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Verkehr
Alkohol am Steuer in Polen

Bei 0,2 Prozent liegt die Promillegrenze für Alkohol in Polen. Doch Alkohol am Steuer gilt vielerorts als Kavaliersdelikt. Die Auswirkungen dieser Art Toleranz mussten beim Jahreswechsel sechs Menschen in Polen mit dem Leben bezahlen - sie wurden Opfer eines volltrunkenen Autofahrers.

Von Florian Kellermann | 03.01.2014
    Rettungskräfte an einer Unfallstelle im polnischen Kamien Pomorski: Ein vermutlich betrunkener Autofahrer war dort in der Silvesternacht in eine Gruppe Fußgänger gerast.
    Rettungskräfte an der Unfallstelle im polnischen Kamien Pomorski (picture alliance / dpa / Marcin Bielecki)
    Schreckliche Bilder prägten zu Beginn des neuen Jahres die polnischen Medien: die von Sanitätern, von aufgebahrten Toten und von einem roten, auf dem Dach liegenden Auto. Mit mindestens 100 Stundenkilometern soll der Fahrer in der Kleinstadt Kamien Pomorski an der Ostsee in eine Gruppe von acht Spaziergängern gerast sein, sechs von ihnen starben. Die Polizei habe einen Alkoholgehalt von zwei Promille im Blut des Fahrers festgestellt, außerdem Amphetamine, sagte Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz:
    "Ich bin erschüttert, genauso geht es der ganzen Polizei, schließlich war eines der Opfer ein Polizist, der mit seiner Familie unterwegs war. Wir kämpfen seit vielen Jahren gegen Trunkenheit am Steuer, aber das Problem scheint mir zu sein, dass es eine gesellschaftliche Akzeptanz für solches Verhalten gibt."
    Insgesamt starben an Silvester und Neujahr 22 Menschen auf polnischen Straßen, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Allein in der Nacht des Jahreswechsels hielt die Polizei 421 betrunkene Fahrer an.
    Kommentatoren hoben hervor, dass viele von ihnen schon früher wegen Alkohol am Steuer angeklagt wurden, so auch der 29-Jährige, der durch das Städtchen Kamien Pomorski gerast war.
    Die Regierung müsse handeln, erklärte Mariusz Blaszczak, Fraktionsvorsitzender der Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS.
    "Wir haben schon vor über einem Jahr gefordert, dass die Strafen für solche Verkehrssünder erhöht werden. Wer für eine Tragödie wie die in Kamien Pomorski verantwortlich ist, sollte mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden können. Wir haben dieses Gesetzesprojekt längst ins Parlament eingebracht, ich werde nun der Vorsitzenden schreiben, dass sie es sofort auf die Tagesordnung setzt, das ist äußerst wichtig."
    Doch damit sind längst nicht alle Politiker und Experten einverstanden. Schon jetzt sind die möglichen Strafen bei Verkehrsunfällen in Polen höher als in vielen anderen Ländern. Bei mehreren Todesopfern drohen zwölf Jahre Gefängnis, in Verbindung mit Trunkenheit am Steuer sogar 15 Jahre.
    Harte Strafandrohung mit wenig Wirkung
    Die Androhung von Strafe sei nur dann sinnvoll, wenn die Bürger auch davon ausgehen, dass sie erwischt werden können, sagt die Verkehrspsychologin Ewa Tokarczyk:
    "Umfragen zeigen, dass nur 40 Prozent mit einer Polizeikontrolle rechnen. Wir müssen also mehr Autofahrer überprüfen."
    Noch wichtiger sei es, die ganze Gesellschaft für das Problem zu sensibilisieren, so Ewa Tokarczyk:
    "Viele wissen einfach nicht, wie man einen Betrunkenen vom Autofahren abhält. Sie probieren es und scheitern. Aber das kann man lernen. Ein wichtiges Stichwort hier ist Durchsetzungsvermögen, das einfach bei vielen fehlt."
    Die Gesellschaft müsse ermuntert werden einzugreifen, findet auch Lukasz Hojniak, Verkehrsrechtsexperte der Universität Warschau:
    "Selbst wenn der Betroffene ein Verwandter ist oder ein Freund, müssen wir ihn hindern zu fahren und notfalls die Polizei anrufen. Für alle muss klar sein, dass der Anrufer richtig handelt - und der Betrunkene falsch."
    Die Oppositionspartei "Bündnis der demokratischen Linken", kurz SLD, fordert nun sogar einen speziellen Paragrafen für Beifahrer: Auch sie sollen bestraft werden können, wenn sie bei einem Betrunkenen einsteigen. Bisher ist das nur in Ausnahmefällen möglich.