus den Augen. Bei aller wissenschaftlichen Distanz empfand er aber auch echte Liebe zum Tier. Als in den 60er-Jahren die Diskussion um die "Legebatterien" aufkam, fragte ihn ein Reporter, ob Hühner sich unter solchen Umständen "wenigstens einigermaßen wohl fühlen könnten".
    Otto Koehler: "Nein. Sie sind in grausiger Weise auf engsten Raum zusammengedrängt. Und wenn ein Tier physisch leidet, dass es dann auch subjektiv leidet, zumindest ein höheres Tier, auch daran würde ich keinen Zweifel haben."