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Verkehrte Welt

Haben Sie als Rechtshänder schon einmal versucht, mit einem Linkshänderkorkenzieher eine Flasche zu öffnen? Lassen Sie es bleiben, denn banaler kann man nicht demonstrieren, dass sich Linkshänder in einer äußerst komplizierten Alltagswelt befinden. Hinzu kommen uralte Vorurteile von selbstgerechten Rechtshändern, die das Adjektiv links für ein Synonym von Verbrechen, Schuld und Unfähigkeit halten. Die Mär vom schönen und hässlichen Händchen ist auch ein Stück Kulturgeschichte. Linkshänder haben zwar viele Probleme, aber keine Lobby. Die Lange Nacht der Linkshänder will das für drei Stunden ändern. Kommen Sie mit in die Wunderwelt von links und rechts. Lauschen Sie den traurigen oder kuriosen Geschichten von Linkshändern, die zu Genies oder Bettnässern wurden, und hören Sie, was Hirn- und Affenforscher, was Pädagogen und Künstler zum Thema zu sagen haben, denn ‚lechts und rinks‘ – das wusste schon Ernst Jandl – ‚kann man nicht velwechsern‘.

Von Adolf Stock |
    „manche meinen
    lechts und rinks
    kann man nicht velwechsern
    werch ein illtum“

    Ernst Jandl


    Als Linkshänderin wird Johanna Barbara Sattler, Leiterin der Münchner Beratungsstelle für umgeschulte Linkshänder, noch immer von den Tücken des Alltags eingeholt.

    „Zum Beispiel war in der Süddeutschen Zeitung vor einiger Zeit eine ganz riesige Reklame von irgendeinem großen Autokonzern, da waren mehrere Hochhäuser dargestellt über zwei große Seiten und auf den Hochhäusern war so Reklame mit Buchstaben dargestellt. Ich bin davor gesessen und habe gedacht, so einen Quatsch haben die sich da wieder ausgedacht, das versteht man ja auch gar nicht. Bis ich nach einiger Zeit auf dem zweiten Blick gesehen habe, es war kein Quatsch, sondern es ging von links nach rechts diese Beschriftung und ich habe es von der anderen Seite versucht anzuschauen. Also mir ist das nicht offensichtlich gewesen, und wenn ich da nicht länger hingeschaut hätte, dann hätte ich das für so eine Werbung gesehen, die ich deswegen im Kopf behalten soll, weil man sie nicht vergisst, weil man sie nicht erklären kann. Das ist ja auch der Trick von vielen Filmen oder von Büchern, wo kein richtiges Ende ist und wo man dann weiter drüber nachdenkt. Für Kinder ist dieses Phänomen wichtig, weil manche dieser Kinder bei Bildgeschichten anfangen, auf der rechten Seite sich das anzuschauen, aber die Bildgeschichte fängt von links nach rechts an, und die verstehen die Bildgeschichte überhaupt nicht oder machen eine ganz andere Geschichte, als ihnen dann vorgelesen wird, weil sie sie andersherum aufbauen. Und ich denke, das ist etwas, was man auch als Pädagoge berücksichtigen sollte oder als Eltern, dass eben manchmal dem Kind ein Buch aus diesem Grund nicht gefällt.“

    Homepage von Barbara Sattler:
    Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder
    www.lefthander-consulting.orgHier können Sie eine Liste von Linkshändigkeitsberatern und -innen erhalten.
    Einige Tätigkeiten, die zur Händigkeitsbestimmung geeignet beziehungsweise ungeeignet sind – nach Barbara Sattler www.sinergo.de...
    Der Händigkeitstest von QuarksCo:
    www.quarks.de...
    www.linkshandnetzwerk.de
    linkshaendig-leben.de
    www.linkshaender-beratung.de/
    www.lefthandcorner.wtal.de/...

    Als Manfred Spiker vor drei Jahrzehnten in Berlin-Wedding einen Linkshänderladen eröffnet hatte, waren spöttischen Kommentare und Unverständnis an der Tagesordnung.

    „Na ja, also wer nun wirklich Linkshänder war und den Ernst der Stunde erkannt hat, der war schon zufrieden, dass er bei mir diese Artikel bekommt. Aber ich habe dann natürlich auch mein Schaufenster hier in der Badstraße auf Linkshandartikel eingestellt, habe die Sache schön dekoriert, und die Reaktion der Rechtshänder, die sich also gar nicht vorstellen können, was die Linkshänder für Probleme haben mit den Geräten, die haben vor dem Schaufenster gestanden und haben gesagt, och, was soll denn der Quatsch, und die haben die Sache gar nicht für so voll angenommen.
    Und viele kamen dann auch rein und wollten das kaufen, und dann mussten wir ihnen erklären, nein, das können sie als Rechtshänder nicht mitnehmen, das ist nur für Linkshänder gedacht, wollten sie partout nicht glauben und na ja, ich meine, Geschäft ist Geschäft, und ich habe dann auch manchmal was mitgehen lassen, wo ich darauf hingewiesen habe, dass die Schere nicht geht, aber die wollten unbedingt die Schere haben, und dann haben sie vielleicht zu Hause gemerkt, was es für Probleme gibt, und dann verstehen sie vielleicht die Linkshänder dann doch irgendwann mal.“

    In Arnold Stadler Roman „Sehnsucht“ erinnert sich der linkshändige Held an seine Jugendzeit und an das ältliche Fräulein Eiermann.
    „Noch die Erinnerung an Frau Eiermann ist eine Strafe für alles. Frau Eiermann, die Lehrerin, der wir alle, die Kinder waren, in einem Raum ausgesetzt waren und nichts als Schönschreiben übten; für einen Linkshänder noch ein zusätzlicher Versuch von Gehirnwäsche über die rechte Hand, so daß ich mich nur an einen Stock und die Tatzen erinnern kann, die ich auf die falsche Hand bekam, mit der ich Schönschreiben wollte.
    Ich kann mich nur an Schönschreiben und Tatzen erinnern. Vier Jahre lang Schönschreiben und Tatzen, dazu wahrscheinlich auch das kleine Einmaleins. Ich war ein Linkshänder, das ist die ganze Geschichte von vier Jahren, das war alles.“
    Detlef E. Linke, Professor für Neurologie an der Universität Bonn

