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Verlag Hermann Schmidt
Experimente gehören zu ihrem Geschäft

Ob ein bronzefarbener Prägedruck oder ein eingewebtes Lesezeichen: Der Mainzer Verlag Hermann Schmidt experimentiert mit Besonderheiten, um neben dem E-Book-Markt bestehen zu können. Das Sortiment besteht aus hochwertigen Büchern, die vor allem von Leidenschaft und Begeisterung der Inhaber sprechen.

Von Marietta Schwarz |
    Das Verlegerehepaar Karin und Bertram Schmidt-Friderichs posiert am Montag in seinem Verlag in Mainz.
    Für Karin und Bertram Schmidt-Friderichs ist das emotionale Konto neben dem Geldkonto mit ihrer Arbeit reichlich gefüllt. (dpa/picture alliance/Fredrik von Erichsen)
    "Pachanga" ist ein Buch über Schmetterlinge. Hauchdünnes, fein bedrucktes Papier zwischen zwei Buchdeckeln aus geprägtem Seidenstoff.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Wir wollten ein schmetterlings-leichtes Papier."
    Bertram Schmidt-Friderichs:
    "Es geht um Nachtfalter, die Gestalterin hat das fotografiert und aus diesen Ornamenten jeweils Muster gemacht. Da ist die gesamte Kunstgeschichte drin, da gibt es Grunge, da gibt es Barock, und da gibt's Art Brut... das sieht aus wie Jugendstil."
    "Die Kunst ein kreatives Leben zu führen" – ein Achtsamkeitsbuch. Bronzefarbener Prägedruck auf einem grauen Umschlag, der sich irgendwie fleischig anfühlt. Bei der Entstehung war der Zufall mit im Spiel:
    "Und dann hat aus einem Versehen heraus der Siebdrucker die falsche Seite besiebdruckt. Und dann dachten wir, das ist genau die Haptik, die wir haben wollen."
    Ein anderes Buch: "Die DNA der Stadt". Mein Liebling. Ein Buch voller Schwarzpläne deutscher Städte. Das tiefe Schwarz der Bebauungsmassen erzählt auf jeder Seite eine ganze Stadtgeschichte. Das eingewebte Lesezeichen ist mit Zahlen bedruckt: Ein Maßstab, mit dem man sich auch noch die Größe der Straßen und Gebäude erschließen kann. Das Detail hatte es in sich.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Ein normales Lesezeichen dehnt sich, und ein Maßstab, der sich dehnt, ist ja schwachsinnig."
    Bertram Schmidt-Friderichs:
    "Und dann verbringt man halbe Tage mit der Textilindustrie, die Bändchen webt, die man kratzend in seinem Pulli hat, um dann jemanden zu finden, der sagt: Ja, ich bin bereit das zu machen."
    Seit Jahrzehnten verlegt das Mainzer Ehepaar Karin und Bertram Schmidt-Friderichs schöne Bücher: Es sind Produkte, die in einem intensiven Arbeitsprozess zusammen mit den Autoren, aber auch mit den Druckern, entstehen.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Und wenn wir an ein Projekt rangehen, dann versuchen wir, aus dem Inhalt ranzugehen, wie soll das in der Hand liegen, wie soll sich das anfühlen und dann wühlen wir in den Kisten und gucken, und dann ist das so ein iterativer Prozess."
    Typografisch anspruchsvoll
    Experimentieren gehört zu ihrem Geschäft. Monate, manchmal Jahre dauert es, bis ein Buch dann endlich aus der Druckerei kommt. Typografisch anspruchsvoll, haptisch und optisch ein Vergnügen. Die Corporate Identity des Verlags ist, dass es sie eigentlich nicht gibt.
    Bertram Schmidt-Friderichs:
    "Es bleibt die Philosophie, dass wir jedes Buch als eigene Persönlichkeit ernstnehmen und es nicht irgendwie uniformieren. Für uns ist jedes Buch wie ein eigenes Kind, das seinen eigenen Charakter entwickeln darf und seine eigenen Dimensionen hat und nicht: Wir machen mal sieben Retortenkinder und die sehen dann alle gleich aus."
    Die Schmidt-Friderichsens sind jung gebliebene Mitfünfziger. Karin Schmidt-Friderichs hat früher als Architektin gearbeitet. Ihr Mann hat noch das traditionelle Schriftsetzer-Handwerk gelernt und an der FH Druck studiert. Sie teilen die Liebe zum Handwerklichen und eine gewisse Bodenständigkeit. Aber eben auch den Anspruch, das Bestmögliche zu liefern. Früher haben sie parallel zum Verlag noch eine Druckerei betrieben – bis sie mit dem Preisdumping durch die internationale Konkurrenz nicht mehr mithalten konnten. 2013 entscheiden sich die beiden, alles auf eine Karte zu setzen: aufs totgeglaubte gedruckte Buch.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Vor ein paar Jahren habe ich gesagt: Ich fühle mich wie der letzte Saurier, der durch die Hallen getrieben wird, und noch mal für das schöne Buch reden soll. Das hat sich geändert. Es gibt im Moment wieder einen gewissen Optimismus, dass Print eben doch nicht tot ist."
    Dem E-Book die Kreativität verdankt
    Wohl kaum ein Verlag gestaltet seine Bücher so leidenschaftlich, individuell und kostbar wie der Verlag Hermann Schmidt. Aber die Zahl gut gestalteter Bücher wächst. In den Buchhandlungen sieht man sie überall, die gestanzten, geprägten Cover, und beim bewusst gestalteten Layout geht's weiter. Karin Schmidt-Friderichs, beobachtet die Verlagsszene auch als Präsidentin der Stiftung Buchkunst:
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Wir verdanken dem E-Book, dass wir alle in der Szene uns überlegen müssen: Wenn noch auf Papier, muss dann nicht das Buch seine Existenz auch rechtfertigen? Und das tut es natürlich am besten, wenn es ein Kompliment an den Leser ist.
    Wir sitzen im Verlagsbüro in einem Vorort von Mainz – eine umgebaute Konservenfabrik. Schlicht, hell und aufgeräumt ist es, die Atmosphäre still und konzentriert. Aus ganz Deutschland kommen Autoren hierher, weil sie explizit beim Verlag Hermann Schmidt verlegen wollen: Etablierte Gestalter wie Jan Schwochow oder die Paschauko-Zwillinge. Das Allround-Talent Judith Schalansky, die inzwischen beim Verlag Matthes & Seitz selbst schöne Bücher verlegt, wurde von den Schmidt-Friderichsens bei einem Mappentag entdeckt. Zweimal im Jahr dürfen unbekannte Newcomer hier ihre aktuellen Arbeiten präsentieren: Talentsuche und Talentförderung.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Wir leben ja auch davon, dass uns Ideeninhaber ihre Ideen anvertrauen."
    Die Entscheidung des Ehepaars, all ihre Energie in die Buchkunst zu stecken, scheint aufzugehen. Sie schreiben schwarze Zahlen, ohne allzu viel Kompromisse eingehen zu müssen. Allerdings weise ihr Bankberater sie gelegentlich auch daraufhin, dass für die Gewinnoptimierung dies die falsche Strategie sei.
    Karin Schmidt-Friderichs:
    "Eine Währung, in der wir uns selbst und die Mitarbeiter bezahlen, ist Leidenschaft und Begeisterung."
    Bertram Schmidt-Friderichs:
    "Es ist ein emotionales Konto neben dem Geldkonto, und das ist wirklich reichlich voll."