Archiv

Verkauf des "Rolling Stone"
"Kritische Musik-Berichterstattung geht zurück"

Ein Paukenschlag für die Musikpresse: Der Gründer des stilprägenden "Rolling Stone" will seine restlichen Anteile am Blatt verkaufen. "Es wäre für Jann Wanner die beste Lösung, wenn jemand die Anteile kauft, der keinen publizistischen Impetus hat", sagte Musikkritiker Andreas Borcholte im Dlf.

Andreas Borcholte im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski |
    Die "Rolling Stone"-Ausgabe vom 1. August 2013, auf dem Titelblatt ist der Boston-Marathon-Bomber zu sehen
    Auf dem Titelblatt des "Rolling Stone" war im Jahr 2013 auch ein Attentäter zu sehen - das Cover mit dem Boston-Marathon-Bomber wurde kontrovers diskutiert (imago stock&people)
    Adalbert Siniawski: "Eine Ära in der Popkultur geht zu Ende" - so lautet heute eine martialische Schlagzeile in der FAZ. Und auch viele andere Medien haben eine Art Nachruf geschrieben - auf den "Rolling Stone". Der Grund: Jann Wenner, der die Zeitschrift vor 50 Jahren mit 7.500 Dollar in der Hand gegründet hatte, will seine Anteile verkaufen. Im Alter von 71 Jahren will er die wichtigste Popkulturzeitschrift der Welt abgeben. Andreas Borcholte, Musikkritiker bei Spiegel Online, früher auch Autor bei der deutschen Ausgabe des "Rolling Stone", kommen diese Nachrufe verfrüht - oder ist es Aus mit dem "Rolling Stone"?
    Andreas Borcholte: Naja, also im Moment kann es ja sein, dass zum Beispiel "American Media", die ja auch schon "Us Weekly" und das "Man's Journal" gekauft haben, beides Rolling-Stone-Publikationen, die dem kleinen Verlag angehörten, den Wenner damals gegründet hat. Wenn die das zum Beispiel kaufen, die gehören einem Trump-Sympathisanten, dann kann das natürlich sein, dass es mit der liberalen Haltung des Blatts vorbei ist. Und dann müsste man schon davon sprechen, dass da eine Ära zu Ende geht, ja.
    "Wenner könnte Herausgeber bleiben"
    Siniawski: 49 Prozent wurden schon 2016 an das Singapurer Start-up BandLab Technologies verkauft. Es wird geführt von Kuok Meng Ru, dem Sohn des weltgrößten Palmöl-Händlers. Könnte dieser Investor der Retter sein, sollte er vielleicht aufstocken wollen, ähnlich wie Amazon-Gründer Jeff Bezos bei der "Washington Post"?
    Borcholte: Ja, und das wäre, glaube ich, auch die günstigste Lösung, dass jemand diese Anteile kauft, der keinen publizistischen Impetus hat, sondern einfach sagt, ähnlich wie Bezos, ihm ist daran gelegen, dass es die Marke weiter gibt und die auch genau so agieren kann wie sie immer agiert hat, sprich: publizistisch nicht eingreift. Das wäre für Wenner das Günstigste, dann könnte er Herausgeber bleiben und das Blatt so weiterführen, wie er es die letzten 50 Jahre auch getan hat.
    Siniawski: Eingestiegen ist der Investor 2016 - zwei Jahre zuvor musste der "Rolling Stone" einen tiefen Einschnitt verkraften. Grund war der Bericht über eine angebliche Massenvergewaltigung an einer Universität, die es aber nie gegeben hat. Die Recherchepraxis wurde infrage gestellt und das Magazin musste drei Millionen Dollar Entschädigung zahlen. War das der Anfang vom Niedergang der Zeitschrift?
    Borcholte: Das war sicherlich dumm. Ich glaube, die können sich beim "Rolling Stone" immer noch nicht erklären, wie das zustande kam. Drei Millionen ist natürlich eine sehr hohe Zahl, aber ich glaube, das ist letztlich nicht das, was dem Magazin das Genick bricht. Ich glaube, da sind andere Sachen entscheidender, nämlich andere Summen auch und die haben ja mit Anzeigenschwund zu tun und mit schwindender Relevanz von Musikmagazinen auch.
    Wir haben noch länger mit Andreas Borcholte gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    "Wir schreiben auch Verrisse"
    Siniawski: Sind Sie auch ein bisschen Schuld am Untergang? Kluge Pop-Kritik finde ich heutzutage kostenlos online, wie in ihrer "SpOn"-Kolumne "Abgehört".