    „Das ist so ein Joke, aber auf englischen Konferenzen sagt man dann manchmal ‚the Missing Linke, oder ‚Linke up‘, na das sind halt so Spielereien. Ansonsten unterscheidet man in der Medizin ja nicht bei Spezialisten zwischen linker Niere oder rechter Niere, nur auch ein Joke. Ansonsten spezialisiert man sich ja schon ein bisschen auf die beiden Hirnhälften, wenn man sich mit Sprache befasst, hat sich früher eher mehr mit der linken Hirnhälfte befasst, weil man von der Linguistik ausging, also wenn man grammatische Prozesse oder so was untersucht hat. Die rechte Hirnhälfte, so weiß man mittlerweile, ist aber auch an der Sprache beteiligt, an der Sprachmelodie, Witz, Ironie, Themenwechsel, und sie ist, wenn wir es ein bisschen pointieren wollte, eigentlich die kommunikative Hirnhälfte. Wenn man also die Sprache im weiten Sinne, also nicht in dem der Linguistik, fasst, im Sinne von Kommunikation, dann wäre eigentlich die rechte Hirnhälfte die dominante, weil wir mit ihr die Gesprächsführung bestimmen, wenn ein Thema gewechselt wird, wenn etwas ironisch mitgeteilt wird, oder so etwas, dann ist das eher die rechte Hirnhälfte und das sind ja eigentlich die entscheidenden Funktionen.
    ...Die Grammatik kommt ein bisschen später.“
    Detlef B. Linke
    Medientheorie, Hirnforschung und die Aufnahme der Türkei.
    Köln, Verlag der Buchhandlung Walther König, 2003
    Detlef B. Linke
    Das Gehirn.
    (Wissen). Beck'sche Reihe Bd.2121. 1999.
    Was lässt uns denken? Was sind Bewußtsein und Identität? Wie verarbeiten wir Informationen. Warum können wir eigentlich sprechen? Haben wir eine Seele? Welcher Art ist das Verhältnis von Körper und Denken? Fragen wie diese gehören nicht nur zu den ältesten der Menschheit, sondern überdies auch zu den besonders heftig diskutierten. Die Neurowissenschaften haben gerade in den letzten Jahren entscheidende Einsichten in den Aufbau und die Funktionen des Gehirns gewonnen. Dieses Buch gibt einen profunden Überblick über die faszinierenden Ergebnisse der neurobiologischen Forschung und erläutert ihre weitreichenden psychologischen und philosophischen Folgen.
    Detlef B. Linke
    Kunst und Gehirn.
    Die Eroberung des Unsichtbaren.
    rororo Taschenbücher Nr.60258. 2001

    In Detlef B. Linkes neuem Buch geht es um künstlerische Kreativität und das kreative Gehirn. Wie erzeugen Nervenzellen Bilder aus elektrischen Signalen? Wie arbeiten dabei linke und rechte Gehirnhälfte zusammen? Ist Genialität eine Hirnstörung? Wie entstehen in der visuellen Welt des Künstlers neue Bilder, die noch nie zuvor jemand gesehen hat? Ein Buch voller Geschichten von Menschen, bekannten wie van Gogh, Leonardo da Vinci oder Beuys und unbekannten wie dem Studenten, der sich im Selbstversuch auf Linkshändigkeit umstellen wollte.
    Prof. Volker Sommer Humanbiologe, Professor für evolutionäre Anthropologie an der University of London
    „Es ist ja so, dass unsere Hirnhemisphären, also die beiden Teile, aus denen das Gehirn besteht, unterschiedliche Spezialisationen haben, und man nennt das funktionelle Asymmetrie, dass heißt die linke Hemisphäre ist so ein bisschen mehr verantwortlich für die Verarbeitung von sequentiellen Informationen, und wenn man das auf gut deutsch sagt, dann heißt das eben für die Sprachverarbeitung.
    Und es war vielleicht so, das ist also eine Spekulation, dass ursprünglich die rechte Hand besonders stark im Dienste von kommunikativem Informationsaustausch stand. Und erst nachdem nun die rechte Hand gekoppelt ist mit der linken Hirnhemisphäre, die diese Funktion so schön ausgeübt hatte, hat sich bei der Entwicklung der Sprache auch das Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte festgesetzt. Und man nennt das die motorische Theorie der Sprachentstehung. Dass also nicht zuerst etwa in der linken Hirnhälfte so etwas wie symbolisches Denken da war, und dann hat man angefangen zu sprechen, sondern eben ganz anders, dass man mit der rechten Hand immer schön gezeigt hat, nun komm mal her, oder geh mal da hin und irgendwann hat dann die Sprachentwicklung in der linken Hirnhemisphäre ihre bessere Heimat gehabt.“

    Biologie des Menschen
    Hrsg. u. m. e. Einf. v. Volker Sommer. Verständliche Forschung.
    1996. -SPEKTRUM AKADEMISCHER VERLAG-
    Insgesamt ca. 20 – in „Spektrum der Wissenschaft“ erschienene – Artikel von renommierten Autoren zum Thema „Mensch“ wurden hier thematisch gegliedert und zu einem faszinierenden Werk zusammengetragen, das die Facetten menschlichen Lebens aufgreift, biologisch erklärt und diskutiert: von evolutionsbiologischen Perspektiven über die persönliche menschliche Entwicklung, Sozialverhalten, Sexualität bis Altern und Tod wird die Biologie des Menschen wissenschaftlich kompetent beleuchtet und in unterhaltsamer Art präsentiert.
    Volker Sommer
    Von Menschen und anderen Tieren.
    Essays zur Evolutionsbiologie.
    Edition Universitas. 2000. HIRZEL, STUTTGART

    Müssen Menschen heiraten? Wenn ja, warum eigentlich immer nur eine Frau auf einmal? Und müssen Menschen lügen? Sind es nur Menschen, die lügen? Ist Homosexualität „unnatürlich“? Woher kommt die Religion?
    Der Primatenforscher und Anthropologe Volker Sommer zeigt die evolutionsbiologischen Grundlagen unseres Verhaltens auf. Der Mensch hat keine „Sonderstellung“ in der Natur – aber was er aus seiner Natur macht, liegt in seiner eigenen Hand.

    Sten Nadolny, „Selim oder die Gabe der Rede“. Sein Romanheld Alexander ist Linkshänder und hat nur einen Wunsch: Er möchte ein großer Redner werden.

