Nach neuen Vorgaben des RKI
Warum die Verkürzung des Genesenenstatus auf Kritik stößt

Die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate sorgt weiter für Kritik. Ob die neue Regelung gerechtfertigt ist, gilt auch bei Experten als umstritten. Was für Daten stecken hinter der Debatte und welche Konsequenzen hat die Verkürzung in der Praxis?

Von Volkart Wildermuth | 01.02.2022
Einführung der 2G Plus Regel in Gaststätten und Restaurants: Ein Schild an der Eingangstür weist auf die 2G+ Regel in einem Restaurant in München hin.
Genesene profitieren nur noch drei Monate von ihrem Status, danach sind sie von Einschränkungen betroffen (picture alliance / Sven Simon)
Eine Impfung schützt vor der Ansteckung mit dem Coronavirus. Eine frühere Infektion ebenfalls. Deshalb gibt es die 2-G-Regel. Bislang galt der Genesenenstatus für ein halbes Jahr, seit dem 15. Januar jedoch nur noch für drei Monate.
Was sind die Hintergründe für die Entscheidung?
Wie begründet das RKI die Entscheidung?
Kommt es denn auf die Antikörper an? Was ist mit den T-Zellen?
Unterscheiden sich die Genesenen deutlich von den Geimpften?
Gibt es in der wissenschaftlichen Community kritische Stimmen zur unterschiedlichen Beurteilung von Geimpften und Genesenen?
Was passiert, wenn der Genesenen-Status ausläuft?

Was sind die Hintergründe der Entscheidung?

Normalerweise werden solche Schritte vom Parlament entschieden. Um die Bestimmungen näher an die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bringen, enthält die aktuelle Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung aber keine konkreten Angaben, sondern einen Verweis auf das Robert Koch-Institut. Eine Konstruktion, die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages für bedenklich hält.
Wenn das RKI seine Einschätzung ändert, ändern sich sofort auch die Bestimmungen für die Bürgerinnen und Bürger. Genau dazu ist es am 15. Januar gekommen. Der Genesenenstatus erlischt seitdem nicht mehr nach einem halben Jahr, sondern schon 90 Tage nach der Bestätigung der Infektion durch einen PCR-Test.

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Wie begründet das RKI die Entscheidung?

Das RKI verweist darauf, dass Genesene „einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben“. Die Literaturstellen, die das RKI anführt, beschäftigen sich allerdings zum großen Teil nicht konkret mit den Genesenen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) zum Beispiel, auf die das RKI auch bei seiner Begründung verweist, empfiehlt generell die Impfung. Zu Genesenen schreibt sie, dass sie mindestens drei Monate nach der Infektion abwarten sollen. Ab da gebe es keine gesundheitlichen Bedenken.
Die Dauer der Schutzwirkung einer Infektion spielt hier keine Rolle. Ähnlich auch bei der Siren-Studie, die über 40.000 britische Gesundheitsmitarbeiter begleitet. Seit Ankunft der Omikron-Variante auf der Insel gibt es unter ihnen einen deutlichen Anstieg der Reinfektionen. Nach einer ersten Auswertung schützt eine frühere Infektion nur noch zu 44 Prozent vor einer Omikron-Ansteckung. Aber: Der Abstand zwischen der ersten und zweiten Infektion wurde nicht aufgeschlüsselt. Lässt der Immunschutz also schneller nach? Das ist schwer zu sagen. Generell zeigen viele Experimente, dass sich Omikron von allen bisherigen Varianten deutlich unterscheidet und dass deshalb die Antikörper nicht wirklich greifen.

Kommt es denn auf die Antikörper an? Was ist mit den T-Zellen?

Die Antikörper sehen das Virus sozusagen von außen, reagieren vor allem auf das Spike-Protein. T-Zellen dagegen binden an die Abbauprodukte des Virus, sehen Anteile, die auch bei Omikron nicht verändert sind.
So bleiben sie wirksam und zwar egal, ob sie von einer früheren Infektion herrühren oder einer Impfung. Dieser Unterschied Antikörper/T-Zellen ist wichtig für den Infektionsverlauf. Antikörper erkennen ein Virus sofort, können theoretisch eine Infektion verhindern. Das klappt bei Omikron aber nicht mehr. Das zeigt der Anstieg bei den Reinfektionen beziehungsweise Durchbruchinfektionen. Aber im zweiten Schritt treten die T-Zellen auf den Plan und verhindern schwere Verläufe.
Wenn das RKI den Genesenenstatus verkürzt, dann weniger aufgrund des Risikos für die Genesenen selbst, sondern, damit sie Omikron nicht an andere mit vielleicht nach wie vor hohem Risiko weitergeben.

Unterscheiden sich die Genesenen deutlich von den Geimpften?

Nein, tatsächlich nicht. Laut STIKO-Papier wird nicht nur den Genesenen eine Impfung empfohlen, sondern auch ein Booster für zweifach Geimpfte nach mindestens drei Monaten. Das zeigt: Omikron ist nicht nur für Genesene ein Problem, sondern auch für zweimal Geimpfte. Im Grunde hätte also nicht nur der Genesenen- sondern auch der Impfstatus verkürzt werden müssen. Wichtig an dieser Stelle: Es ist gut belegt, dass ein Booster den Schutz wiederherstellt.

Gibt es in der wissenschaftlichen Community kritische Stimmen zur unterschiedlichen Beurteilung von Geimpften und Genesenen?

Die Gesellschaft für Virologie, der Virologe Hendrik Streek, Mitglied im Corona-Expertenrat und auch der Immunologe Carsten Watzl beurteilen Genesene und Geimpfte ähnlich und raten nach einem halben Jahr zur Impfung beziehungsweise zum Booster. Allerdings sind die meisten Studien, die die Forscher zitieren, während der Delta-Welle gelaufen. Omikron mischt die Karten neu, aber vermutlich für Genesene wie Geimpfte ähnlich. Gerade hat sich auch die EU darauf geeinigt, den Genesenenstatus bei der Einreise für ein halbes Jahr anzuerkennen. In der Schweiz gilt man für neun Monate als genesen. Von einem Konsens kann man da nicht sprechen. Ähnlich unterschiedlich wird übrigens die Dauer des Status für vollständig – also zwei Mal – Geimpfte gehandhabt. In der EU gilt der für neun Monate, in Österreich für sechs. Wahrscheinlich wird Deutschland hier mit einer Begrenzung nachziehen. Das wäre nach den Daten zur nachlassenden Impfwirkung auch sinnvoll. Wer geboostert, also drei Mal geimpft ist, muss sich aktuell keine Gedanken machen.

Was passiert, wenn der Genesenen-Status ausläuft? Welche Folgen hat die 3-Monats-Entscheidung im Alltag?

Überall, wo 2G gilt, steht man dann vor verschlossenen Türen. Bei 3G muss ein Test vorgelegt werden. Was das konkret bedeutet, hängt vom Bundesland ab, weil sich hier Zuständigkeiten mischen.
Beispiel Berlin: In der S-Bahn und am Arbeitsplatz verfällt der Genesenenstatus nach drei Monaten, da ist der Bund zuständig. Beim Mittagessen im Restaurant oder abends in der Disco gilt er für sechs Monate, denn da greifen die Landesregeln. Der Bundestag legt wieder eigene Regeln fest, aktuell sechs Monate genau wie bei einem Flug etwa nach Paris, denn dafür ist dann die EU zuständig.