Der Satz "Man trifft sich immer zweimal im Leben" gilt nicht nur für Menschen, sondern offenbar auch für Ratten. Denn nur so ist es zu erklären, dass sich die Tiere daran erinnern können, wie die letzte Begegnung mit einem Artgenossen ausgegangen ist, erklärt Michael Taborsky von der Universität Bern. Bei einer früheren Studie hatten die Ratten gezeigt, dass sie wussten, ob sie bei der letzten Begegnung mit einem anderen Tier profitiert hatten oder nicht. Hatte sich eine Ratte als nicht kooperativ erwiesen, wurde ihr später die Hilfe verweigert - nach dem Motto "Wie du mir, so ich dir" oder auf Englisch "tit for tat".
Der anderen Ratte helfen - oder nicht?
"Aber es war unklar und das ist etwas, was generell von vielen Verhaltensforschern angezweifelt wird, dass Tiere wie Ratten oder eben auch andere Tiere, die sich gegenseitig helfen, merken können wer kooperativ war, wenn sie mit mehreren Partnern interagieren", sagt Taborsky. Um das zu klären, überlegten sich er und sein Team einen neuen Versuchsaufbau. Dabei kam jeweils eine weibliche Wanderratte an vier aufeinanderfolgenden Tagen mit einer von vier unterschiedlich spendablen Artgenossinnen in einen Käfig. Es mussten ausschließlich Weibchen sein, da bei Männchen ständig Rangkämpfe herrschen und die Forschenden sicherstellen mussten, dass es hier ausschließlich um die gegenseitige Hilfe ging.
Der Biologe erklärt das Experiment: "Die Kooperationsbereitschaft der Partnerinnen unserer Versuchsratten wurde experimentell manipuliert. Also eine Partnerin konnte entweder dem Versuchstier Futter beschaffen, in dem ein Schlitten an den Käfig herangezogen wurde und nur diese Partnerin das Futter bekam oder sie konnte das eben nicht, weil dieser Mechanismus blockiert war."
Hilfsbereitschaft wird zurückgezahlt
Also erhielten manche Weibchen immer einzelne Haferflocken im Laufe der siebenminütigen Begegnung oder eben nicht. Je öfter eine Ratte der anderen half, desto mehr bekam diese Partnerin im Käfig gegenüber zu fressen. Die Versuche wurden immer mit fünf Tieren durchgeführt – jeweils vier Tage lang. Am fünften Tag gab es einen Wechsel. Die Tiere, die zuvor von der Großzügigkeit der anderen abhängig gewesen waren, konnten nun ihrerseits Haferflocken verteilen oder aber das Futter den anderen verweigern. Die Frage war: Wussten die Ratten, was sie den anderen "schuldig" waren?
Die Ergebnisse sind im Fachjournal Scientific Reports nachzulesen. Taborsky fasst sie zusammen: "Eine Partnerin, die sehr viel Futter bereitgestellt hat, hat dann selber auch nach Tagen auch wieder von unserem Versuchstier sehr viel Futter bekommen." Damit war klar: Die Ratten erinnerten sich auch in einer komplexen sozialen Situation genau an die Hilfsbereitschaft und gaben das zurück, was sie vorher bekommen hatten – im Positiven wie im Negativen. Die Frage ist: was treibt ein Tier an, zunächst selbstlos Futter zu verteilen?
Kooperation statt Konfrontation
"Das heißt, ein Tier, das einem anderen Individuum helfen kann, hat selber davon nichts, kann aber mit gewisser Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in Zukunft von diesem anderen Individuum etwas zurückzubekommen." Es geht um die Frage, wie in einer komplexen Gesellschaft auch unter schwierigen Bedingungen Verhaltensweisen wie Großzügigkeit oder gegenseitige Hilfe entstehen können und nicht nur Egoismus. Warum sollte man helfen, wenn man über die Gegenseite nichts weiß? Das funktioniert nur mit einem Minimum an Großzügigkeit, so Michael Taborsky. Es kostet nicht viel und ist einen Versuch wert.
"Man muss ausprobieren. Also, ich liefere jetzt mal was, ob ich was zurückkriege oder nicht, ist nicht sicher. Aber vielleicht gibt es ja auch eine Belohnung dafür. Man gibt etwas, obwohl man keine Sicherheit hat, dass man etwas zurückkriegt dafür. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass Kooperation oder Gegenseitigkeit in diesen Paradigma überhaupt entstehen kann. Und das zeigen die Raten offensichtlich." Nicht Konkurrenz oder Egoismus könnten einer der Gründe dafür sein, dass sich Rattengesellschaften von bis zu 200 Tieren überall wohlfühlen, sondern der Schlüssel ihres Erfolgs ist ihre vielleicht grundsätzlich erst einmal auf Kooperation statt auf Konfrontation ausgelegte Strategie. Denn bei Ratten gilt offenbar: Man trifft sich immer zweimal im Leben.