    „Alexander stand auf der Rosenheimer Innbrücke, blinzelte ins Schneetreiben und dachte darüber nach, wie er ein guter Redner werden könnte. Die Hindernisse kannte er nur allzu gut. Zum Beispiel durften einem, der reden wollte, nicht zu viele Gedanken gleichzeitig kommen. Aber war das zu verhindern? Wenn Alexander den Mund auftat, entstand in seinem Kopf eine Wirrheit, ein helles Gefitzel, eine gleißende Landschaft ohne Wegweiser. Oft fehlte zu einem Gegenstand, den er deutlich vor sich sah, der passende Ausdruck. Dann wieder schien der laut gesprochene Text einen inneren zu verfälschen, der den wahren Zusammenhang enthielt. Und nach dem Abitur war es auch nicht besser geworden.

    ‚Du hast ein Panorama vor Augen und willst es auf einen Schlag herausbringen‘, hatte der Musiklehrer gesagt. ‚Das geht nicht, du musst dich an die Einzelheiten halten – erst die eine, dann die andere!‘ Aber jedes Wort, mit dem er anfing, schien ihm falsch, jede Ermutigung machte ihn krank. Irgendwie begabt.

    Er wollte erforschen, wie man immer die nächstliegenden Worte fand und wie sich die Wahrheit überhaupt bewegte. Er sah auf den teiggrauen Fluss, aber der gab keine Antwort. Blicke, Fragen und die dicksten Schneeflocken versanken in ihm, als wären sie nie gewesen. Der war einfach da, immer schon, brauchte nichts zu werden, nichts zu können. Ein ungerührter und selbstverständlich dahin ziehender Gebirgsfluss mit drei Buchstaben.“
    Katja Lange-Müller lässt in ihrem Roman „Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei“ nicht nur eine linkshändige Schriftsetzerin erzählen, die wegen ihres Linkshänder-Daseins den Beruf verfehlt hat, sondern sie beschreibt auch noch einen Kollegen, der ein bemerkenswertes Schicksal hat.
    „Immer, so weit ich zurückdenken kann, fühlte ich mich einsam. aber nicht einfach bloß alleine, wie jeder manchmal, sondern eher das Gegenteil, mir fehlte kein fremder Mensch, nicht einmal ein anderer; ich war doppelt und gleichzeitig einer zu wenig. Obwohl ich den kompletten Satz Körperteile hatte und nicht entstellt war, also nach außen hin ein stinknormaler männlicher Mensch, fand ich mich irgendwie reduziert, halbiert, getrennt von mir. Mich selber vermisste ich, mich selber, der ich selber war, mein lebendes Spiegel-, Gegen-, Ebenbild. In meinen Träumen war ich immer zu zweit mit mir. Ich lief neben mir über eine Wiese. Ich fragte mich etwas und antwortete mir. Ich saß nachts auf der Kante des Bettes, in dem ich lag, und hatte Angst vor mir. So ging das all die Jahre. Ich lernte Handsetzer, wurde bald Maschinensetzer.
    Dann fing das mit dem Kreuzweh an. Erst dachte ich, es käme vom vielen Sitzen und Sichbücken, vom Bleidampf, was wusste ich woher. Doch eines Abends zu Hause, ich hatte seit langem wieder einmal meine Frau umarmt, und sie streichelte im letzten Moment meine Rückseite, da fuhr sie mit den Fingerspitzen über eine Stelle rechts neben meinem Beckenknochen, die schmerzte wie eine Wunde. Später stellte ich mich nackt vor den Spiegel, verrenkte mich, bis ich sehen konnte. Es war ein daumennagelgroßes ovales Loch, wie eine Fischaugenhöhle, die Fressluke einer Seepocke, der Trichter eines kleinen Vulkans saß es in einer harten, unbeweglichen Beule. Natürlich bin ich am nächsten Tag zum Arzt gegangen. der beguckte sich das, sagte, er wüsste nichts Genaues, verschrieb mir eine Salbe, die stank, wirkte aber nicht, jedenfalls nicht dagegen. Der dicke Knubbel und das Loch wurden größer; um die Stelle herum erschienen feine Furchen, richtige rosa Dehnungsstreifen. Ich wechselte den Doktor, das Loch wuchs weiter. Als es Schon fast so groß war wie eine Scheibe Knoblauchwurst, ließ ich mich in die dermatologische Klinik einweisen. Es gab neue Salben, Puder, Bäder, Spritzen sogar, nur eine genaue Diagnose, die gab es nicht.

    Ich erntete nichts als gleichgültige Ratlosigkeit. Bis eines Tages nach der Visite ein Konsultant von der chirurgischen Station argwöhnische Blicke auf meine Lende warf. Er habe da einen Verdacht, sagte dieser Spezialist, und dass es, wenn sein Verdacht zutreffen sollte, etwas ganz seltenes sei, das schnell operiert werden müsste.

    Und tatsächlich, die Röntgenbilder brachten die Wahrheit ans Licht, die des Doktors und meine, die mich all die Jahre bewohnt hatte, gestaltlos, nur als Irritation, als dumpfes Bangen und Hoffen: Zwischen Steißbein und rechtem Hüftgelenk, hinter dem großen Streckmuskel, verborgen in der tiefsten Tiefe meines Beckens, trug ich seit meiner Geburt meinen Zwillingsbruder mit mir herum.

    Während der letzten Monate habe er sich, was bei parasitären Zwillingen sehr wohl schubweise vorkäme, aber noch nie über die Grenze zu einer schon nicht mehr rudimentären Phase hinaus beobachtet worden sei, aus bislang unklaren Gründen plötzlich ein kleines Stück weiterentwickelt oder auch bloß verändert, daher die Lochbeule. Der Doktor bestätigte, was ich oft geträumt hatte, nämlich dass es ausschließlich eine Art Bruderembryo sein konnte, allerhöchstens etwas wie ein Fötus, der jedoch, so wenig vollendet, allein am entsprechenden Chromosomensatz als maskulin identifizierbar wäre. Denn diese raren Fälle parasitärer Zwillinge gebe es bloß bei eineiigen Geschwistern, deren Geschlecht immer gleich sei, genau wie ihr Erbmaterial. Irgendetwas, meinte der Doktor, sei schief gegangen, als sich die befruchtete Eizelle geteilt habe. Die Mediziner kennten die unterschiedlichsten Varianten misslungener Spaltung der Keimanlage im frühen Stadium, gerade bei Gemini, die von älteren Müttern ausgetragen würden – oder eben nicht, wenn sie, die Ärzte, es verhindern könnten ...

