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Verhandlungssache Bolotnaja-Platz

Am Vorabend von Putins Amtseinführung im vergangenen Jahr schlug eine Demonstration von Kremlkritikern auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz in Gewalt um. Zwölf der Protestler sitzen nun auf der Anklagebank. Menschenrechtler sprechen von völlig überzogenen Vorwürfen und einem politischen Prozess.

Von Gesine Dornblüth |
    Der Rentner Oleg hat ein Lied verfasst. Er singt es bei Demonstrationen der Kremlgegner.

    Die erste Demonstration habe den Bösewicht erschreckt, da habe er die zweite auflösen und das unschuldige Volk verhaften lassen, singt Oleg. Mit dem Bösewicht meint er Putin. Ganz im Stil altertümlicher Bänkelsänger informiert er über das, was in den offiziellen Nachrichten nicht vorkommt: Bis zu den Zähnen bewaffnete Elitekämpfer hätten den Demonstranten den Weg versperrt, obwohl die Kundgebung von den Behörden genehmigt worden sei.

    Oleg singt über die Ereignisse vom 6. Mai 2012 am Bolotnaja-Platz. Damals schlug eine Protestkundgebung in Gewalt um. Etwa 80 Polizisten wurden leicht verletzt. Es gab mehr als 600 Festnahmen. Gegen zwei Dutzend Demonstranten wurde Anklage erhoben. Heute beginnt die öffentliche Verhandlung gegen zwölf von ihnen. Es sind Studenten, Arbeiter, eine Chemikerin – überwiegend junge Leute. Den meisten werden die Teilnahme an Massenunruhen und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Völlig überzogene Vorwürfe und aus Sicht von Menschenrechtlern ein Skandal. Eine unabhängige Kommission hat Hunderte Zeugenaussagen und Videos ausgewertet. Sie kam zu dem Ergebnis: Es gab gar keine Massenunruhen. Und die Gewalt wurde von den Sicherheitskräften provoziert. Die Angeklagten haben prominente Fürsprecher, darunter den Schriftsteller Boris Akunin.

    "Sicher gab es auch Schuldige unter den Demonstranten. Aber noch mehr Schuldige gibt es meiner Ansicht nach unter den Polizisten. Die Ermittlungen werden aber einseitig geführt. Das Urteil steht schon fest. Am Ende werden die Demonstranten hinter Gittern sitzen, und die Polizeichefs bleiben auf ihren Posten und sorgen dafür, dass so etwas wie letztes Jahr auf dem Bolotnaja-Platz wieder passiert."

    Der Vorsitzende des Menschenrechtsrates beim Präsidenten, Michail Fedotov, befürwortet eine Amnestie für die Angeklagten der Bolotnaja-Strafsache. Die meisten sitzen seit dem letzten Sommer in Untersuchungshaft. Präsident Putin musste sich im Winter bei seiner großen Pressekonferenz die Frage gefallen lassen, ob das gerecht sei. Dazu Putin:

    "Ich glaube nicht, dass man für die Teilnahme an Massenprotesten ins Gefängnis muss. Das ist meine Meinung als Staatspräsident und als Jurist. Aber es ist absolut unzulässig, handgreiflich gegenüber Vertretern der Staatsorgane zu werden. Versuchen Sie mal in den USA, die Hand in die Tasche zu stecken und etwas herauszuholen – da kriegen Sie gleich eine Kugel in den Kopf. Warum sollte es bei uns erlaubt sein, Schulterstücke abzureißen oder Vertreter der Staatsorgane ins Gesicht zu schlagen?"

    Die Ermittler gehen davon aus, dass die Gewalt am 6. Mai von langer Hand vorbereitet war. Sie haben den Linkspolitiker Sergej Udalzow und seinen Assistenten Leonid Razwozschajew als Organisatoren ausgemacht. Sie hätten Massenunruhen und Anschläge in ganz Russland geplant, so die Ermittler. Das ganze sei aus Georgien finanziert worden. Der Prominente Udalzow, Anführer der Linksfront und einer der Motoren der Protestbewegung, steht unter Hausarrest, Razwozschajew sitzt in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen die beiden wird voraussichtlich im Herbst beginnen.

    Heute sitzen auch Menschen auf der Anklagebank, die bis vor einem Jahr überhaupt nicht politisch aktiv waren und die niemand kannte. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen. Ihre Unterstützer haben angekündigt, zum Gericht zu kommen. Für den Rentner Oleg ist klar: Putin habe die Demonstranten einschüchtern wollen, und das habe zum Teil auch geklappt. Aber, so die letzte Strophe seines Liedes: Er hoffe, Russland werde Putin das nicht verzeihen.