Das 9-Euro-Ticket wird im Sommer vorübergehend eingeführt. Mit dem Ticket können der Nahverkehr und Regionalzüge in ganz Deutschland genutzt werden. Kritik gibt es unter anderem, weil das Ticket nur für drei Monate eingeführt wird und Länder und Kommunen mit der Umsetzung des Plans alleingelassen würden. Bremens Umweltsenatorin Schaefer machte deutlich, dass es eine logistische Herausforderung sei, das Ticketing bis zum 1. Juni auf den Weg zu bringen. Der Bund finanziert den niedrigen Preis mit 2,5 Milliarden Euro, die Umsetzung sollen Länder und Kommunen aber selbstständig organisieren.
Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Herr Minister, 9 Euro für Bahn und Bus, aber nur für drei Monate. Welchen Sinn ergibt das?
Volker Wissing: Wir wollen den Fokus auf den ÖPNV legen. Wir wollen einen Anreiz zum Energiesparen setzen. Und wir wollen, dass diejenigen, die den ÖPNV noch nicht kennen, zu einem sehr günstigen Tarif ihn jetzt mal ausprobieren können.
Heinemann: Wer steigt wegen drei günstiger Monate dauerhaft auf Bahn und Bus um?
Wissing: Alle, die diesen Anreiz nutzen wollen, die energiefreundlich und klimafreundlich mobil sein wollen.
"Wir haben eine einmalige Aktion, die einen Feldversuch darstellt"
Heinemann: Und danach kostet bei uns in Köln das Monatsticket wieder 87,20 Euro.
Wissing: Die Preisgestaltung ist nicht Sache des Bundes. Wir haben jetzt eine einmalige Aktion, die einen Feldversuch darstellt. Wir können dann am Ende auch die Daten analysieren und wissen genau, was müssen wir verbessern, um Menschen auf den ÖPNV umsteigen zu lassen.
Heinemann: Danach ist es wieder genauso teuer wie vorher und das Angebot ist auch nicht besser. Wo ist der Anreiz zum Umstieg?
Wissing: Der Anreiz zum Umstieg besteht darin, Energie zu sparen, für einen niedrigen Preis einsteigen zu können. Diesmal kann man auch deutschlandweit damit fahren. Das heißt, die Geltung ist nicht nur im eigenen Tarifverbund. Und das macht den ÖPNV attraktiv. Wir diskutieren seit Jahren darüber, ob der Preis zu hoch ist. Jetzt machen wir einen Versuch und testen, ob ein niedriger Preis zum Umstieg führt.
Kommunen fühlen sich bei der Umsetzung alleingelassen
Heinemann: Deutschlandweit allerdings nur in Nahverkehrszügen. Das muss man noch dazusagen. – Herr Wissing, wir wollen uns anhören, was Markus Lewe (CDU), der Präsident des Deutschen Städtetages, bei uns im Deutschlandfunk zum 9-Euro-Ticket gesagt hat.
O-Ton Markus Lewe: "Ich würde es, wenn man es überhaupt machen will, verknüpfen mit einer Kampagne, einem größeren Wurf oder einem langfristigen Einsteigerangebot. Im Übrigen ist es natürlich auch ein erheblicher technischer Aufwand, den die Städte treffen müssen, denn wir müssen die Fahrkartenautomaten kurzfristig umstellen. Wir müssen neue Ticket-Designs entwickeln. Wir müssen vor allen Dingen bei den Bestandskunden die ganzen laufenden Jahreskarten-, Monatskarten-Abonnements, Semestertickets, Jobtickets, Sozialtickets und so weiter umstellen, damit diese Rabattierung auch bei allen ankommt. Und das schlimmste ist: Es ist eine Insellösung. Was ist eigentlich danach? Danach ist keine Entlastung mehr erkennbar und danach beginnt die Nachsommerferienzeit, wo immer auch viele Aktivitäten darüber hinaus stattfinden, und das wird dann möglicherweise einen noch viel größeren Frust auslösen."
Heinemann: Herr Wissing, hätten Sie vielleicht vorher besser mal mit den Kommunen über die Idee sprechen sollen?
