Auch eine Pflanze ohne Gehirn hat ähnliche Lebensziele wie ein Tier. Das sagt der Zoologe Alex Kacelnik von der Oxford University. Er erforscht seit Jahren, wie Organismen Chancen und Risiken abwägen. Normalerweise studiert er dafür Tiere. Doch kürzlich hat er gemeinsam mit israelischen Forschern einen ungewöhnlichen Versuch unternommen – mit Pflanzen. Denn auch die müssen in ihrem Leben Entscheidungen treffen.
"Im Grunde geht es bei allen Entscheidungen der Pflanzen darum, die Zahl der im Laufe des Lebens produzierten Samen zu maximieren. So etwas kann man studieren, indem man schaut, wie flexibel sich die Pflanzen darauf einstellen, was ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt einen strategischen Vorteil bringt."
Erbsenpflanzen sind strategisch
Die Forscher nutzten für das Experiment Dutzende von Erbsenpflanzen. Diese pflanzten sie einzeln jeweils so, dass sich ihre Wurzeln genau hälftig in zwei Töpfe aufteilten. Im ersten Topf sorgten die Forscher für eine konstant hohe oder eine konstant niedrige Nährstoffversorgung. Im zweiten Topf ließen sie das Nährstoffangebot über zwölf Wochen hinweg vom Zufall gesteuert schwanken. Sie lieferten mal hohe, mal niedrige Nährstoffmengen, aber im Durchschnitt war das Nährstoffangebot das gleiche wie im ersten Topf. Die Frage war nun: In welchem der beiden Töpfe würden die Pflanzen ihre Wurzeln stärker wachsen lassen? Würden sie auch das Risiko eingehen, eher auf eine stark schwankende Nährstoffversorgung zu wetten? Alex Kacelnik rechnete damit, dass die Pflanzen ganz ähnlich entscheiden würden wie Ökonomen bei Geldanlagen.
"Wenn man durchschnittlich genug hat von dem, was man braucht, warum sollte man dann ein Risiko eingehen? Wenn man aber nicht genug hat, macht es Sinn, das Risiko zu suchen und dort zu investieren, wo man zumindest die Chance hat, mit etwas Glück Reichtum zu finden, so dass es einem besser geht. Wir haben beobachtet, dass die Pflanzen genau das machen. Sie sind strategisch und lassen ihre Wurzeln an den jeweils passenden Stellen wachsen."
Wie gesagt: Jede Pflanze wurzelte in je zwei Töpfen. War die Nährstoffversorgung im ersten Topf gut, gingen die Pflanzen kein Risiko ein und ließen ihre Wurzeln dort am stärksten wachsen. Bei einem niedrigen Nährstoffniveau bildeten sie jedoch deutlich mehr Wurzeln im zweiten Topf, wo sie zeitweilig höhere Düngergaben erwarten konnten.
"Das heißt nicht, dass die Pflanzen intelligent sind und mystisch betrachtet ein Bewusstsein besitzen. Aber ihre Physiologie ist so aufgebaut, dass sie Chancen in ihrem besten biologischen Interesse ergreifen."
Ein Widerstreit chemischer Botenstoffe
Ein umfassendes Modell dafür, wie die Pflanzen ihre Risiko-Abwägungen treffen, hat Alex Kacelnik noch nicht. Er sieht hier nicht-lineare Prozesse am Werk.
"Die Pflanzen haben verschiedene Mechanismen, wie sie auf Nährstoffe reagieren. Manche davon laufen nur lokal, an der Wurzelspitze. Andere sind systemisch und erfassen die gesamte Pflanze. Diese Prozesse beeinflussen sich dann gegenseitig, und am Ende kann sich daraus ein sehr komplexes Verhalten ergeben. Einfach weil vielleicht ein Bereich der Pflanze meldet, 'hey, wir haben genug', während ein anderer sagt: 'Aber ich sehe hier eine gute Möglichkeit'."
Letztlich sei es allein ein Widerstreit chemischer Botenstoffe in den Pflanzen, der mal zu dem eher risiko-freudigen, mal zum risiko-scheuen Verhalten führt. Alex Kacelnik sieht darin ein das Ergebnis der Evolution. Pflanzen, die sich derart flexibel an ein wechselndes Angebot ihrer Umwelt anpassen können, haben größere Chancen, sich durchzusetzen.