Wiener Atomgespräche
Das Ringen um die Wiederbelebung des Atomdeals mit dem Iran

In Wien wird über eine Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 mit dem Iran verhandelt. Die Zeit drängt: Experten zufolge könnte Teheran in wenigen Wochen über genug waffenfähiges Uran für den Bau einer Atombombe verfügen. Wie sind die Erfolgsaussichten der Gespräche?

Von Marcus Pindur | 14.02.2022
    Treffen des Joint Comprehensive Plan of Action JCPOA in Wien
    Verhandlungen von Vertretern der Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens von 2015 in Wien (imago images/Xinhua)
    An den Gesprächen zur Wiederbelebung des sogenannten „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA), das Teheran am Bau einer Atombombe hindern soll, sind neben dem Iran die verbliebenen Unterzeichner-Staaten des Abkommens beteiligt: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland. Die USA nehmen nach ihrem einseitigen Ausstieg 2018 nur indirekt an den Verhandlungen teil. Trotzdem wird vor allem auch die Position Washingtons entscheidend dafür sein, ob eine Einigung gelingt.
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    Die Geschichte des iranischen Atomprogramms

    Das iranische Atomwaffenprogramm hat eine jahrzehntelange Geschichte. Bereits 1984 ordnete der Gründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ruhollah Chomeini, die Entwicklung von nuklearen Waffen an. Viele Jahre gelang es dem Regime in Teheran, dieses Programm vor der internationalen Öffentlichkeit geheim zu halten. In den 1990er-Jahren erhielten die USA erstmals Kenntnis von einer geplanten iranisch-russischen Zusammenarbeit bei der nuklearen Aufrüstung des Iran.

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    Im Jahr 2002 unterrichtete eine iranische Widerstandsgruppe die bis dahin ahnungslose Internationale Atomenergiebehörde IAEA darüber, dass das Mullah-Regime dabei sei, einen kompletten nuklearen Brennstoffkreislauf aufzubauen. Gleichzeitig benannte die Oppositionsgruppe die Standorte geheimer iranischer Nuklearanlagen. Der Nuklearexperte des amerikanischen „National Public Radio“, Geoff Brumfield, erläuterte, was passiert war: „Von den späten 80er-Jahren bis zu den frühen 2000er-Jahren hatte der Iran zweierlei gemacht: Das Land hatte sich Nuklearmaterial besorgt, das sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden konnte. Gleichzeitig arbeitet der Iran an den Plänen für Nuklearwaffen.“

    Was wurde im Atomabkommen von 2015 festgelegt?

    Die Atomrüstung des Iran war bereits seit längerem als Gefahr identifiziert, als der damalige US-Präsident Barack Obama mit Hilfe der Europäischen Union ein Sanktionsregime gegen den Iran errichtete. Dieses zwang Teheran an den Verhandlungstisch und führte 2015 schließlich zu einem Abkommen.
    An den Verhandlungen beteiligt waren Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA, aber auch Russland und China, die bis dahin den Iran oft geschützt hatten. Der sogenannte „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) sollte das Risiko, dass sich der Iran zu einem Atomwaffenstaat entwickelt, drastisch minimieren – jedenfalls für die nächsten zehn bis 15 Jahre. Der Iran verpflichtete sich zum Abbau großer Mengen hochangereicherten Urans und zu umfangreichen Kontrollen durch die IAEA. Im Gegenzug hoben USA und EU schrittweise die Wirtschaftssanktionen auf. Schwach angereichertes Uran durfte der Iran zur zivilen Nutzung weiter behalten.
    Was nicht gelang, war, die aggressive Regional-Politik des Irans einzudämmen. Das Mullah-Regime lieferte unter anderem zehntausende Raketen an die islamistisch-schiitische Hisbollah im Libanon und rüstete Kampftruppen zur Unterstützung des syrischen Herrschers Baschar al-Assad aus. Auch das iranische Programm zum Bau von Langstreckenraketen war nicht Teil des 2015 geschlossenen Abkommens. Dabei macht gerade die Kombination von Langstreckenraketen und Nuklearwaffenentwicklung das iranische Nuklearprogramm aus Sicht vieler Experten so gefährlich. Kritiker bemängelten zudem, die zeitliche Begrenzung des Atomdeals auf maximal 20 Jahre.

    Warum hat Trump das Atomabkommen gekündigt und was waren die Folgen?

