Ein positives Beispiel wie logistische Schwierigkeiten gelöst wurden, sei die Situation an der deutsch-polnischen Grenze, sagte der CSU-Politiker. Hier habe man zähe Verhandlungen mit dem polnischen Nachbarn geführt, um ein Ende der Staus herbeizuführen.
"Es sind Extremsituationen"
Angesprochen auf Fernsehbilder von vollen Fliegern, in denen die Passagiere direkt nebeneinander sitzen und nicht den gebotenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einhalten, entgegnete Scheuer: "Wir sind täglich im Kontakt mit der Luftverkehrswirtschaft, um volle Urlaubsflüge zu entzerren und einen Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Es sind halt Extremsituationen", sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk.
"Ich bin überzeugt, dass sich die Welt und die Gesellschaft in Deutschland verändern werden", so Scheuer über die Folgen der Coronakrise. Man werde einen Schub der Digitalisierung erleben. Eine Diskussion über das Tempolimit solle man aber nicht in diese Debatte hineindiskutieren.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Das Land ist jetzt weitgehend lahmgelegt. Worüber sorgt sich im Moment der für Mobilität zuständige Minister am meisten?
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Das Land ist jetzt weitgehend lahmgelegt. Worüber sorgt sich im Moment der für Mobilität zuständige Minister am meisten?
Scheuer: Natürlich die ganze Grunddebatte, die ausgelöst ist mit den Beschlüssen, die wir im Kabinett haben. Das ist die eine Seite, wie Sie richtig im Gespräch davor festgestellt haben, eine einzigartige Situation auch in der Schnelligkeit und in der Wucht der Hilfspakete.
Und ganz konkret bei mir ist es natürlich die stabile Grundversorgung, die wir gewährleisten wollen, nicht nur, was den Bahnverkehr betrifft, sondern auch die logistischen Abläufe bei der Luftfracht, bei dem Transport über die Schiene, aber natürlich auch einen ganz großen Schwerpunkt bietet die Logistik im LKW-Bereich. Alle Verkehrsträger mit dem Ziel, ungehinderter Warenverkehr, gute Versorgung für Deutschland und natürlich auch eine stabile Grundversorgung.
"Die Brummifahrer machen gerade einen ziemlich harten Job"
Schulz: Herr Scheuer, da haben jetzt viele Deutsche, die nach dem Krieg geboren wurden, in den letzten Tagen zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass sie in Supermärkten leere Regale gesehen haben. Wie passt das zu der Aussage, die wir jetzt immer wieder gehört haben, dass es keine Lieferengpässe gibt?
Scheuer: Wir gehen ganz strategisch heran. Denken Sie sich einfach eine Deutschlandkarte mit vielen Kennzeichnungen, wo Logistikzentren sind von Lebensmittelhändlern und Discountern. Ich habe mit verschiedenen Gruppen in der Wirtschaft Gesprächskreise gebildet, auch mit den Lebensmittelhändlern und Discountern. Wir testen überall ab, wo es möglicherweise im Vorlauf zum Logistikzentrum, aber dann auch im Werksverkehr zwischen Logistikzentrum und Filiale zu Engpässen kommt.
Wir haben letzte Woche beispielsweise die Riesendebatte über die Staus an der polnischen Grenze gehabt. Da haben wir zäh verhandelt mit unseren Nachbarn und die Staus dann letztendlich weg bekommen. Diese ganz praktischen Fragen!
Ich habe einen Gesprächskreis mit der Deutschen Bahn. Ich habe einen Gesprächskreis mit der Luftverkehrswirtschaft, mit den Logistikern, mit denen, die im LKW-Bereich ganz viel leisten. Ich weiß, dass die Brummifahrer brutal unter Druck sind, und gestern beispielsweise haben wir mit den ganzen Rasthöfen, Autohöfen, auch mit den Bundesländern, was die WC-Anlagen betrifft, gesprochen, damit diese Versorgung aufrecht erhalten wird, weil die Brummifahrer müssen sich ja irgendwo auch ausruhen. Die machen gerade einen ziemlich harten Job.