    Bevor ich dem Chirurgen erlaubte, meinen Zwillingsbruder aus mir herauszuschneiden, musste er mir versprechen, dass er ihn nicht wegwirft; dass war ja schließlich mein Bruder und kein morscher Backenzahn. Nachdem ich aus der Narkose erwacht war, habe ich die Schwester gebeten, mir mein Brüderchen zu bringen. Ich fing an zu weinen, als ich das sah. Die Schwester behielt es in der Hand; es lag auf einer Mullkompresse. Sie hatten es irgendwie gewaschen, jedenfalls war kein Blut daran. Es ist etwa so groß wie ein Tannenzapfen und ähnelt einer Kokosnuss oder einem dunklen Stück Fell. Auf der einen Seite hat es eine unregelmäßige Ausbuchtung, vielleicht so etwas wie den Ansatz zu einer Kralle. Ich war erstaunt, dass es schwarzbraun war, wo ich doch blond bin. Ich habe es mir in Formalin legen lassen und ihm den Namen Otto-Fritz gegeben, weil ich ja Fritz-Otto heiße. Schwör mir, dich nicht zu ekeln, und du darfst ihn dir ansehen.

    Ich weiß, das ist eine saublöde Geschichte, sie hat mich aus der Bahn geworfen. Ich bin nicht mehr der, der ich mal war. Manchmal, wenn ich ein paar Schnäpse intus habe, suche ich die Gesellschaft von Frauen, Müttern, denn die verstehe ich und fühle mich verstanden von ihnen, jedenfalls solange ich nichts erzähle. Seit ich Otto habe oder los bin oder beides, denke ich jeden Tag, jede Stunde darüber nach, dass es genauso gut – für ihn, und schlecht für mich – auch andersrum hätte kommen können. Dann stünde vielleicht jetzt ich als Feuchtpräparat bei Otto neben der Schale mit den gemischten Waldfrüchten auf dem Vertiko in der Wohnstube.“
    Rik Smits berichtet in seinem Buch „Linkshänder“ von Abram Blau, einem New Yorker Psychoanalytiker, der 1946 eine Studie über Linkshänder geschrieben hat. Für ihn war Linkshändigkeit eine bedauernswerte Anomalie.

    „Linkshändigkeit, so meinte er, werde verursacht durch ‚ein angeborenes Gebrechen, durch falsche Erziehung oder emotionalen Negativismus‘. Von diesen drei Möglichkeiten erfreute sich die dritte Blaus eindeutiger Gunst. Linkshändigkeit war für ihn ‚nichts anderes als ein Ausdruck von infantilem Negativismus‘, vergleichbar mit ‚Widerspenstigkeit beim Essen oder bei der Verdauung, Zurückbleiben in der Sprachentwicklung und allgemeinen Perversionen, sofern ein Kind mit seinen beschränkten Ausdrucksmitteln sie zeigen kann.‘

    Auch der erwachsene Linkshänder galt Blau als eine wenig erfreuliche Erscheinung, da er Eigensinnigkeit mit heimlichem Aberglaube vereine, Geiz mit obsessivem Reinlichkeitsdrang und zudem an übermäßiger Starre leide. Dies alles war, wie sollte es anders sein, in der Regel die Folge emotionaler Verwahrlosung durch eine lieblose Mutter. Therapie konnte Blau zufolge helfen, wenn auch einmal eingeimpfte Linkshändigkeit nie mehr ganz zu beseitigen war. Er empfahl daher, linkshändige Neigungen schon im Keim zu ersticken. Wenn das Kind sich beharrlich weigerte, sich auf die rechte Hand umzustellen, dann sollte man es in seinem eigenen Saft schmoren lassen.“

    Eine Rückschulung auf die linke Hand muss gut überlegt werden:
    Wichtig bei Kindern – die Rückschulung muss gut überlegt und von Fachleuten begleitet werden. das gilt insbesondere, wenn die Schreibhand rückgeschult werden soll – oftmals entscheiden die Kinder und Erwachsenen sich aber auch dafür, nur bestimmte Körperübungen, verschiedenen Alltagsverrichtungen mit links zu machen, um die unterforderte Gehirnhälfte zu fördern und die überforderte Gehirnhälfte zu entspannen. – also die eigene Gehirndominanz wieder zu leben.

    Ein ausführliches Testprogramm hat Barbara Sattler entwickelt – sehr empfehlenswert, sich den Test einfach mal anzuschauen:
    www.linkshaender-beratung.de/


    Barbara Sattler zur Rückschulung umgeschulter Linkshänder:
    „Wenn jemand feststellt, dass er umgeschulter Linkshänder ist, und dass mit der Umschulung verschiedenste Umstände zusammenhängen, die ihn belasten, und die er gerne ändern würde, dann ist es wie ein Reflex, die meisten Menschen versuchen auf links zurückzuschulen. Da steckt die Hoffnung dahinter, dass, wenn man sich zurückschult, dass dann alles weg ist, dass man all diese Schwierigkeiten nicht mehr hat, die man vorher hat. Das ist wie, als ich 20 war, habe ich geglaubt, wenn ich in eine andere Stadt ziehe, dann sind alle meine Probleme weg. Ich habe mich etwas gewundert, die Probleme waren genauso da. Ich habe genau die gleichen Fehler gemacht und ich habe genau die gleichen Schwierigkeiten gehabt, so dass ich gedacht habe, ich muss nicht umziehen, ich kann das auch an einem Ort erledigen, ich muss an mir was ändern, an dem Umgang mit verschiedenen Dingen. Und so ist es auch bei den Umgeschulten, dass einfach die Rückschulung nicht bedeutet, dass die Schwierigkeiten weg sind. Beziehungsweise, die Erwartungshaltung ist auch viel zu groß. Das ist der eine Punkt.

    Die andere Sache ist, dass die Umschulung der Händigkeit ein Eingriff ins Gehirn und zwar zum Teil ein ziemlich massiver Eingriff ist. Eine Irritation und eine Störung, die sich in den verschiedensten intellektuellen Bereichen auswirken kann. (...)