    Die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens im Jahr 2018 durch US-Präsident Donald Trump war - wie viele seiner außenpolitischen Schritte - fast ausschließlich innenpolitisch motiviert. Trump machte sich damit bei republikanischen Hardlinern Freunde, die das Abkommen nie gewollt hatten. Darüber hinaus war es für Trump eine weitere Möglichkeit, die Politik des von ihm und seinen Unterstützern verachteten Vorgängers Obama rückabzuwickeln. Trump verhängte neue Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, wodurch die ohnehin angeschlagene Wirtschaft des Landes schwer getroffen wurde.
    2019 reagierte der Iran, und stieg seinerseits, aus dem JCPOA aus, indem er damit begann, wieder mehr Uran anzureichern und auch in höherer Konzentration als durch das Abkommen erlaubt. Gleichzeitig schränkte Teheran die IAEA-Überwachung, teilweise mit Kameras in den Produktionsstätten, ein und nahm zudem modernere und leistungsfähigere Zentrifugen zum Anreichern des Urans in Betrieb.
    Arbeiter auf einem Fahrrad vor dem Atommeiler von Bushehr im Iran
    Der Atommeiler von Bushehr - der Iran behauptet, Atomenergie nur für friedliche Zwecke nutzen zu wollen (imago images/UPI Photo)
    Beobachter gehen davon ausgegangen, dass das nukleare Wissen des Iran in den vergangenen Jahren beträchtlich zugenommen hat. Es wird befürchtet, dass der Iran mittlerweile in wenigen Monaten genug spaltbares Material zur Produktion einer Atombombe haben könnte. Die sogenannten „Ausbruchszeit“ hat sich also dramatisch verkürzt. Im Endeffekt hat die Kündigung des Atomdeals durch Trump innerhalb kürzester Zeit zu einer deutlichen Verschlechterung der Lage geführt: Der Iran verfügt über mehr spaltbares und hochangereichertes Material als zum Zeitpunkt des Abschlusses des JCPOA 2015, zudem ist die Überwachung durch die IAEA de facto komplett ausgesetzt.

    Worum geht es bei den aktuellen Gesprächen in Wien?

    Laut dem Institute for Science and International Security in Washington D.C. besitzt der Iran mittlerweile 4.000 neue, leistungsfähige Zentrifugen. Das Atomprogramm hat 114 Kilogramm auf 20 Prozent angereichertes Uran und 17,7 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertes Uran angehäuft. Das war dem Iran durch das JCPOA verboten.
    Die Entwicklung ist brandgefährlich, weil die Islamische Republik so sehr schnell an waffenfähiges Uran kommen kann. Die iranische Regierung beteuert zwar immer wieder, ihr Atomprogramm diene ausschließlich der friedlichen Nutzung. Dafür ist jedoch eine Urananreicherung bis auf 3,67 Prozent ausreichend – genauso viel wie durch das JCPOA erlaubt.
    Bei den aktuellen Verhandlungen in Wien soll eine "wechselseitige Rückkehr" der Regierungen in Washington und Teheran in den JCPOA eingeleitet werden. Trump-Nachfolger Joe Biden wollte unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 2021 zu einem Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren. An den aktuellen Gesprächen sind die USA allerdings nur indirekt beteiligt. Neben dem Iran nehmen die verbliebenen Unterzeichner-Staaten des Abkommens Deutschland, China, Frankreich, Großbritannien und Russland teil.

    Welche Rolle spielt Israel?

    Für Israel ist die Situation bedrohlich. Seit Jahrzehnten wird Israel von führenden iranischen Politikern mit der Vernichtung bedroht. Raketen aus dem Iran können schon jetzt Israel erreichen. Wenn der Iran über genug waffenfähiges Uran verfügt und die Technik der Miniaturisierung von Atomwaffen beherrscht, kann Israel sich nur noch auf seine hochmoderne Raketenabwehr verlassen – und auf die Abschreckung durch seegestützte, auf U-Booten stationierte Nuklearraketen.
    Die Regierung unter dem früheren Premierminister Benjamin Netanjahu lehnte das Abkommen von 2015 ab. Sie befürchtete, dass nach Auslaufen des JCPOA eine de facto internationale Anerkennung einer iranischen Nuklearbewaffnung eintreten würde.
    Die Obama-Regierung verwies dagegen darauf, dass durch den Atomdeal Zeit gewonnen werden und die Lage zunächst einmal entschärft würde. Die Entwicklung nach der Kündigung des Atomabkommens durch Trump scheint Obama rückblickend Recht zu geben, zumal die Regierung Netanjahu nie praktikable und effektive Alternativen zum JCPOA präsentieren konnte.  

