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Verkehrspolitik der Bündnis/Grünen bedeutet keine Wende

    Gerner: Die Grünen sind dabei, ihr Verhältnis zum Auto neu zu definieren. Lange galten sie als die Anti-Auto-Partei schlechthin. Ob und inwiefern bei der jüngsten Kurs-Neubestimmung auch die stark angezogenen Benzinpreise eine Rolle spielen, das will ich gleich erörtern mit Jürgen Trittin, dem Bundesumweltminister. Zuvor eine kurze Nachfrage zu den Meldungen des gestrigen Tages, Herr Trittin, Stichwort Atomausstieg. Da hatte eine Zeitung getitelt, „Schröder übergeht Trittin bei geheimen Atomgesprächen“. Inzwischen ist das dementiert. Freuen kann Sie das trotzdem wohl nicht?

    Trittin: Wissen Sie, ich bin inzwischen höchst amüsiert über das, was da alles herumgeistert. Die Gespräche waren so geheim, dass weder von Seiten der Industrie noch von Herrn Schröder irgend Jemand sich daran erinnern konnte, dass sie stattgefunden haben. Es hat schlicht und ergreifend nichts stattgefunden. Das heißt, hier werden Nachrichten erfunden.

    Gerner: Aber trotz vieler Dementis – es ist ja nicht das erstemal, dass es solch eine Schlagzeile gab – bleibt nach Lektüre in diesem Fall ein Eindruck hängen, dass Schröder häufiger mit Energiekonzernen zusammensitzt als Sie?

    Trittin: Das ist leider falsch. Ich würde mir das wünschen, dass er es genauso oft tut, aber die letzten Gespräche, die sehr, sehr zäh gewesen sind, sind entweder auf Staatssekretärsebene oder von mir teilweise alleine, teilweise mit Herrn Müller geführt worden.

    Gerner: Sie sagen „zähe Gespräche“. Können Sie denn versprechen, dass es einen Ausstieg im Konsens geben wird?

    Trittin: Das wird dann die Schlußverhandlung ergeben.

    Gerner: Sie sind nach wie vor skeptisch?

    Trittin: Die Ergebnisse sind so wie sie sind und man wird sie dann endgültig beurteilen können, wenn sie schlußverhandelt sind.

    Gerner: Stimmt es, dass bis auf die Laufzeit so gut wie alles geklärt ist? Ist das der Knackpunkt?

    Trittin: Wir haben über die Gespräche vernünftigerweise Stillschweigen vereinbart, und daran halten wir uns auch alle.

    Gerner: Aber zu Ihrer prinzipiellen Position. Die Energiekonzerne streben eine Lösung um 35 Jahre an. Ist das mit Ihnen machbar?

    Trittin: Wir wollen hier zu einer Lösung kommen. Die Vorstellung, die die Bundesregierung hierzu vorgelegt hat, kennen Sie. Dort ist klar gesagt, dass für den Fall eines Dissenses man gut mit 30 Jahren hinkäme. Sie müßten mir erklären, was man dafür bekommt, wenn man über diese Zahl hinausgeht.

    Gerner: Wie viele AKWs werden denn noch vor der nächsten Bundestagswahl vermutlich vom Netz gehen, denn irgendeinen symbolischen Erfolg müssen die Grünen ja vorweisen?

    Trittin: Für den Fall eines Dissenses bei einer Befristung auf 30 Jahre wären dies keine. Für den Fall des Konsenses hängt es davon ab, inwieweit Betreiber ihre Flexibilität nutzen, um unrentable, heute nur noch aus politischen Gründen am Netz gehaltene Kraftwerke vom Netz nehmen ja oder nein.

    Gerner: Das heißt es kann auch herauskommen, dass vor der nächsten Bundestagswahl gar keine vom Netz gehen?

    Trittin: Vor Ergebnis der Verhandlungen können sie all diese Fragen, die Sie berechtigterweise stellen, nicht mit letzter Gewissheit beantworten.

    Gerner: Herr Trittin, die Grünen sind dabei, ihre Haltung zum Auto neu zu definieren. Ihr Parteikollege Rezzo Schlauch plädiert für eine neue Offenheit gegenüber dem Autofahren. Seit jeher gelten die Grünen als Anti-Auto-Partei. Warum jetzt dieses Wendemanöver?