Wissing: Nein, ich teile das, was er sagt. Wir sollten auch wirklich eine Kampagne machen und ich würde alle einladen und motivieren wollen, jetzt sich zu überlegen, wie diese Kampagne aussieht. Das sollten die Länder machen, gemeinsam mit den Verkehrsunternehmen, den Kommunen, und insofern hat er recht. Was ich nicht teile ist, Bedenken dagegen jetzt zu suchen, sondern ich glaube, wir sollten das als riesen Chance sehen. Wir diskutieren seit Jahren, dass wir mehr für den ÖPNV tun wollen. Jetzt nimmt der Bund Milliarden in die Hand. Wo ist das Problem!
Wissing: Zahl der dauerhaften Nutzer soll erhöht werden
Heinemann: Weil es nur kurzfristig ist. Ist das Leben ab September denn wieder preiswert?
Wissing: Wir hoffen ja, dass diejenigen, die umsteigen, begeistert sind vom ÖPNV. Die Verkehrsunternehmen, die Länder, die Kommunen sollten etwas selbstbewusster sein, denn wenn man die Leute erst mal motiviert hat, umzusteigen auf das Angebot, dann wird man sie möglicherweise, wenn das Angebot stimmt, dauerhaft für den ÖPNV gewinnen. Das ist ja auch das Ziel, die Zahl der dauerhaften Nutzer zu erhöhen.
Heinemann: Für drei Monate müssen jetzt die Verkehrsgesellschaften für die Bestandskundschaft die Rabatte auszahlen. Wie bürokratisch ist das denn?
Wissing: Ich würde das unbürokratisch erledigen und würde auch ein Online-Ticket anbieten. Das habe ich empfohlen und ich glaube, es wird auch so stattfinden. Der zuständige Verkehrsverband hat auch gesagt, ein Online-Ticket ist eine gute Sache, und ich sehe nicht den bürokratischen Aufwand, der nicht zu bewältigen wäre.
Abonnenten und Abonnentinnen bekommen Geld zurück
Heinemann: Es gibt doch Leute, die jetzt schon eine Monatsfahrkarte haben, die deutlich teurer ist.
Wissing: Ja! Die bekommen die Differenz erstattet zwischen den neun Euro und dem bezahlten Abo-Preis, so dass die Abonnenten sich nicht schlechterstellen als diejenigen, die ein Neun-Euro-Ticket für nur einen Monat erwerben.
Heinemann: Und diese Erstattung für drei Monate ist nicht bürokratisch?
Wissing: Das ist eine Rücküberweisung und ein leistbarer Aufwand, denke ich.
Heinemann: Herr Minister, die Bundesländer haben für die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs einen Bedarf von 5,6 Milliarden Euro angemeldet. Sie möchten aber nur 3,7 Milliarden zahlen. Wäre das Geld dort nicht besser eingesetzt, anstatt Benzin und Diesel zu subventionieren, und zwar mit der Gießkanne, das heißt auch für reiche Leute?
Wissing: Nein. Die Forderungen der Länder zur allgemeinen Erhöhung der Regionalisierungsmittel haben mit dem 9-Euro-Ticket nichts zu tun. Das was wir jetzt in dem Regionalisierungsgesetz vorsehen ist die vollständige Erstattung der Einnahmeausfälle durch das 9-Euro-Ticket in Höhe von 2,5 Milliarden, und zusätzlich erstatten wir den Ländern auch noch die pandemiebedingten Ticket-Einnahmeausfälle zur Hälfte, so wie es vereinbart war, so dass das ein großes Paket ist und dem entspricht, was der Bund zugesagt hat. Dass die Länder gerne dauerhaft weitere Mittel des Bundes hätten, um den ÖPNV zu finanzieren, weiß ich. Darüber sprechen wir an anderer Stelle.
Auch die Mineralölsteuer wird gesenkt
Heinemann: Wie kann für 3,7 Milliarden Euro zusätzlich das Angebot für Bahn und Busse verbessert werden, wenn ein großer Teil dieses Geldes für die höheren Energiekosten draufgeht?
Wissing: Dieses Geld wird gebraucht, um dieses 9-Euro-Ticket zu finanzieren und die pandemiebedingten Einnahmeausfälle auszugleichen. Was die gestiegenen Energiekosten angeht, da haben wir in dem Paket ja etwas drin: zum einen die Absenkung der Mineralölsteuer für drei Monate. Wie das für alle Bürgerinnen und Bürger gilt, gilt das natürlich auch für die Verkehrsunternehmen. Und gleichzeitig die Abschaffung der EEG-Umlage, von der die Bürgerinnen und Bürger dauerhaft profitieren, aber auch die Verkehrsunternehmen. Insofern wird zusätzlich zu den 3,7 Milliarden Euro auch noch für die ÖPNV-Unternehmen eine Entlastung im Energiebereich finanziert.
Strukturreformen und Finanzierung
Heinemann: Herr Wissing, Sie haben Post bekommen. Die Bremer Umwelt- und Mobilitätssenatorin Maike Schäfer hat Ihnen einen Brief geschrieben und gesagt, mit Ihrer Verkehrspolitik haben die Verkehrsbetriebe nur die Möglichkeit, entweder die Preise zu erhöhen, oder das Angebot zu senken. Was ist Ihnen lieber?
Wissing: Das hat man mir geschrieben. Ich kenne die Diskussion auch in der Verkehrsministerkonferenz. Letztlich ist es aber so, dass der Bund bereits über zehn Milliarden Euro im Jahr für den ÖPNV bezahlt, obwohl die Länder für den ÖPNV zuständig sind. Jetzt hat man vereinbart, dass diese Regionalisierungsmittel kontinuierlich ansteigen, und darüber sind die Länder zunächst zufrieden gewesen. Jetzt gibt es weitergehende Forderungen.
Wir haben dann gesagt, lasst uns gemeinsam darüber sprechen, welche Strukturreformen wir im ÖPNV brauchen. Wo können wir etwas verbessern, das Angebot verbessern? Es ist ja nicht so einfach, dass man sagt, wenn man mehr Geld in die Hand nimmt, wird alles besser. Das kennt jeder aus dem Alltag. Man muss manchmal auch Strukturreformen voranbringen, etwa digitale Ticket-Angebote, integrierte Tarife. All diese Dinge müssen besprochen werden. Dafür gibt es eine Arbeitsgruppe, die eingesetzt worden ist auf meine Anregung und die bis zur Herbstkonferenz der Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der Länder ein Ergebnis vorlegen will. Darauf bin ich sehr gespannt.
Wissing: Einen Anreiz für den Umstieg auf ÖPNV setzen
Heinemann: Herr Wissing, ein Gutachten des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen besagt: Um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen, seien von 2023 bis 2030 rund 45 Milliarden Euro notwendig. Wie passen Ihre Almosen zum Bedarf?
Wissing: Zunächst einmal möchte ich zurückweisen, dass 3,7 Milliarden Euro Almosen seien. Das ist eine riesen Summe, die der Bund hier in die Hand nimmt, um das zu tun, was seit Jahren gefordert wird, einen Anreiz zu setzen, vom Individualverkehr auf den ÖPNV umzusteigen. Und ich bin etwas irritiert, dass all diejenigen, die stärkere Umstiegsanreize auf den ÖPNV seit Jahren fordern, jetzt plötzlich genau diese Anreize in Frage stellen und schlechtreden. Wir sollten jetzt die Dinge, die wir den Bürgern die ganze Zeit gesagt haben, dass wir Anreize brauchen, den ÖPNV zu nutzen, bewerben und sollten sie auch mit Optimismus und Zuversicht in Angriff nehmen.
Heinemann: Und da reicht ein Drei-Monats-Rabatt?
Wissing: Der kostet immerhin zweieinhalb Milliarden Euro und wir werden am Ende dieser drei Monate wissen, was für eine Auswirkung die Preisgestaltung auf den Umstieg des ÖPNV hat. Das ist doch eine riesen Chance, diese Debatte über 365 Euro Tickets. Über was ist wichtiger, Preis oder Angebot, all diese Fragen mit einem deutschlandweiten Feldversuch mal zu beantworten.
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