    Welche Erfolgsaussichten haben die Verhandlungen in Wien?

    Die US-Regierung hat dem Iran Anfang Februar einseitig Sanktionserleichterungen in Aussicht gestellt. Damit wurde eine Entscheidung Trumps rückgängig gemacht, der auch Sanktionen gegen den zivilen Teil des iranischen Atomprogramms verfügt hatte. Diese Erleichterungen stellten jedoch kein Signal für eine unmittelbar bevorstehende Einigung dar, erklärte ein hoher Beamter des US-Außenministeriums. Die Reaktion des Iran war zurückhaltend. Die USA müssten in der Praxis zeigen, dass sie es ernst meinten, sagte der iranische Außenminister Hussein Amir-Abdollahian.
    Die Anfang 2021 wieder aufgenommenen Verhandlungen hatten nach der Wahl des Hardliners Ebrahim Raisi zum iranischen Präsident Mitte 2021 einen Rückschlag erlitten. Die neue Führung in Teheran verweigerte sich fünf Monate lang einer Fortführung der Gespräche, dann trat sie mit einer Maximalforderung auf: Für ein Entgegenkommen machte sie die Abschaffung aller Sanktionen gegen den Iran zur Vorbedingung.
    Eine Position, die offensichtlich auch Russland nicht vermittelbar war - im Dezember gab der iranische Unterhändler, Vizeaußenminister Ali Bagheri Kani nach. Er willigte ein, dass die IAEA in der Anlage Karadsch wieder Überwachungskameras aufstellen kann. Dort werden die modernen Atomzentrifugen hergestellt. Zugleich verweigert Teheran aber weiterhin die Aushändigung der Aufzeichnungen dieser Kameras an die IAEA.
    Wien, Irans Atomunterhändler Ali Bagheri Kani
    Irans Atomunterhändler Ali Bagheri Kani in Wien (imago images/Georges Schneider/Xinhua)
    Der Iran ist wirtschaftlich geschwächt und die Bevölkerung ist unzufrieden. Die wirtschaftlichen Vereinbarungen mit China und Russland nach der Aufkündigung des JCPOA durch Trump reichen nicht aus, um den Ausschluss vom Weltmarkt zu kompensieren. Die USA wiederum haben ein Interesse daran, eines der größten strategischen Probleme im Nahen Osten zumindest für die kommenden 10 bis 15 Jahre einzudämmen. Auch die Europäer wollen eine Stabilisierung der Region und eine Minimierung des Gefahrenpotenzials.
    Über den konkreten Verlauf der Verhandlungen dringt wenig nach außen, bislang sieht es nicht danach aus, als gebe es eine nennenswerte Annäherung. Äußere Störfaktoren kommen hinzu: Was, wenn sich das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland im Zuge der Ukraine-Russland-Krise massiv verschlechtert? Der Westen ist darauf angewiesen, dass Russland mitzieht, um zu Ergebnissen zu kommen, das war auch schon beim JCPOA 2015 so.
    Ein weiteres positives Signal sendete der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Mohammed Eslami, Ende Dezember. Teheran werde die Urananreicherung bei 60 Prozent einfrieren und auch bei einem Scheitern der Verhandlungen keine höhere Anreicherung betreiben. Darauf wollen sich die anderen JCPOA-Unterzeichnerstaaten jedoch nicht verlassen. Der Iran hat in der Vergangenheit in Sachen Atomprogramm so oft getäuscht und gelogen, dass solchen einseitigen Erklärungen geringer politischer Wert beigemessen wird.
    Das iranische islamistisch-fundamentalistische Regime strebt seit mehr als vier Jahrzehnten nach Atomwaffen. Eine langfristige Lösung kann es wahrscheinlich nur durch einen Regimewechsel in Teheran geben. Die Ausgangsbedingungen stimmten damit alles andere als optimistisch. Andererseits galten auch die Verhandlungen 2015 bis zu ihrem erfolgreichen Abschluss als wenig aussichtsreich. Ob sich dieser begrenzte, aber wichtige diplomatische Erfolg unter der derzeitigen internationalen Wetterlage wiederholen lässt, ist unklar.