    Manche schulen sich zurück und bekommen die Schwierigkeiten, die sie als Kind hatten, plötzlich wieder. Mit diesen Schwierigkeiten hatten sie gelernt umzugehen, und plötzlich ist das wieder da. Ich vergleiche das manchmal mit einer Straße in den Bergen, die verschüttet wurde und jetzt haben die Bewohner da einen Trampelpfad irgendwo ausfindig gemacht, und irgendwann kommt jemand und sagt, aber das ist dumm, tun wir doch die Straße wieder frei baggern, so dass die Leute auf der Straße von früher wieder fahren können. Das funktioniert aber nicht, manchmal oder nicht immer. Manchmal gibt es Erdrutsche und es ist schlimmer, was dann passiert, erst mal, als dieser Trampelpfad, den man sehr gut gehen kann, und wo man genau weiß, wo es gefährlich ist und wie man da lang kommt. Und so hat das Gehirn, jetzt übertragen, Wege gefunden, oder der Mensch, damit umzugehen, und man kann nicht einfach die Straße wieder aufreißen, oder diesen Abhang, der da eingerutscht ist. Das ist aber ein Bild, so muss man das sehen.

    Ein anderes Bild ist, dass wir im Gehirn einfach keinen Schalter haben, wir können nicht mal so oder so das schalten. Sondern mit der Umschulung sind bestimmte Prozesse im Zusammenhang im Gehirn, und mit einer Rückschulung werden die nicht absolut wieder weggenommen, sondern es kann zu neuen Problemen kommen.“

    Der umgeschulte Linkshänder sei die ganze Zeit damit beschäftigt, sein ‚ungezogenes Kind‘, seine Linkshändigkeit zur rechten Vernunft zu bringen, steht in einem Artikel über umgeschulte Linkshänder. Solche Leute säßen im ‚geistigen Rollstuhl‘. Es sei eben so, schreibt Dieter Gramm, in seinem Buch Probleme der Linkshändigkeit“ , dass dem typischen Linkshänder die Vorstellung und das Gefühl, rechtshändig handeln zu müssen, einfach fehle. Durch seine negativen Versuche sei er von seiner Unfähigkeit bald so überzeugt, dass sich schon bei dem Gedanken, etwas mit der rechten Hand auszuführen, komplexhafte Sperrungen einstellten. Und je mehr Druck von außen käme, umso mehr verdichte sich seine Vorstellung des Nicht-Könnens. Der Linkshänder werde linkisch.

    Der Komponist Robert Schumann war so ein tragischer Fall. Der ungarische Pianist und Musikpädagoge Geza Loso lebt heute mit seiner Familie in Trier. Er hat sich in Leipzig beim Klavierbauer Blüthner einen Linkshänder-Flügel bauen lassen, um endlich richtig spielen zu können.

    Der ungarische Pianist und Musikpädagoge Geza Loso lebt heute mit seiner Familie in Trier. Er hat sich in Leipzig beim Klavierbauer Blüthner einen Linkshänder-Flügel bauen lassen, um endlich richtig spielen.

    Geza Loso Konzertpianist
    www.gezaloso.de
    Julius Blüthner Piaonfortefabrik
    www.bluethner.com

    www.lefthandcorner.wtal.de/...

    MusikKlavier auf www.lefthandcorner.wtal.de/...

    Links und rechts, das sind auch politisch-moralische Metaphern. Für den französischen Philosophen Jean Paul Sartre beispielsweise war die Sache ziemlich klar.

    „Wenn ich Rechte sage, heißt das für mich immer Dreckschweine. Also, entweder geht diese Linke kaputt, aber dann geht mit ihr auch der Mensch kaputt, oder aber man findet ihr wieder Prinzipien.“
    Links ist traditionell die Seite der Revolution. Seit dem 19. Jahrhundert saß die Linke im Parlament links vom Präsidenten. In der französischen Restaurationszeit waren das zunächst die Jakobiner, später saßen die Kommunisten und Sozialisten links, und bis heute wird diese Sitzordnung im französischen Parlament eingehalten.
    Der Schriftsteller Arnold Stadler will nicht glauben, dass die politischen Verhältnisse mit der Händigkeit zu tun hat. Und der Historiker Sebastian Haffner hat diesem holzschnitzartigen Muster auch misstraut.

    „Ich habe oft gelesen – einer schreibt's wohl vom anderen ab –, die Linke käme daher, dass in der französischen Kammer zur Zeit Louis Philippes die Republikaner links vom Präsidenten gesessen hätten und die Monarchisten rechts, aber das hat mich nie überzeugt. Wer interessiert sich schon für die Sitzordnung der französischen Kammer des Bürgerkönigtums? Weit eher sollte man denken, hätten sich die Revolutionsparlamente von 1789/94 auch außerhalb Frankreichs dem allgemeinen Bewusstsein einprägen können, aber dort gab es kein rechts und links, sondern ein oben und unten.

    Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, wenn heute links und rechts Bezeichnungen sind, die auf der ganzen Welt jeder versteht, obwohl sie keiner definieren kann, dann rührt das nicht von irgendwelchen Zufälligkeiten parlamentarischer Sitzordnungen in einem einzelnen Land und einer einzelnen, relativ uninteressanten Epoche her, sondern es muss elementare Gründe haben. Rechts und links politisch zu definieren, habe ich längst aufgegeben. Es ist ja nicht zu übersehen, dass Rechte und Linke ihren politischen Standort in diesem Jahrhundert vertauscht haben, in Europa jedenfalls. Alles, was vor hundert Jahren links war – Republik, Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechte, Toleranz, Pressefreiheit, Gewerbefreiheit, Freihandel – ist heute rechts. Was damals rechts war – Autokratie, Autorität, Disziplin, Zensur, Staatswirtschaft, geschlossene Grenzen – ist jetzt links. Manche Leute haben denn auch versucht, die Etiketten ‚rechts‘ und ‚links‘ entsprechend umzukleben, aber das ist nicht gelungen.

