Ob es Hans Paeschke gelang, was er 1947 anlässlich der Gründung des "Merkur" programmatisch erklärte, nämlich "Spannungen und Kontraste" auszutragen, das darf auch noch für seine Nachfolger in der Herausgeberschaft bezweifelt werden. Denn wie charakterisiert der neue Herausgeber Christian Demand die Geschichte des "Merkur"? Als:
"auf eine gewisse Weise lähmend Ehrfurcht gebietend. Das hat auch mit dem Gestus und Duktus der Texte zu tun, die sehr, sehr lange Zeit ja so eine autoritative Geste gepflegt haben, die ich heute sehr zwiespältig sehe. Einerseits profitieren wir davon und ich halte es für eine unverzichtbare Tugend des 'Merkur', dass sich diese Zeitschrift eine Position erarbeitet hat, aus der heraus man auf eine gewisse Weise ex Cathedra sprechen kann also zumindest sprechen kann und deutlich dem Leser signalisieren, dies ist nicht nur schnelle Meinung."
"Spannungen und Kontraste" auszuhalten, war 1947 zweifellos eine gewagte Programmatik, als sich der Krieg der Weltbilder gerade anschickte, auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern. Doch dergleichen fing man mit einem gleichfalls programmatisch erklärten antiutopischen und anti-radikalen Denken wieder ein.
Dass der "Merkur" mit dem Untertitel "Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken" eine deutsche Schuld anerkennen wollte, klingt heute banal bis peinlich, gewinnt damals aber fast schon avantgardistische Züge, wenn man bedenkt, dass Hans Paeschke, Jahrgang 1911, für den Kulturbetrieb der Nazis arbeitete.
So klingt der Untertitel "Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken" 1947 danach, als wollte man letzteres damals durch deutsches Denken prägen, um dieses wiederum nach der Nazi-Zeit vor der Vergessenheit zu bewahren. Heute sieht Christian Demand die gegenläufige Perspektive:
"Ich habe auch da mit dem Gedanken gespielt, diesen Titel zu ändern, dachte dann aber, einerseits aus einer Respektsbekundung der Geschichte der Zeitschrift gegenüber, ne, warum eigentlich ohne Not? Und zweitens ist es ein Stachel im Fleisch. Er zwingt dazu, immer wieder darüber nachzudenken, ob die Themen, die wir in Deutschland diskutieren, für die Leute in Europa außerhalb Deutschlands in irgendeiner Form relevant sind. Und sie sollten zumindest zum Teil für sie relevant sein."
Von 1984 bis 2011 war der Bielefelder Professor für Literaturwissenschaft Karl Heinz Bohrer Herausgeber des "Merkur", der zuvor als Journalist der Frankfurter Allgemeinen gearbeitet hatte und sich mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über den frühen Ernst Jünger habilitierte. Sein Nachfolger Christian Demand war zuvor Professor für Kunstgeschichte an der Nürnberger Kunstakademie:
"Ich war Autor des 'Merkur', allerdings seit 2003 erst, habe dort auch eine Ästhetik-Kolumne verwaltet, gestaltet, vermutlich mit einigem Erfolg und ich hätte mir nie im Leben träumen lassen in irgendeiner Form herausgeberisch tätig zu werden, nach dazu nachdem ich vom Journalismus nach zehn Jahren Hörfunk die Schnauze ziemlich voll hatte. Diese Form des Journalismus oder der Publizistik ist allerdings dermaßen reizvoll, dass ich mich gar nicht lange gefragt habe, ob ich der richtige bin, sondern einfach irgendwann gesagt habe, das muss man machen."
Ob diese strukturell konservative Ausrichtung des "Merkur" unter Demand sich fortsetzen wird, muss man abwarten. In den Anfangsjahren galt der "Merkur" als liberal konservativ, dann national liberal, in den späten sechziger Jahren sogar als links liberal. Gehörten in den Anfangsjahren Autoren wie Gottfried Benn und Arnold Gehlen, die noch mit den Nazis sympathisiert hatten, zu den Autoren, so avancierte später Jürgen Habermas zu den Leitfiguren.