    Trittin: Es ist kein Wendemanöver. Ich glaube, da wird schlicht und ergreifend aus der deutlich vorgetragenen Position der Grünen quasi vor dem Hintergrund von Vorurteilen gegen die Grünen daraus dann ein Wendemanöver. Ich bin ja schon länger in dieser Grünen-Partei. Einer der drei Gründungsvorsitzenden war damals ja schon bekennender Porsche-Fahrer. Das heißt, die Mickimaus-Diskussion über die Verkehrspolitik zu durchbrechen, die nach dem Motto stattfindet, die Grünen wollten in erster Linie das Autofahren/den Autofahrer verteufeln und bekämpfen, das ist Sinn der Vorstellungen, die Rezzo Schlauch dort vorgestellt hat.

    Gerner: Aber was war denn der Fünf-Mark-Benzinbeschluss von Magdeburg anders als die Verteufelung des Autofahrens?

    Trittin: Diese notwendige Anhebung der Treibstoffpreise ist kein Verbot des Autofahrens. Es geht hierbei darum, dort wo das Auto seine Rolle hat es zu benutzen, wenn man es denn benutzt es so zu benutzen, dass es effizient ist in der Verwendung der entsprechenden Ressource und dass es mit möglichst null Emissionen fährt.

    Gerner: Ja, aber wir sprechen zum Beispiel seit Jahren über das Drei-Liter-Auto. Großflächig fährt das kaum einer von uns. Jetzt ist sogar vom Wasserstoffauto die Rede. Das heißt es gibt wohl technische Konzepte, aber offenbar sind die Anreize für die Autoindustrie bisher zu gering, das umzusetzen?

    Trittin: Nicht der Anreiz für die Autoindustrie. Die Autoindustrie hat all diese Techniken zum Teil serienmäßig aufgelegt, Stichwort Drei-Liter-Auto. Das Problem für die Autoindustrie ist schlicht und ergreifend: sie werden sparsame Autos nur verkaufen können, wenn sparsame Autos am Markt auch tatsächlich erwartet werden. Solange eine entsprechende Aufrüstung eines Fahrzeuges mit entsprechenden Schalensitzen sehr viel billiger ist als der Erwerb eines energiesparenden Autos, solange werden sich die Kaufentscheidungen stärker an PS-Zahlen und weniger an Sparsamkeit orientieren.

    Gerner: Was kann es dort denn für staatliche Anreize geben, denn die Beschreibung alleine, die Sie gemacht haben, kann ja nicht reichen?

    Trittin: Die Frage staatlicher Anreize ist immer eine Frage, wo in Deutschland meines Erachtens ganz wenig zukunftsfähig gedacht wird. In Deutschland glaubt man eigentlich immer, wenn man etwas Neues an den Markt bringen wolle, dies ginge nur mit staatlichen Subventionen. Das ist Wirtschaftspolitik wenn nicht von vorgestern, dann zumindest von gestern. Nach unserer Auffassung geht es schlicht und ergreifend darum, dass am Markt Marktgesetze eingeführt werden müssen. Das heißt dann aber auch, dass die ökologischen Kosten von bestimmten Dingen sich in einem Preis ausdrücken müssen.

    Gerner: Aber der Markt hat es ja beim Drei-Liter-Auto nicht alleine richten können?

    Trittin: Ja, weil die Rahmenbedingungen nicht gestimmt haben. Diese Rahmenbedingungen verändern wir gerade durch die ökologische Steuerreform. Die Entwicklung über die Ökosteuer mit berechenbaren Anstiegen bei den Benzinpreisen wird den Markt für energiesparende Fahrzeuge – und das ist nicht nur das Drei-Liter-Auto; wir brauchen nicht einen Viertwagen als Drei-Liter-Auto, sondern wir müssen den Verbrauch in den Gesamtflotten reduzieren –, wird diesen Markt für solche energieeffizienten Fahrzeuge verbessern.

    Gerner: Bei der Ökosteuer sagen ja viele, die ist weder öko noch logisch, weil sie die Renten saniert, und viele fragen sich, warum müssen die Autofahrer, die nicht die ganze Bevölkerung sind, generell die Renten sanieren?