    Links ist heute nicht mehr nur rot, sondern ebenso oft grün: Zivilisationspessimismus, Fortschrittsangst, ‚Zurück zur Natur‘ – auch das ist heute links, nicht etwa rechts. Die Leute, die gegen Atomkraftwerke, gegen neue Autobahnen und neue Flugplätze – also gegen den technischen Fortschritt – demonstrieren, sind deutlich ganz überwiegend linke Leute, und bei der linken Intelligenz ist heute ein Menschenbild Mode, so schwarz in schwarz gemalt, dass die schwärzeste Erbsündenlehre dagegen wie der ruchloseste Optimismus wirkt.“
    Kasimir Schirmer, „LinkshänderInnen – Plädoyer für eine Gleichberechtigung“

    „LinkshänderInnen sind LinkshänderInnen wegen der rechten Gehirnhälfte, das ist ein neurologischer Befund. Oft sind sie genial und mondsüchtig, andere spielen Tennis. Letztere werden gern berühmt, vor allem wenn sie eine gute Rückhand haben. Die Rückhand ist die linke Variante der Hand, die Rückhände von LinkshänderInnen sind die Steigerung der Linkshändigkeit schlechthin und stellen die Gegner vor schreckliche Probleme, weinend verlassen sie den Platz. Als KlaviervirtuosInnen haben es LinkshänderInnen nicht ganz so leicht, es sei denn, sie legen sich bäuchlings auf den Konzertflügel. Franz Liszt war kein Linkshänder, dafür Ungar. Auch er hatte es nicht leicht.

    Politisch gesehen sind LinkshänderInnen suspekt. Das liegt auf der Hand und hat seit dem Mittelalter zu zahlreichen Verfolgungen Anlass gegeben, noch in diesem Jahrhundert erklärten die Religionslehrer das Schreiben mit der linken Hand für eine Sünde. Allerdings hat das nicht viel geholfen, so ohne weiteres lässt sich das Linkshändigkeits-Chromosom nicht ausrotten, zumal es ja im Verborgenen weitervererbt werden kann: Es ist gar nicht so selten, dass zwei gesunde rechtshändige Eltern unvermutet ein linkshändiges Kind bekommen, was zu Familientragödien führen kann, vor allem wenn der Vater noch nichts von rezessiven Genen gehört hat.

    Im Herzen sind wir alle LinkshänderInnen. In der Leber nicht, dadurch kommt es zu Alkoholmissbrauch. Ja, LinkshänderInnen leiden viel, das hat kürzlich eine wissenschaftliche Studie wieder bestätigt. kein Wunder, schließlich leben sie in einer Welt, in der alles verkehrt ist. ‚Ich verstehe die Welt nicht mehr‘, sagt Meister Anton in Hebbels Maria Magdalena, nachdem er zum Linkshänder geworden ist. Nur auf hoher See sind LinkshänderInnen wirklich gleichberechtigt: dort sind die üblichen Richtungen aufgehoben, dafür gelten Steuer- und Backbord, Luv und Lee, und es spielt keine Rolle, mit welchem Holzarm man das Rumfass heranrollt. Anders unter Rittern, wo Götz von Berlichingen aufgrund seiner eisernen Hand als Linkshänder schließlich sogar mit der Reichsacht belegt wurde und starb.

    LinkshänderInnen leiden manchmal auch gern. Das Leiden adelt den Menschen, oder zumindest bildet er sich das ein und muss sich nicht darum kümmern, sein Leben zu ändern. Die spezifischen paranoiden Erscheinungsweisen von LinkshänderInnen lassen sich in neurotische und kompensatorische Sinistrosen (Linksleiden) unterteilen. Zu den erstgenannten rechnet man die doppelten LinkshänderInnen, die zwei linke Hände zu haben vorgeben, die notorischen LinkshänderInnen, die sich staatsübergreifend zur englischen Straßenverkehrsordnung bekennen, und die querulantischen LinkshänderInnen, die den Gebrauch von Tassen ablehnen, weil der Henkel ein potentielles Objekt rechtshänderischen Machtmissbrauchs darstellt. Zur zweiten Gruppe werden die assimilierten LinkshänderInnen gezählt, die aufgrund verstärkten Sozialisationsdrucks mit rechts rauchen, die labilen LinkshänderInnen, die einer geregelten Arbeit nachgehen, und die eigentlichen oder falschen LinkshänderInnen, deren Gefährlichkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

    Und doch bietet die Welt der LinkshänderInnen immer wieder Chancen. Die arabische Schrift wurde eigens für LinkshänderInnen entwickelt, damit sie die Tinte nicht mit der Handkante übers Papier schmieren, und Maurice Ravel schrieb ein ganzes Klavierkonzert für die linke Hand. Überhaupt finden LinkshänderInnen in der Musik ihre sichere Zuflucht: In der japanischen Tradition gilt die ‚Linksmusik‘ gegenüber der ‚Rechtsmusik‘ als die kaisernähere; die Triangel, die mit dem Übergang von der Spätromantik zur Frühmoderne zum vielleicht entscheidendsten Element des Symphonieorchesters avancierte, ist links/rechtshändigkeitsneutral, und nur wenige wissen, dass es sogar Instrumente gibt, bei denen LinkshänderInnen einen wesentlichen Vorteil vor ihren Kollegen haben: das sagenumwobene Waldhorn...“

    In seiner Erzählung „Die Linkshänder“ hat Schriftsteller Günter Grass beschrieben, was Linkshänder fühlen, wenn sie in einer Rechtshänderwelt zurechtkommen wollen. Der Ich-Erzähler und sein Freund Erich sind eingefleischte Linkshänder, und sie leben in einer kleinen Stadt.

    „Wir kennen uns vom Verein her. Sie wissen, dass die Linkshänder dieser Stadt, wie alle, die ein verwandtes Gebrechen drückt, einen Verein gegründet haben. Wir treffen uns regelmäßig und versuchen unseren anderen, leider so ungeschickten Griff zu schulen. Eine Zeitlang gab uns ein gutwilliger Rechtshänder Unterricht. Leider kommt er jetzt nicht mehr. Die Herren im Vorstand kritisierten seine Lehrmethoden und befanden, die Mitglieder des Vereins sollten aus eigener Kraft umlernen. So verbinden wir nun gemeinsam und zwanglos eigens für uns erfundene Gesellschaftsspiele mit Geschicklichkeitsproben wie: Rechts einfädeln, eingießen, aufmachen und zuknöpfen. In unseren Statuten heißt es: Wir wollen nicht ruhen, bis dass rechts wie links ist.

    Wie schön und kraftvoll dieser Satz auch sein mag, ist er doch lautester Unsinn. So werden wir es nie schaffen. Und der extreme Flügel unserer Verbindung verlangt schon lange, dass diese Sentenz gestrichen wird und stattdessen geschrieben steht: Wir wollen auf unsere linke Hand stolz sein und uns nicht unseres angeborenen Griffes schämen.

    Auch diese Parole stimmt sicher nicht. Erich und ich, wissen zu gut, wie tief verwurzelt unsere Scham ist. Elternhaus, Schule, später die Zeit beim Militär haben nicht dazu beigetragen, uns eine Haltung zu lehren, die diese geringfügige Absonderlichkeit – geringfügig im Vergleich mit anderen, weit verbreiteten Abnormitäten – mit Anstand ertrüge. Das begann mit dem kindlichen Händchengeben. Diese Tanten, Onkels, Freundinnen mütterlicherseits, Kollegen väterlicherseits, dieses nicht zu übersehende, den Horizont einer Kindheit verdunkelnde, schreckliche Familienfoto. Und allen musste die Hand gegeben werden: ‚Nein, nicht das unartige Händchen, das brave. Wirst du wohl das richtige Händchen geben, das gute Händchen, das kluge, geschickte, das einzig wahre, das rechte Händchen!‘

    Sechzehn Jahre war ich alt und fasste zum ersten Mal ein Mädchen an: ‚Ach du bist ja Linkshänder!‘ sagte sie enttäuscht und zog mir die Hand aus der Bluse. Solche Erinnerungen bleiben.“


    Kurt Schwitters „An Anna Blume“

    „Anna Blume! Anna, a-n-n-a, ich träufle deinen
    Namen. Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
    Weißt du es, Anna, weißt du es schon?
    Man kann dich auch von hinten lesen, und du, du
    Herrlichste von allen, du bist von hinten wie von
    vorne: „a-n-n-a.“
    Rindertalg träufelt streicheln über meinen Rücken.
    Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!“

    Beim Sport können Linkshänder durchaus Vorteile haben. Jede bessere Handballmannschaft weiß um den taktisch klugen Einsatz linkshändiger Spieler. Beim Fußball ist Rechtsaußen für Linksfüßler geradezu ideal. Schließlich geht es darum, dass die Spieler den Spielfuß innen, zum Feld hin haben. Johanna Barbara Sattler.

    „Im Sport haben Linkshänder sicher Vorteile, erstens weil, also zum Beispiel beim Handball, Korbball, beim Basketball, also mit diesem Auftippen und so, dann denkt der Rechtshänder, der tippt rechts aber dabei nimmt er ihn schnell rüber und hat keine Probleme, also von daher, auch von welcher Seite jemand dann den Ball reinwirft in den Korb, man berechnet den anderen falsch, und da haben die zunächst schon Schwierigkeiten auch beim Tennis. Wobei ich glaube, dass bei den sportlichen Sachen wie Tennis zum Beispiel, auch beim Handball und so etwas auch den Linkshändern noch zugute kommt: die gute Raumverarbeitung, weil sie einfach besser das berechnen können. Dort haben die Linkshänder sicher Vorteile, zum Beispiel auch beim Schießen, da sollen Linkshänder oft besser sein, das geht einfach automatischer, das Berechnen des Raumes, der Rechtshänder rechnet und der Linkshänder schießt.“

    Lesetipps
    Bücher von Dr. Barbara Sattler, alle erschienen im Auer Verlag, Donauwörth

    Barbara Sattler
    Der umgeschulte Linkshänder
    oder
    Der Knoten im Gehirn
    Auer Verlag, Donauwörth

    Die Umschulung der Händigkeit ist eine von außen zugefügte Behinderung. Sie ruft fatale Störungen im menschlichen Gehirn hervor. Schädigungen und Beeinträchtigungen durch Umschulung der Händigkeit sind irreversibel. Der Band gibt dazu Hilfestellungen und Hinweise. Er schildert in anschaulicher Weise die Folgen der Umschulung und ihre Auswirkungen auf die schulischen Leistungen sowie auf Verhalten und Psyche der Betroffenen.
    Barbara Sattler
    Die Psyche des linkshändigen Kindes
    Von der Seele, die mit Tieren spricht
    Auer Verlag, Donauwörth

    Linkshänder sind anders! In diesem Buch werden verschiedene, bei Linkshändern häufig zu beobachtende Verhaltensweisen und Denkansätze aufgegliedert, analysiert und an Fallbeispielen dokumentiert. Die Autorin wendet sich sowohl an Eltern linkshändiger Kinder als auch an die Linkshänder selbst. Gleichermaßen möchte sie aber auch Pädagogen und Therapeuten auf unterschiedliche Reaktions- und Denkweisen von Links- und Rechtshändern aufmerksam machen. Ihr Ziel ist es, mehr Verständnis für die Händigkeitsproblematik, besonders bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen zu vermitteln. Die eingeflochtenen Erzählungen aus dem Leben der Tiere und Menschen in der freien Natur sind ein Instrument, die Reaktionsweisen der Kinder zu beobachten und zu analysieren und damit unter einem anderen Gesichtspunkt zu verstehen.
    Barbara Sattler
    Übungen für Linkshänder
    Schreiben und Hantieren mit links
    Auer Verlag, Donauwörth

    Barbara Sattler
    Das linkshändige Kind – seine Begabung und seine Schwierigkeiten
    Eine Hilfe für Lehrerinnen und Lehrer zur Information beim Elternabend
    Auer Verlag, Donauwörth

    Johanna Barbara Sattler
    Links und Rechts in der Wahrnehmung des Menschen.
    Zur Geschichte der Linkshändigkeit. Donauwörth (Auer Verlag) 2000


    Weitere Informationen über die Bücher von Barbara Sattler.