    Borcholte: Haha, ja, vielen Dank. Ja, natürlich. Das Internet hat vieles, wenn nicht sogar alles, verändert. Und darauf muss sich Musikkritik einstellen. Und das gelingt eben manchen besser und eben manchen schlechter. Und das ist sicherlich für so ein Magazin wie "Rolling Stone", mit so einer langen Tradition, schwierig, da den richtigen Weg zu finden. Manche Entscheidungen waren sicherlich falsch, man konnte früher nicht absehen: Wie wichtig wird der Onlinebereich? Wie stärkt man das? Wie investiert man? Welche Themen setzt man? Das sind alles so Faktoren, die dann dazu führen, dass so ein Magazin dann auch an Bedeutung verlieren kann. Ich glaube, davor ist aber niemand gefeit. Also da muss man sich immer genau angucken: Wie verändern sich gerade Sachen? Und dann sehr flexibel sein.
    Siniawski: Und damit steht der "Rolling Stone" ja nicht alleine. Es gibt ja in der Musikpresse viele Blätter, die einstellen mussten, auch "De:Bug" zum Beispiel in Deutschland. Wenn nun diese etablierten Qualitätsmedien tatsächlich aussterben sollten – oder dramatisch kleiner werden sollten - und nur noch Musikblogs, Influencer und Pseudo-Journalisten bleiben - wo bleiben da die erfahrenen, kritischen Stimmen?
    Borcholte: Ja, das kann ein großes Problem werden, zumal Musikblogs, Influencer – das ist schwierig, weil da immer so eine große Nähe ist, auch zu den Konzernen oder Firmen, die da mit ihren Produkten dahinterstehen. Es geht ja um unabhängige Berichterstattung und da ist natürlich auch wichtig, dass ein Verlag dahintersteht hinter der Publikation, der sich auf publizistische Ideale beruft und sagt: Wir lassen uns nicht beeinflussen oder kaufen oder sonst wie als PR-Maschinerie missbrauchen.
    Siniawski: Wir schreiben auch Verrisse.
    Borcholte: Wir schreiben auch Verrisse, genau. Und wenn man sich das anschaut in der Musikkritik, auch in Deutschland im Moment, dann geht die Anzahl der wirklich kritischen Berichterstattung gerade schon auch zurück.
    "Das absolute Erfolgsrezept"
    Siniawski: Der "Rolling Stone", Sie sagen es, hat ein eigenes Markenzeichen geschaffen, Poltiker waren regelmäßig "On The Cover of The Rolling Stone", um einen Song von Dr. Hook & the Medicine Show zu zitieren. Barrack Obama oder neulich auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau, mit der Schlagzeile: "Warum kann er nicht unser Präsident sein?" Dieses Blatt war schon immer ein Stachel im Fleisch der Konservativen. Dieser weite Pop-Begriff, den die deutschen Musikmagazine vielleicht nicht ganz so verfolgen, war das ein Erfolgsrezept oder ein Verhängnis für das Blatt?
    Borcholte: Nein, ich glaube, das war das absolute Erfolgsrezept. Ich glaube, dass der "Rolling Stone" als reines Musikmagazin niemals so erfolgreich geworden wäre. Es waren tatsächlich ja auch dann die Autoren, die das Blatt geprägt haben, gerade in den 70ern, Joe Eszterhas, Joe Klein, jetzt zum Schluss Matt Taibbi, der eben die ganzen großen Enthüllungsgeschichten, auch über Goldman Sachs zuletzt, geschrieben hat, das war immer das Salz in der Suppe. Das war immer das, was den "Rolling Stone" hervorgehoben hat aus dieser Nische Popkultur oder Popmusikberichterstattung.
    Siniawski: Und "Rolling Stone"-Gründer Jann Wenner ist jetzt 71 Jahre alt, das Heft wird am 9. November 50. Auf welche Lebensleistung kann er zurückblicken?
    Borcholte: Er hat es geschafft, ein politisches Magazin aus der Popkultur heraus zu erschaffen, aus einem popkulturellen Ansatz. Und zwar mit den Autoren, Sie haben Hunter S. Thompson genannt. Er hat andere journalistische Formen befördert, Gonzo-Journalismus, New Journalism von Tom Wolfe. Er hat ein liberales Medium geschaffen, abseits der großen etablierten Medien. Und er hat natürlich Ikonen geschaffen, Annie Leibovitz, die Fotografin, Herb Ritts, Anton Corbijn. Das sind alles Leute, die durch den "Rolling Stone" groß geworden sind. Es gibt Dutzende Cover, das sind Ikonen der Popmusik. Alleine das John Lennon/Yoko Ono-Cover, wo die beiden nackt nebeneinander liegen, Charles Manson war auf dem Cover, der Boston-Marathon-Attentäter war auf dem Cover - hochkontrovers. Also das ist eine Lebensleistung. Er hat ein Instrument der Gegenkultur sozusagen in den Mainstream geführt.
    Siniawski: Andreas Borcholte - Musikkritiker bei Spiegel Online, früherer Autor der deutschen Ausgabe des "Rolling Stone" - vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.