Die EU-Kommission steht wegen der Impfstoff-Beschaffung in der Kritik. Vor allem aus Deutschland lauten die Vorwürfe: Zu wenig bestellt, zu lange verhandelt und zu wenig Geld in die Hand genommen – die Beschaffung sei verschlafen worden, vor allem im Vergleich zu anderen Staaten.
Nun wurden jedoch Einzelheiten bekannt, die ein anderes Bild zeichnen. Sie deuten darauf hin, dass die Kommission kaum anders verhandelt hat, als jene Länder, denen nachgesagt wird, es besser gemacht zu haben. Einer dieser Hinweise ist der Impfstoff-Liefervertrag, den Großbritannien mit dem schwedisch-britischen Pharmakonzern AstraZeneca geschlossen hat und der vom US-Fernsehsender CNN veröffentlicht wurde.
Pharma-Unternehmen geraten in die Kritik
In gewisser Weise entlaste dieser CNN-Bericht die EU-Kommission, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis, Mitglied des Gesundheits-Ausschusses im Bundestag, im Deutschlandfunk. Nach diesem Bericht habe die Kommission durchaus versucht, sehr verantwortungsbewusst den Plan beziehungsweise den Vertrag auszufüllen. Es scheine keinen großen Unterschied zwischen dem Vertrag der EU und demjenigen des Vereinigten Königreichs mit AstraZeneca zu geben.
Mattheis zufolge sei weitere harsche Kritik an der EU-Kommission nicht mehr angebracht. Stattdessen müssten die Pharma-Unternehmen ins Visier genommen werden.
Biontech/Pfizer "unangemessen und verantwortungslos"
Es müsse jetzt darum gehen, "das Unternehmensgebaren anzuschauen, und zu schauen, wieso Firmen, die in einer solchen – ich möchte fast sagen – Monopolsituation sind, sich in dieser sehr schwierigen Situation für die EU, für die Menschen in der EU so stark an ihrem Gewinn orientieren", so Mattheis. "Ich glaube, dass das nicht unbedingt angemessen ist, sich das Interesse der Aktionäre zu eigen zu machen. Wir müssen als Staat, als Staaten, die ja solche Unternehmen auch massiv gefördert haben, durchaus das Recht haben, hier einzufordern, und klar und durchsichtig Verträge abschließen zu können. Um das wird es in Zukunft gehen."
Biontech/Pfizer soll Medienberichten zufolge in den Verhandlungen mit der EU zunächst rund 54 Euro pro Impfstoff-Dosis gefordert haben.
Die EU-Kommission handelte den Preis letztlich auf 15,50 Euro herunter - was in etwa dem Preis entsprichtt, den auch die USA für das Vakzin von Biontech/Pfizer zahlen. Diese Hintergründe rückten die Verzögerungen bei der Impfstoffbeschaffung in der EU in ein neues Licht, so Mattheis. "Diese Mondpreise", die Biontech/Pfizer für seinen Impfstoff veranschlagt hätten, müssten zum eigentlichen Kern der Kritik werden. "Das zu begründen damit, dass die Notlage sehr groß ist, finde ich schon unangemessen, völlig unangemessen und verantwortungslos", sagte die SPD-Politikerin.
Herausforderung für die Zeit nach der Pandemie
"Es scheint ja auch so zu sein, dass die Firma sich, wie sie auch im Vertrag geschrieben und in ihren Verlautbarungen geäußert haben, sich an besonders starken Staaten orientiert haben. Dann muss man wirklich sagen, ist das völlig unangemessen und wirft auch kein gutes Licht auf das Unternehmen", sagte Mattheis. "Und ich glaube einfach, dass man ein Unternehmen, dass so massiv staatlich gefördert wurde, in die Pflicht nehmen muss, solche Dinge einfach anders zu händeln. Ich glaube, das ist die Herausforderung für nach der Pandemie, wenn wir uns so einer Art Bilanz unterziehen. Wir brauchen als Staaten sehr viel stärkere Einflussmöglichkeiten und auch sofortige Draufsicht auf solche Angebote und vor allen Dingen auch mehr staatliche Förderung und Forschung mit einem Zugriffsrecht der Staaten."
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