Schulz: Und es gibt natürlich auch große Unsicherheiten durch die Grenzschließungen. Das ist ja nun alles andere als europäisch koordiniert gelaufen. Es gab in der vergangenen Woche die Warnung des spanischen Obst- und Gemüsehändlers Iberia, darüber berichtet der "Spiegel" – ein Händler, der auch viele Supermärkte in Deutschland beliefert -, es würden Fahrer fehlen, weil überhaupt keiner Lust auf diese Unsicherheiten an der Grenze hat, auf diese Steherei, diese Situation, die Sie auch gerade schildern. Wie eng wird das?
Scheuer: Ja, diese Meldung haben wir von diesem Früchtehändler auch. Wir gehen dem allen nach. Natürlich, die Grenzen sind immer auch Schnittpunkte. Wir haben bei der EU-Verkehrsministerkonferenz, sage ich mal, nicht so bahnbrechende Beschlüsse gefasst. Da muss Europa an Tempo zulegen.
Schulz: Das ist ein schönes Bild vom Verkehrsminister.
Scheuer: Ja, wirklich an Tempo zulegen. Die Grenzüberschreitenden Verkehre sind in der Tat das Problem. Ich bin mit all meinen europäischen Nachbarministern in Gesprächen. Wir stellen fest, dass wir ohnehin beim LKW-Personal, bei den Fahrern über lange Jahre schon Fahrermangel haben, Fachkräftemangel haben. Da stemmen wir uns mit den Verbänden, mit den Logistikverbänden schon heftig über Jahre jetzt dagegen.
Hintergrund ist: Wir stellen ja fest jetzt in Deutschland, dass die Automobillogistik reduziert wird. Die, die Autos fahren aus den Werken raus, diese Fahrer wollen wir jetzt nutzen in einem Netzwerk, in einem Tool, das wir gemacht haben mit den Verbänden zusammen, um sie einzusetzen in der beispielsweise Versorgungslogistik.
addonHDE-Geschäftsführer Genth - "Die Warenversorgung ist absolut sichergestellt"Die Warenproduktion in der Lebensmittelindustrie sei sichergestellt, sagt Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland. Es handele sich um reine Logistikprobleme.
Schulz: Herr Scheuer, lassen sie uns herübergehen zum Flugverkehr. Wir haben noch eine Menge Themen auf der Agenda. Wir hatten aus der vergangenen Woche ja die Ankündigung von der Lufthansa, dass 95 Prozent der Flüge für diese Woche gecancelt werden. Aber bei den Flügen, die noch gehen, da scheint ja alles zu sein wie immer. Das "Heute"-Journal hat gestern Bilder gezeigt aus einer Lufthansa-Maschine, ein Inlandsflug: Alle Plätze besetzt, alle ganz eng beim Rausholen des Gepäcks. Warum ist das so?
Scheuer: Wir haben bei den Flughäfen und bei den Airlines einen Einbruch um 95 Prozent. Ich kenne eigentlich nur noch eine Airline, die fliegt; das ist die Lufthansa. Der Rest steht schon komplett am Boden.
"Aber wir sind in einer Extremsituation"
Schulz: Aber erklären Sie uns, warum es möglich ist, dass die Leute da so eng an eng sitzen, während das ganze Land Abstand nimmt.
Scheuer: Das haben wir schon mit allen Beteiligten der Luftverkehrswirtschaft besprochen, dass zum Beispiel die Situation an den Bussen, die zum Flugzeug kommen, oder auch die Leute, die abtransportiert werden, dass man mehr Busse einsetzt, dass höherer Abstand ist. Wir sind täglich im Kontakt mit der Luftverkehrswirtschaft, genau die beispielsweise Urlaubsflüge, die proppenvoll sind, so zu entzerren, dass es einen Gesundheitsschutz gibt.
Es gibt ja auch die Aussteigerkarte, wo man genau seine Daten hinterlegt, aber auch Infoblätter, die überarbeiten wir jetzt auch noch mal. Es sind halt Extremsituationen. Wenn ich mal feststelle, dass allein der Flugverkehr dramatisch eingebrochen ist, dann sind die Flieger, die wir haben, in Ausnahmesituationen.
Es wird mir aber ganz was anderes gemeldet. Wir haben beim Bahnverkehr einen Einbruch von 75 bis 80 Prozent und auch beim Flugverkehr, was die Passagiere betrifft. Das sind dann Extremsituationen, die wir wissen, die wir kennen, aber wo wir natürlich auch dafür sorgen müssen mit dem Bordpersonal, dass dann die Möglichkeiten des Gesundheitsschutzes alle eingehalten werden. Aber wir sind in einer Extremsituation.
Schulz: Das wäre, glaube ich, für die Hörer noch mal interessant zu hören, wie Sie dafür sorgen, nachdem das Bilder sind aus einem Land, in dem es im Moment nicht erlaubt ist, dass sich mehr als zwei Menschen auf der Straße treffen.
"Ich bin überzeugt, dass sich die Welt verändern wird"
Scheuer: Ja, die Bilder, das weiß ich, die kursieren. Aber bei vielen Nachrecherchen kommen wir darauf, dass die Bilder nicht immer zum Datum stimmen. Ich will da nichts Falsches in die Welt setzen. Wenn wir solche Fälle haben, dann besprechen wir das mit der Luftverkehrswirtschaft.
Aber trotzdem, ich sage mal: Wenn wir alles versuchen, dass wir die Situation entzerren in den Bussen, in den Kabinen der Flugzeuge, klar, wir haben auch Urlaubsflüge, die voll sind und wo wir natürlich die Passagiere schon seit Wochen informieren, dass sie erstens selbst in Quarantäne gehen sollen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie in Deutschland sind, wie sie kontrolliert werden vom Gesundheitsamt vor Ort, beispielsweise in Frankfurt, wie sie kontrolliert werden von der Bundespolizei. Diese Kette haben wir immer auch besprochen über die Ministerien hinweg. Aber wie gesagt: Extremsituationen!
Schulz: Jetzt haben wir nicht mehr viel Zeit, aber eine Frage muss ich noch los werden. Wir stecken jetzt im Moment in der akuten Krisensituation. Wir sprechen jetzt ganz viel über Verzicht. Wir sprechen darüber, dass Mobilität weitgehend ruht. Wenn das alles hier vorbei ist, wird unser Blick auf Mobilität in Deutschland dann möglicherweise ein anderer sein? Werden wir dann sagen, okay, wir können uns ein Tempolimit vorstellen, okay, wir können es uns vorstellen, nicht mehr übers Wochenende nach Barcelona zu fliegen?
Scheuer: Ich bin überzeugt, dass sich die Welt verändern wird, dass sich die Gesellschaft auch in Deutschland verändern wird. Was wir jetzt machen ist, Verlangsamen und Stützen. Stützen – das haben wir gestern besprochen und beschlossen mit den Hilfspaketen. Und Verlangsamen, was die komplette Situation betrifft. Dass Deutschland richtig handelt, sieht man ja an den verschiedenen Ländern. Boris Johnson musste jetzt auch erheblich härtere Maßnahmen ergreifen. Natürlich werden wir einen Schub der Digitalisierung erleben in ungeahntem Ausmaß. So hätte ich mir das vor drei Wochen oder noch ein paar Monaten nicht vorstellen können. Es werden sich die logistischen Abläufe verändern, ja, und wir haben auch eine andere Debatte. Aber jetzt das Tempolimit in diese große Debatte hineinzudiskutieren, das wäre doch ein bisschen einfach.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.