Michael Böddeker: In Berlin handeln die Parteien der möglichen Jamaika-Koalition gerade miteinander aus, ob sie in Zukunft miteinander regieren wollen. Das bedeutet lange Verhandlungen, die eigenen Punkte durchsetzen, aber notwendigerweise auch mal Zugeständnisse machen und Kompromisse finden. Also kein ganz leichtes Unterfangen. Auch im Berufsleben kommt es immer wieder mal zu schwierigen Verhandlungen, zum Beispiel zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern beim Thema Gehalt, oder auch bei Verhandlungen mit den Geschäftspartnern.
Mehr darüber weiß Dr. Franziska Frank. Sie unterrichtet unter anderem Manager zum Thema Verhandlungsführung. Die Frage an sie: Welche Tipps hätten Sie denn als Expertin zum Beispiel für solche schwierige Verhandlungen wie die Sondierungsgespräche, die gerade laufen?
Franziska Frank: Ganz wichtig ist grundsätzlich, dass man offen in solche Verhandlungen hineingeht, dass man offen zuhört und den sogenannten Bestätigungs-Bias vermeidet. Was heißt das? Ganz oft gehen wir davon aus, dass wir genau wissen, was die andere Seite denkt und hört.
Jetzt angenommen, ich sage zu einem, ich weiß, für dich ist das Klima das Allerwichtigste, und der sagt, "ja, und", dann besteht die Gefahr, dass ich das "und" gar nicht mehr höre. Deswegen ist es sehr wichtig, sich weniger auf die Position zu konzentrieren, die die einzelnen Parteien ja auch im Wahlkampf schon positioniert haben, sondern zu versuchen, auf die darunterliegenden Interessen zu kommen. Und dort ist es dann sehr viel leichter, Gemeinsamkeiten zu finden, als eben in den Positionen.
Ausweg sei oft, sich generös zu zeigen
Böddeker: Umso schwieriger wird das aber, wenn vorher schon eine der Parteien gesagt hat, das ist unser Standpunkt, wir wollen da klare Kante zeigen, das ist unverhandelbar. Also kann man dann trotzdem noch gut offen in solche Verhandlungen hineingehen?
Frank: Das ist natürlich immer gefährlich, wenn Parteien so etwas sagen. Wie man aus so einer Situation herauskommt, hat oft damit zu tun, wenn eine andere Seite generös ist und von ihrer Sicht aus eine Position aufgibt, die sie als unverhandelbar dargestellt hat. Das sieht man ja jetzt gerade mit dem Verbrennungsmotor, dass da etwas eröffnet wird. Weil, wenn ich etwas anbiete, dann muss die andere Seite auch etwas anbieten.
Böddeker: Kann man sich vorher irgendwie eine Art Taktik zurechtlegen, mit der man dann in solche Gespräche hineingeht?
Frank: Es gibt aus meiner Sicht zwei Kernpunkte. Das erste ist gar nicht mal so sehr eine Taktik, sondern eine Einstellung. Man muss vermeiden, zu denken, dass die Größe des Kuchens schon vorbestimmt ist. Was heißt das? Ganz oft geht man rein und denkt, es ist etwas zu verteilen. Wir haben nur die Summe X an Geld, was ja teilweise auch stimmt, aber oft lässt sich der Kuchen noch erweitern, indem man kreativ und integrativ denkt, das heißt, wenn man offen an Themen herangeht, lassen sich sehr oft noch Lösungsmöglichkeiten finden, an die man vorher nicht gedacht hatte. Das ist das eine.
Einmal Verankertes sei schwer aus der Welt zu schaffen
Das andere ist, und das wird auch schon sehr aktiv eingesetzt, das ist das Thema Ankern. Ich sage "höchstens 200.000 Migranten", ich sage "bis 2030 der Verbrennungsmotor". Dann habe ich eine Zahl in den Raum gesetzt, die schwierig ist, aus dem Weg zu schaffen. Wenn ich 200.000 gesagt habe, ist es sehr schwer, dass die andere Seite, dass irgendjemand kommt und sagt, nein, es müssen 800.000 sein. Oder dass jemand kommt und sagt, nein, 80.000. Insoweit kann ich die andere Seite durch eine zuerst genannte Zahl sehr effektiv ankern.
Böddeker: Wie wichtig sind überhaupt die inhaltlichen Punkte, also was man sagt, oder spielen vielleicht auch andere Faktoren eine große Rolle, die Körpersprache oder wie man etwas sagt?