    Trittin: Die Frage des ökologischen Steuerungseffektes bezieht sich nicht auf die Verwendung des Geldes, eine völlig falsche Vorstellung. Die Ökosteuer war immer aufkommensneutral gedacht. Das heißt das, was eingezahlt wird, muß dem Bürger zurückgegeben werden. Das haben wir getan durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge, eine wichtige Hilfe für den Arbeitsmarkt. Die Lohnnebenkosten in Deutschland sind zu hoch. Der ökologische Effekt entsteht genau durch das, was wir hier gerade besprochen haben, nämlich durch eine schrittweise und kalkulierbare Verteuerung des Benzinpreises. Das ist der wirkliche Anreiz, sich bei einem Neuerwerb eines Fahrzeuges, übrigens auch bei einem Neuerwerb eines gebrauchten Fahrzeuges für sparsamere Modelle zu entscheiden.

    Gerner: Herr Trittin, diese neue Offenheit gegenüber dem Auto, wie wichtig ist die bei der Umstellung von der Opposition zur Regierungspartei, die Sie ja immer noch beschwören?

    Trittin: Ich glaube, was wir abräumen müssen sind die alten Vorurteile über die Grünen. Insofern war die sogenannte Kehrtwende, die Herr Schlauch dort vorgeführt hat, was im Grunde genommen nur noch mal die Popularisierung relativ alt bekannter grüner Verkehrspolitik gewesen ist, ein sinnvoller und hilfreicher Akt.

    Gerner: Ob das alte grüne Verkehrspolitik war, da habe ich doch meine Zweifel?

    Trittin: Sehen Sie, da unterscheiden wir uns. Ich kenne die Grünen-Programmatik. Das Problem der Grünen ist, dass sie ihre Programmatik gelegentlich nicht so kommunizieren wie sie ist. Sie ist in der Regel besser als das Zerrbild, was über die Grünen gemalt wird.

    Gerner: Wird die Basis Ihnen da folgen?

    Trittin: Ich glaube, dass die Grünen sehr genau wissen, dass eine Verkehrspolitik in Deutschland gegen das Auto eben keine Verkehrspolitik gewesen wäre. Auf der anderen Seite ist und bleibt richtig, dass wir relevante Verkehre, beispielsweise Güterverkehr auf die Schiene verlagern wollen. Deswegen führt die Bundesregierung im übrigen in dieser Wahlperiode noch eine entfernungsabhängige LKW-Gebühr für Autobahnen ein, eine entsprechende Maut. Auch hier ein Schritt, Anreiz zu stiften, Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern, vielleicht auch eine Hilfe für Autofahrer, die dann nicht mehr im Stau hinter so vielen Lastern stehen.

    Gerner: Es ist aber schon auffällig, auch wenn man auf Sie als Umweltminister schaut. Sie reden inzwischen Fahrverboten bei Sommersmog nicht mehr das Wort. Da ist nur noch von verbesserten Katalysatoren die Rede. Also auch da ein leichtes Umfallen der Grünen?

    Trittin: Für mich können Sie überhaupt gar keinen Umfallen reklamieren. Ich bin in diese Auseinandersetzung in der Erkenntnis gegangen, dass die geltende Sommersmog-Verordnung nicht taugt. Darin standen Fahrverbote; in Wirklichkeit konnte jeder fahren, so lustig es war.

    Gerner: Herr Trittin, Sie selbst haben keinen Führerschein, wenn ich richtig informiert bin?

    Trittin: Doch, einen Fahrradführerschein.

    Gerner: Keinen Autoführerschein. Stimmt das?

    Trittin: Ja, ich habe nur meinen Fahrradführerschein.

    Gerner: Und keinen Autoführerschein der Umwelt zur Liebe?

    Trittin: Nein, ich hatte nie die Gelegenheit, den Führerschein zu machen. Wenn ich Geld hatte, bin ich davon immer lieber in Urlaub gefahren.

    Gerner: Werden Sie da jetzt umdenken im Sinne Ihrer Partei?

    Trittin: Nein, ich habe es zur Zeit nicht nötig, ein Auto selber zu fahren. Das ist das Privileg eines Ministers.

    Gerner: Sie lassen sich fahren. – Der Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio