Jasper Barenberg: In der Abwägung zwischen Gesundheit und den Interessen der Dieselfahrer hat sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig für die Gesundheit entschieden und Fahrverbote dort möglich gemacht, wo Feinstaub und Stickoxide seit langem weit über den erlaubten Werten liegen. Hamburg könnte bald schon den Anfang machen. Wann aber und in welchem Ausmaß Fahrverbote in anderen Städten folgen werden, das ist noch unklar, ebenso, wann und wie kraftvoll eine nächste Bundesregierung das Thema aufgreifen wird.
Klar ist dagegen schon jetzt, dass gute Ideen für die Mobilität der Zukunft gerade in Städten jetzt gefragter sind denn je. Mit diesem Thema beschäftigt sich der Mobilitätsforscher Weert Canzler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Schönen guten Morgen, Herr Canzler.
Weert Canzler: Guten Morgen.
"Es sind zu viele Autos in den Innenstädten"
Barenberg: Geht es den Autos in den Innenstädten jetzt in Zukunft an den Kragen?
Canzler: Auf mittlere Sicht geht es den Autos - oder sagen wir mal so: Es sind einfach zu viele Autos in den Innenstädten. Und wenn wir über die Verkehrswende sprechen und jetzt nicht nur dieses Urteil, was ja im Moment alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern darüber reden, wie es denn längerfristig aussehen wird, dann werden wir mit weniger Autos in der Stadt auskommen. Das ist einfach so und hat zu tun mit Lebensqualität, hat zu tun mit Konkurrenz und knappem Raum und dass die Alternativen zum privaten Auto auch Platz brauchen. Das sind die großen Fragen, die auch hinter dieser aktuellen Diskussion um Feinstaub und Stickoxide stehen.
Barenberg: Wenn wir bei dieser aktuellen Diskussion noch einen Augenblick bleiben? Jetzt wird ja eingewandt, die Diesel werden nachgerüstet in den nächsten Jahren, es wird neue Modelle geben, die noch viel sauberer sind als bisher schon. Es kommen immer mehr E-Autos in Zukunft dazu und dann ist die Argumentation, dann löst sich das Problem mit der schlechten Luft, mit den Abgasen in ein paar Jahren doch von alleine.
Canzler: Na ja, man muss es schon auch politisch wollen und man muss die Weichen dafür stellen. Dazu gehört natürlich, das haben Sie schon angesprochen, dass wir mehr Elektromobilität brauchen. Erstens noch mal: Wir brauchen weniger Autos in der Stadt. Wir brauchen mehr Elektromobilität insbesondere bei denen, die dort viel unterwegs sind, zum Beispiel Lieferdienste und dergleichen. Und dann brauchen wir natürlich eine Stärkung der Verkehrsmittel, die überhaupt keine Schadstoffe emittieren, nämlich das Fahrradfahren und das zu Fuß gehen. Da geht es auch nicht nur um schlechte Luft; da geht es dann auch um Lärm. Da geht es dann auch darum, ob man sich gerne in der Stadt aufhält. Das sind ja eigentlich die Zukunftsfragen. Das mit der schlechten Luft ist ja nur, wenn man so will, eine Vorgabe, die übrigens schon seit 2010 als Richtlinie vorgegeben ist. Es geht ja um viel mehr!
"Die Autoindustrie ist ja sakrosankt"
Barenberg: Sie sagen es: Seit 2010 gibt es diese Grenzwerte, diese Richtwerte, und seitdem werden sie überschritten. Warum ist das eigentlich so spät jetzt der Politik erst aufgegangen, dass es da eine Unverträglichkeit gibt von der Entwicklung des Verkehrs auf der einen Seite und Gesundheitsschutz und Klimaschutz auf der anderen?
Canzler: Im Moment ist ein bisschen der Eindruck, als ob das ganz neu wäre. Die Diskussion ist Jahre alt. Das ist jetzt nur zugespitzt, weil das Bundesverwaltungsgericht die letzte Entscheidung getroffen hat. Aber die Auseinandersetzungen laufen in den Städten ganz konkret ja schon seit Jahren. Das hat natürlich was zu tun mit der besonderen Stellung der Autoindustrie. Die ist ja sakrosankt. Wir haben einen Dieselskandal, den man sich in keiner anderen Branche vorstellen könnte, ein systematisches Aushebeln von gesetzlichen Auflagen, und es ist nichts passiert.
Jetzt muss man, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre, einfordern, dass die Hersteller die Fahrzeuge nachrüsten. Es wird jetzt diskutiert über eine blaue Plakette, die aus meiner Sicht völlig selbstverständlich sein muss. Es muss doch ein Kennzeichen geben, welche Fahrzeuge schadstoffbelastend sind und welche nicht. Ich finde, da sind ein paar Sachen durcheinandergeraten, wo Selbstverständlichkeiten jetzt zu politischen Diskussionen stilisiert werden, wo man sich manchmal nur an den Kopf fasst.