Frank: Ganz wichtig ist bei aller Interaktion zwischen Menschen die emotionale Seite. Und auch, ob man jemandem vertraut oder nicht. Natürlich sind die Inhalte sehr entscheidend. Dennoch ist es noch wichtiger, dass man es schafft, Vertrauen zur anderen Seite zu bekommen, und auch sehr wichtig – diesen Prozess schafft man eigentlich nur, wenn man es schafft, seine eigenen Emotionen auch unter Kontrolle zu halten. Dann kann man sich nämlich dann auch wieder auf die inhaltlichen Positionen konzentrieren und sich nicht mit seinem eigenen Frust oder Ärger gerade abfinden müssen.
In England beginne man zu meditieren
Böddeker: Aber wie schafft man das? Das Ganze hat ja meist dann auch eine längere Geschichte, man kennt die Verhandlungspartner schon. Wie schafft man es, das dann auszublenden?
Frank: Es ist ja interessant: Zurzeit haben zum Beispiel 145 Parlamentarier in England angefangen zu meditieren, um genau sich aus so einer etablierten Situation herauszuholen und sich dahin zu bringen, dass sie es schaffen, genau im Hier und Jetzt wertfrei zu sein. Jetzt weiß ich zwar nicht, ob das jemand in den Parteien schon tut, aber dieses Prinzip, innerlich auf Abstand zu gehen, es geht hier nicht um mich, sondern es geht um etwas Größeres. Das sollte auch jemanden, der schon in der Vergangenheit ein bisschen vielleicht durch Wut und Zorn mit dem anderen geprägt worden ist, ermöglichen, das wirklich als ein professioneller Politiker zu machen. Und das sind ja die Leute.
Böddeker: Könnte auch das Umfeld helfen, also die Umgebung, in der solche Gespräche stattfinden?
Frank: Die Forschung sagt schon immer ganz klar, Fenster, Sonne, Blick, warme Farben. Das hilft tatsächlich den Menschen dabei, sich wohlzufühlen. Wenn man sich wohlfühlt, hat man weniger Stress, wenn man weniger Stress hat, kann man mehr Oxytocin sozusagen, wird im Körper losgelassen. Und das hilft beim Vertrauen-Bilden. Auch gemeinsame Mittagessen, nette, kurze Pausen. All so was hilft natürlich.
Wer viel Zeit verbringe, synchronisiere sich
Böddeker: Die Pausen sind ein interessanter Punkt, den Sie da ansprechen. Es heißt ja oft, man sollte auch gerade die Pausen nutzen für die Überzeugungsarbeit. Ist das eine Binsenweisheit oder tatsächlich eine kluge Idee?
Frank: Es geht wieder um den Vertrauensaufbau. Ein Kollege von mir sagt immer, wenn man einen Punk in der Familie hat, lernt man Punks lieben. Je mehr Zeit man also mit jemandem verbringt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man etwas in ihm findet, was einem gefällt, wo man sagt, okay, ich hör diesem Menschen jetzt ein bisschen anders zu. Und dafür sind Pausen außerhalb des strengen Verhandlungskorsetts sehr hilfreich.
Man kann auch in der Forschung sehen, dass sich die Gehirnwellen tatsächlich aufeinander einspielen, wenn man mit jemandem in der Diskussion steht, und dass man durch so Themen wie ein bisschen Lob, ein bisschen auch um Hilfe fragen tatsächlich in diesem Prozess helfen kann, dass man Vertrauen zueinander fasst.
"Je weniger wir schlafen, desto risikoaffiner werden wir"
Böddeker: Wenn man dann lange miteinander verhandelt hat, auch die Pausen miteinander verbracht hat, zusammen Mittagessen war, dann kann das ja auch schon mal ganz schön lange dauern. So Tarifkonflikte zum Beispiel gehen ja auch mal bis in die Nacht hinein. Und dann heißt es immer, irgendwann gibt es eine Lösung, weil am Ende alle müde sind. Ist das auch eine mögliche Strategie? Würde das nicht dafür sprechen, solche Verhandlungen dann spät am Abend zu machen?
Frank: Die Forschung scheint tatsächlich in diese Richtung zu gehen, und zwar aus folgendem Grund: Je weniger wir schlafen, desto risikoaffiner werden wir. Das heißt, wenn ich jetzt die ganze Zeit wie ein sturer Bock auf meiner Position beharrt habe, und ich werde immer müder, dann bin ich statistisch wahrscheinlicher bereit, das Risiko einzugehen, dass ich jetzt doch mal diese neue Position annehme. Also insoweit spricht gar nicht so wenig dafür.
Böddeker: Doktor Franziska Frank ist Expertin für schwierige Verhandlungen und unterrichtet unter anderem Manager zu diesem Thema. Vielen Dank für das Gespräch!
Frank: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.