    Das kleine Buch für Linkshänder.
    München (Wilhelm Heyne Verlag) 1996
    Das britische Kinderbuch von Norbert Martin(Text) und Eric Morava (Bilder) ist auf deutsch noch nicht erschienen. Siehe unter:
    Literatur Lechts oder Rinks

    Roland Barthes
    Cy Twombly.
    Berlin (Merve Verlag) 1983
    Norberto Bobbio
    Rechts und Links.
    Gründe und Bedeutung einer politischen Unterscheidung.
    Wagenbach Taschenbücher (Berlin) 1994
    Günter Grass
    Die Linkshänder. Werkausgabe in 18 Bänden,
    Band 1, Gedichte und Kurzprosa.
    Göttingen (Steidl Verlag) 2002
    Sebastian Haffner
    Historisch-politische Variationen aus zwanzig Jahren.
    München (Deutscher Taschenbuch Verlag) 1985
    Peter Handke
    Die linkshändige Frau.
    Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1981
    Alexandre Jardin
    Die Insel der Linkshänder.
    München (List Verlag) 2002
    Ulf Küster
    Der junge Adolph Menzel.
    Hamburg/Berlin/London (LIT-Verlag) 1999
    Ulf Küster
    Links zeichnen, rechts malen?
    In: Jahrbuch der Berliner Museen.
    Band 41. 1999
    Katja Lange-Müller
    Die Letzten Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei.
    Frankfurt am Main (Fischer Taschenbuch Verlag) 2002


    Ulla Laufs
    „wir haben zu wenig echte
    LINKSHÄNDER“
    Das Findbuch (justRight)

    In diesem Buch beschreibt die Autorin in gut verständlicher Sprache, wieso die Umerziehung Schäden verursacht und was man als umerzogener Linkshänder dagegen tun kann. Der Aufbau des Buches ermöglicht jedem Interessierten, seinen ganz eigenen Weg, in seinem eigenen Tempo, zu gehen. Durch die Lektüre dieses Buches, das nicht nur viele sachliche Informationen liefert, sondern auch die Gefühle bewusst macht und aktiviert, wird jeder in die Lage versetzt, für sich entscheiden zu können, wie weit er bereit ist, sich mit seiner Linkshändigkeit zu befassen und sie ins Leben zu integrieren. Bei einer Rückschulung auf die angeborene Linkshändigkeit kann es viel Unterstützung geben. Dieses Buch fasst die Ergebnisse der Selbsterfahrung sowie jahrelange Forschung und die Arbeit mit umerzogenen Linkshändern in Selbsthilfegruppen, Workshops und Seminaren zusammen.

    Detlef B. Linke
    Kunst und Gehirn.
    Die Eroberung des Unsichtbaren.
    Rowohlt (Reinbek) 2001
    Detlef B. Linke
    Das Gehirn (Verlag C.H.Beck) 1999
    Detlef B. Linke
    Medientheorie, Hirnforschung und die Aufnahme der Türkei.
    Köln (Verlag der Buchhandlung Walther König) 2003

    Rolf W. Meyer
    Linkshändig?
    Ein Ratgeber.
    München (Humboldt Verlag) 1991 (vergriffen)
    Sten Nadolny
    Selim oder die Gabe der Rede.
    München (Piper Taschenbuch) 1990
    Frank Peschanel
    Sind Linkshänder besser?
    Durch gezieltes Training beider Gehirnhälften Kreativität und Rationalität fördern.
    München (Goldmann Verlag) 1993
    Benjamín Prado
    Der linkshändige Revolverheld.
    München (Piper Taschenbuch) 2000
    Ernst L. Schäfer
    Das Handbuch.
    Die Linke und die Rechte
    Geschichte und Alltag unserer zwei Seiten.
    Düsseldorf (Droste Verlag) 1988
    W.G.Sebald
    Austerlitz.
    München Wien (Hanser Verlag) 2001
    Rik Smits
    Alles mit der linken Hand.
    Geschick und Geschichte einer Begabung.
    Reinbek (Rowohlt) 1995 (vergriffen)
    Rik Smits
    Linkshänder.
    Geschichte, Geschick, Begabung.
    Düsseldorf (Patmos Verlags GmbH & Co.KG – Albatros Verlag) 2002
    Arnold Stadler
    Sehnsucht. Versuch über das erste Mal.
    Köln (DuMont Verlag) 2002
    Kurt Tucholsky
    Der Linksdenker.
    In: Gesammelte Werke
    Reinbek (Rowohlt Verlag) 1985
    Siegfried Wachtel
    Das Linksphänomen. eine Entdeckung und ihr Schicksal.
    Berlin (Links Verlag) 1990

    Sylvia Weber
    „Linkshändige Kinder richtig fördern“
    Ernst Reinhardt Verlag München, Basel

    Wenn ein Kind die linke Hand bevorzugt nutzt oder auch beide Hände abwechselnd, sind die Eltern oft verunsichert. Linkshändigkeit bei Kindern ist zwar heute nicht mehr verpönt, doch gerade während der ersten Lebensjahre und bis ins Grundschulalter stellen sich den Eltern unzählige praktische Fragen: Wie mache ich das mit links? Eine Schleife binden, den Computer bedienen, Musikinstrumente benutzen, und vor allem mit links unverkrampft schreiben?

    Sylvia Weber, die ihre Linkshändigkeit erst als Erwachsene entdeckte, kennt die Fragen und Sorgen der Eltern. Sie beschreibt wichtige Grundlagen zum Verständnis der Händigkeit, erklärt, woran Eltern die Händigkeit ihres Kindes früh erkennen können. Und sie gibt hilfreiche Tipps, wie Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen die natürliche Bevorzugung der linken Hand sinnvoll unterstützen können. Mit zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen ist dieses Buch ein wertvoller Begleiter für Familien und alle, die im Alltag mit linkshändigen Kindern zu tun haben.

    Adressen:
    Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder
    Sendlinger Str. 17
    D – 80331 München / Germany
    Tel./ Fax +49 / 89 / 26 86 14
    E-Mail: info@lefthander-consulting.org
    fachliche Telefonberatung: jeden Mittwoch 14 – 15 Uhr (kostenlos)
    Hier können Sie eine Liste von LinkshändigkeitsberaterInnen erhalten.

    Seit 1976 wird am 13. August jährlich der Internationale Linkshändertag
    begangen
    www.weltlinkshaendertag.de
    Berühmte Linkshänder

    www linkshaenderseite.de
    Hier finden Sie viele Informationen, unter anderem auch eine Liste der Linkshänderläden

    „In Berlin betreibe ich, Marina Neumann, Dipl.Psych. und Psychologische Psychotherapeutin, eine Beratungsstelle, die sich mit ihrem Angebot hauptsächlich an umgeschulte Linkshänder wendet: Ich biete Beratung/Informationen zu Linkshändigkeit und Umschulung auf die rechte Hand an. Ich teste die Händigkeit und begleite umgeschulte Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei der Rückschulung auf die linke Hand. Rückschulung bedeutet, wieder mit links schreiben zu lernen und möglicherweise damit mehr zu der eigenen linkshändigen Identität und den eigenen Potentialen zurückzufinden. Im Internet bin ich unter www.linkerhand.de und mailto.info@linkerhand.de zu finden.“