Plädoyer fürs Fahrrad
Barenberg: Sie haben ja eine notwendige Strategie, aus Ihrer Sicht, angedeutet, nämlich: die Alternativen zum Auto müssen noch stärker gefördert werden. Da ist ja immer wieder davon die Rede, wir brauchen einen besseren öffentlichen Nahverkehr, mehr Linien, eine engere Taktung, Car Sharing, Leihfahrräder - Sie haben einiges angedeutet -, mehr Radwege. Ist das das Wichtigste, was jetzt für die nächsten Jahre in Angriff genommen werden muss, die Alternativen zum privaten Auto stärken?
Canzler: Ja, aus meiner Sicht sind das die wichtigsten Schritte, die jetzt kommen müssen. Das heißt, wir brauchen vor allen Dingen sichere, gute Verkehrsinfrastruktur für Fahrräder. Wir brauchen gute Abstellplätze auch zum Beispiel für Pedelecs, die ja für viele Pendler durchaus eine Alternative zum Auto sind. Wenn wir vernünftige Fahrradwege haben und dann auch die Möglichkeit, diese Fahrräder sicher abzustellen, wenn wir dann die Möglichkeit haben, in den Büros auch zu duschen, all diese Dinge, die zum Teil auch ganz kleine Schritte sind, die zusammen ergeben dann durchaus eine Attraktivität fürs Fahrradfahren.
Und wir wissen, dass 40 Prozent, sagt man, ungefähr aller Wege in der Stadt unter fünf Kilometer sind. Das sind ideale Fahrradwege. Nur viele trauen sich nicht aufs Fahrrad, weil sie sagen, das ist unsicher und dann hat man vielleicht eine unübersichtliche Kreuzungssituation, oder ich weiß nicht, wo ich das Rad abstellen soll. Da ist eine Menge zu tun.
"Ein guter öffentlicher Verkehr kostet"
Der ÖPNV muss besser werden. Das ist vor allen Dingen: zuverlässig muss er sein, die Taktung muss stimmen. Er kann dann übrigens auch nicht umsonst sein, sondern ein guter öffentlicher Verkehr kostet eben auch.
Das andere ist: Es geht natürlich letztlich auch um den öffentlichen Raum. Im Moment stehen private Autos im öffentlichen Raum herum, zahlen relativ wenig oder gar nichts dafür, blockieren diesen Raum, und wir werden jetzt in den nächsten Jahren eine verstärkte Auseinandersetzung darum haben, wer nutzt welchen öffentlichen Raum für welche Zwecke.
Barenberg: Wenn wir an die Liebe der Deutschen an das Auto denken und das Freiheitsgefühl, was viele damit verbinden, ist das realistisch, ein Park in einer Stadt, dort, wo bisher ein Parkplatz war?
Canzler: Ja, weil ich glaube auch, das mit der Liebe ist nicht mehr so weit hin. Natürlich gibt es immer noch Leute, die das klasse finden und die ein liebendes Verhältnis zum eigenen Auto haben. Aber für viele ist das doch ein Alltagsgegenstand. Für viele ist das auch Gewohnheit und auch oft alternativlos, zumindest subjektiv alternativlos. Aber die große Liebe - ich meine, das ist für viele auch Vergangenheit und Mythos.
Kritik an der privilegierten Stellung des Pkw
Barenberg: Aber eine Verhaltensänderung, das zum Schluss, Herr Canzler, muss es geben und die Kosten für Autonutzung in der Stadt müssen auch rasant steigen?
Canzler: Ja, vor allen Dingen für die Nutzung von öffentlichem Raum. Ich meine, es hat sich so als Gewohnheitsrecht herausgebildet, dass man das Auto abstellt oder irgendwie so einen symbolischen Beitrag zahlt, aber das ist eine private Nutzung. Für alle anderen privaten Nutzungen öffentlichen Raums müsste man eigentlich zahlen. Nur beim Auto hat sich das irgendwie so eingependelt und der Platz fehlt eben. Der fehlt nicht nur für Parks, sondern auch für Fahrradwege, für breite Fußgängermöglichkeiten. Das ist genau der Punkt, dass in den großen Städten wir ja knappen Raum haben, und wir haben noch gar nicht vom Wohnungsbau gesprochen.
Barenberg: Der Mobilitätsforscher Weert Canzler heute Morgen hier im Deutschlandfunk vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Danke für das Gespräch, Herr Canzler.
Canzler: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.