Philosophisch betrachtet blieb der "Merkur" damit primär konservativ rationalistisch, eben deutsch und nicht französisch, modern und nicht postmodern, was zweifellos zum seriösen Image beitrug, während man Innovatives im "Merkur" weniger erwartet. Das brachte ihm aber durchaus ein solides Renommee in der ja wenig spielerisch eingestellten akademischen Welt ein. Christian Demand bemerkt:
"Ich glaube , dass es ein sehr großes Segment der akademischen Welt der mittleren bis älteren Jahrgänge interessiert. Allerdings glaube ich, dass die Bedeutung des 'Merkur' für den akademischen Nachwuchs und all diejenigen die dann mit einer akademischen Ausbildung in den Beruf gehen, erheblich abgenommen hat und das dürfte unsere vordringliche Aufgabe sein, hier wieder den Anschluss zu finden."
Als avantgardistisch wie die nur zwei Jahre früher gegründete "Les Temps modernes" unter ihrem Direktor Jean-Paul Sartre lässt sich der "Merkur" gewiss nicht bezeichnen. Weder gab er je die Themen vor, noch bestimmte er den Verlauf von großen akademischen Debatten mit. Aber er greift sie regelmäßig auf und reflektiert sie gemäßigt, nicht etwa radikal, insofern aber auch für viele nachvollziehbar und stellt daher eine intellektuelle Bereicherung der akademischen Landschaft dar. Der neue Herausgeber Christian Demand:
"Ich habe einige Autoren gefragt, als ich angefangen habe, wie war es denn, als Sie angefangen haben. Und die erzählten mir dann, die meisten haben in den achtziger Jahren entweder zu schreiben begonnen oder aktiv die Hefte verfolgt. Sie sagten, ja, ja, das war ganz klar, als ich in der Uni war, der 'Merkur' war ein Podium bei dem man die aktuellen Debatten noch einmal gespiegelt bekam, allerdings auf einem Niveau, das wir im Seminar nicht hatten, ich war sehr froh, das haben zu können etc. Ich glaube nicht, dass ich heute solche Antworten bekäme, würde ich in einen Bachelor- oder Masterstudiengang gehen und mich dort umhören."
Gerade unter dem akademischen Nachwuchs möchte Demand den Merkur wieder bekannter machen, hofft er, diesen wieder an den "Merkur" enger anbinden zu können. Das Äußerliche wie auch die Struktur des Merkur haben sich unter der neuen Herausgeberschaft nicht wesentlich geändert. Doch Demand versucht die mehrheitlich älteren Autoren aus der Zeit von Karl-Heinz Bohrer durch jüngere zu ersetzen, was an sich bei solchen Wechseln üblich ist. Doch es geht ihm um die Zukunft des "Merkur" mit seinen ca. 3500 bis 5000 Lesern, die sich verjüngen müssen. Er bemerkt:
"Und es hat nichts damit zu tun, dass die Jungen jetzt notwendigerweise besser schreiben oder ideenreicher sind, sie haben nur andere Referenzautoren, sie interessieren sich für andere Dinge, sie enthusiasmieren sich für Themen die Leute eben nicht mehr interessieren. Und das war die erste Sache, die ich ändern wollte und dann dachte ich mir, alles andere was kommt, in dem Moment, wenn ich sehe, dass es notwendig ist, etwas im inneren des Heftes zu ändern, wird es gemacht."
Und noch eine zweite Maßnahme wurde ergriffen, nicht allein um ein jüngeres Publikum anzusprechen, sondern überhaupt um die Leser stärker an den "Merkur" zu binden. Der "Merkur", der sich nicht mal durch ein Editorial an seine Leser wendet, also sein Publikum nicht direkt anspricht, wird durch einen Internet-Blog ergänzt. Just gegenüber dem Schwergewicht einer Tradition wohl abgewogener und wohl ausgewogener, zumeist wissenschaftlich begründeter Aufsätze soll die Gegenrede des Publikums öffentlich möglich werden. Christian Demand:
"Andererseits hat das was unglaublich Monologisches, Autoritatives und das ist etwas bei dem wir versuchen wollen neue Formen zu finden oder zumindest das in einer gewissen Weise zu reflektieren und abzudämpfen. Einer der Schritte, die wir da unternehmen, wird ein Internet-Blog sein, da es in unserem Heft vollkommen aussichtslos und grotesk wäre, würden wir plötzlich Leserbriefe einrücken oder eine Diskussionsspalte machen."
Im Internet-Blog sollen dann die Statements und Einsprüche der Leser veröffentlich werden. Vielleicht realisiert sich derart das Programm von Hans Paeschke "Spannungen und Kontraste" zu versammeln.
Hinzu kommt noch, dass bis zum Jahresende das vollständige Archiv des "Merkur" seit 1947 online zur Verfügung stehen soll. Eine Zeitschrift gerade mit Tradition und intellektueller Autorität kann und muss sich heute auch des Internets und der modernen Medien bedienen. Dann, so Demands Hoffnung, wird sie auch überleben.
Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken
66. Jahrgang 2012
"auf eine gewisse Weise lähmend Ehrfurcht gebietend. Das hat auch mit dem Gestus und Duktus der Texte zu tun, die sehr, sehr lange Zeit ja so eine autoritative Geste gepflegt haben, die ich heute sehr zwiespältig sehe. Einerseits profitieren wir davon und ich halte es für eine unverzichtbare Tugend des 'Merkur', dass sich diese Zeitschrift eine Position erarbeitet hat, aus der heraus man auf eine gewisse Weise ex Cathedra sprechen kann also zumindest sprechen kann und deutlich dem Leser signalisieren, dies ist nicht nur schnelle Meinung."
"Spannungen und Kontraste" auszuhalten, war 1947 zweifellos eine gewagte Programmatik, als sich der Krieg der Weltbilder gerade anschickte, auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern. Doch dergleichen fing man mit einem gleichfalls programmatisch erklärten antiutopischen und anti-radikalen Denken wieder ein.
Dass der "Merkur" mit dem Untertitel "Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken" eine deutsche Schuld anerkennen wollte, klingt heute banal bis peinlich, gewinnt damals aber fast schon avantgardistische Züge, wenn man bedenkt, dass Hans Paeschke, Jahrgang 1911, für den Kulturbetrieb der Nazis arbeitete.
So klingt der Untertitel "Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken" 1947 danach, als wollte man letzteres damals durch deutsches Denken prägen, um dieses wiederum nach der Nazi-Zeit vor der Vergessenheit zu bewahren. Heute sieht Christian Demand die gegenläufige Perspektive:
"Ich habe auch da mit dem Gedanken gespielt, diesen Titel zu ändern, dachte dann aber, einerseits aus einer Respektsbekundung der Geschichte der Zeitschrift gegenüber, ne, warum eigentlich ohne Not? Und zweitens ist es ein Stachel im Fleisch. Er zwingt dazu, immer wieder darüber nachzudenken, ob die Themen, die wir in Deutschland diskutieren, für die Leute in Europa außerhalb Deutschlands in irgendeiner Form relevant sind. Und sie sollten zumindest zum Teil für sie relevant sein."
Von 1984 bis 2011 war der Bielefelder Professor für Literaturwissenschaft Karl Heinz Bohrer Herausgeber des "Merkur", der zuvor als Journalist der Frankfurter Allgemeinen gearbeitet hatte und sich mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über den frühen Ernst Jünger habilitierte. Sein Nachfolger Christian Demand war zuvor Professor für Kunstgeschichte an der Nürnberger Kunstakademie:
"Ich war Autor des 'Merkur', allerdings seit 2003 erst, habe dort auch eine Ästhetik-Kolumne verwaltet, gestaltet, vermutlich mit einigem Erfolg und ich hätte mir nie im Leben träumen lassen in irgendeiner Form herausgeberisch tätig zu werden, nach dazu nachdem ich vom Journalismus nach zehn Jahren Hörfunk die Schnauze ziemlich voll hatte. Diese Form des Journalismus oder der Publizistik ist allerdings dermaßen reizvoll, dass ich mich gar nicht lange gefragt habe, ob ich der richtige bin, sondern einfach irgendwann gesagt habe, das muss man machen."
Ob diese strukturell konservative Ausrichtung des "Merkur" unter Demand sich fortsetzen wird, muss man abwarten. In den Anfangsjahren galt der "Merkur" als liberal konservativ, dann national liberal, in den späten sechziger Jahren sogar als links liberal. Gehörten in den Anfangsjahren Autoren wie Gottfried Benn und Arnold Gehlen, die noch mit den Nazis sympathisiert hatten, zu den Autoren, so avancierte später Jürgen Habermas zu den Leitfiguren.
Philosophisch betrachtet blieb der "Merkur" damit primär konservativ rationalistisch, eben deutsch und nicht französisch, modern und nicht postmodern, was zweifellos zum seriösen Image beitrug, während man Innovatives im "Merkur" weniger erwartet. Das brachte ihm aber durchaus ein solides Renommee in der ja wenig spielerisch eingestellten akademischen Welt ein. Christian Demand bemerkt:
"Ich glaube , dass es ein sehr großes Segment der akademischen Welt der mittleren bis älteren Jahrgänge interessiert. Allerdings glaube ich, dass die Bedeutung des 'Merkur' für den akademischen Nachwuchs und all diejenigen die dann mit einer akademischen Ausbildung in den Beruf gehen, erheblich abgenommen hat und das dürfte unsere vordringliche Aufgabe sein, hier wieder den Anschluss zu finden."
Als avantgardistisch wie die nur zwei Jahre früher gegründete "Les Temps modernes" unter ihrem Direktor Jean-Paul Sartre lässt sich der "Merkur" gewiss nicht bezeichnen. Weder gab er je die Themen vor, noch bestimmte er den Verlauf von großen akademischen Debatten mit. Aber er greift sie regelmäßig auf und reflektiert sie gemäßigt, nicht etwa radikal, insofern aber auch für viele nachvollziehbar und stellt daher eine intellektuelle Bereicherung der akademischen Landschaft dar. Der neue Herausgeber Christian Demand:
"Ich habe einige Autoren gefragt, als ich angefangen habe, wie war es denn, als Sie angefangen haben. Und die erzählten mir dann, die meisten haben in den achtziger Jahren entweder zu schreiben begonnen oder aktiv die Hefte verfolgt. Sie sagten, ja, ja, das war ganz klar, als ich in der Uni war, der 'Merkur' war ein Podium bei dem man die aktuellen Debatten noch einmal gespiegelt bekam, allerdings auf einem Niveau, das wir im Seminar nicht hatten, ich war sehr froh, das haben zu können etc. Ich glaube nicht, dass ich heute solche Antworten bekäme, würde ich in einen Bachelor- oder Masterstudiengang gehen und mich dort umhören."
Gerade unter dem akademischen Nachwuchs möchte Demand den Merkur wieder bekannter machen, hofft er, diesen wieder an den "Merkur" enger anbinden zu können. Das Äußerliche wie auch die Struktur des Merkur haben sich unter der neuen Herausgeberschaft nicht wesentlich geändert. Doch Demand versucht die mehrheitlich älteren Autoren aus der Zeit von Karl-Heinz Bohrer durch jüngere zu ersetzen, was an sich bei solchen Wechseln üblich ist. Doch es geht ihm um die Zukunft des "Merkur" mit seinen ca. 3500 bis 5000 Lesern, die sich verjüngen müssen. Er bemerkt:
"Und es hat nichts damit zu tun, dass die Jungen jetzt notwendigerweise besser schreiben oder ideenreicher sind, sie haben nur andere Referenzautoren, sie interessieren sich für andere Dinge, sie enthusiasmieren sich für Themen die Leute eben nicht mehr interessieren. Und das war die erste Sache, die ich ändern wollte und dann dachte ich mir, alles andere was kommt, in dem Moment, wenn ich sehe, dass es notwendig ist, etwas im inneren des Heftes zu ändern, wird es gemacht."
Und noch eine zweite Maßnahme wurde ergriffen, nicht allein um ein jüngeres Publikum anzusprechen, sondern überhaupt um die Leser stärker an den "Merkur" zu binden. Der "Merkur", der sich nicht mal durch ein Editorial an seine Leser wendet, also sein Publikum nicht direkt anspricht, wird durch einen Internet-Blog ergänzt. Just gegenüber dem Schwergewicht einer Tradition wohl abgewogener und wohl ausgewogener, zumeist wissenschaftlich begründeter Aufsätze soll die Gegenrede des Publikums öffentlich möglich werden. Christian Demand:
"Andererseits hat das was unglaublich Monologisches, Autoritatives und das ist etwas bei dem wir versuchen wollen neue Formen zu finden oder zumindest das in einer gewissen Weise zu reflektieren und abzudämpfen. Einer der Schritte, die wir da unternehmen, wird ein Internet-Blog sein, da es in unserem Heft vollkommen aussichtslos und grotesk wäre, würden wir plötzlich Leserbriefe einrücken oder eine Diskussionsspalte machen."
Im Internet-Blog sollen dann die Statements und Einsprüche der Leser veröffentlich werden. Vielleicht realisiert sich derart das Programm von Hans Paeschke "Spannungen und Kontraste" zu versammeln.
Hinzu kommt noch, dass bis zum Jahresende das vollständige Archiv des "Merkur" seit 1947 online zur Verfügung stehen soll. Eine Zeitschrift gerade mit Tradition und intellektueller Autorität kann und muss sich heute auch des Internets und der modernen Medien bedienen. Dann, so Demands Hoffnung, wird sie auch überleben.
Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken
66. Jahrgang 2012